„Hart aber Fair. Streit um die Sprache: Was darf man noch sagen und was besser nicht?“ ARD, Montag, 5.Oktober 2020, 21.20 Uhr.
Comedy-Oldie Jürgen von der Lippe hat in der ARD-Talkshow „Hart aber Fair“ am Montag ein typisches Beispiel für die neudeutsche Shitstorm-Meteorologie vorgetragen.
„Als ich das letzte Mal in dieser Sendung war, ging es um Fleisch“, erzählte er. „Ich habe mich für Fleisch – unter strengen Auflagen – ausgesprochen.“
Die Pointe: „Drei Tage später bin ich bei mir im Kiez in ein Off-Kino gegangen. Sitzen da zwei Frauen, und die eine sagt, nein, sie brüllt: ‚Da kommt der Fleischfresser!‘ Das ist eine analoge Version dessen, was im Netz passiert…“
Noch deutlicher wird das Phänomen der ungezügelten Aufregung über Abweichler vom politisch korrekten Zwangskurs bei Begriffen wie „Zigeunersoße“ oder „Mohrenstraße“: Überall Fallstricke für das freie Wort! Talkmaster Frank Plasbergs Gäste:
- Von der Lippe teilt seinen Mut ein: politisch unkorrekt ist o.k., aber Islam-Witze sind ein No-Go!
- Die Publizistin Stefanie Lohaus („Missy“) ist gendermäßig hart drauf: „Wir brauchen mehr feministische Männer!“
- Der Diplom-Theologe Stephan Anpalagan ist Gründer der Beratungsorganisation „Demokratie in Arbeit“.
- Der Schriftsteller und Kolumnist Jan Weiler („Welt am Sonntag“) spottet z.B. über den „Kevinismus“ von Eltern, die ihren Kindern ausländische Vornamen geben.
- Die Philosophin Svenja Flaßpöhler schrieb ihre Doktorarbeit über „Der Wille zur Lust. Pornographie und das moderne Subjekt“.
- Der Koch und Gastronom Andrew Onuegbu wird von Antirassisten genervt, weil er sein Restaurant „Zum Mohrenkopf“ partout nicht umbenennen will: „Ich bin ein Mohr und stolz darauf!“
Kontroverses Thema + meinungsstarke Gäste = Zoff! Und es gab auch gleich reichlich Dampf im Kessel, denn der Talkmaster startete mit Beispielen aus einem neuen Leitfaden des Berliner Senats für die Verwaltung: „Demnächst soll es nicht mehr ‚Ausländer’ heißen, sondern ‚Einwohnende ohne deutsche Staatsbürgerschaft‘!“
Und, so Plasberg weiter: „Der Begriff ‚Menschen mit Migrationshintergrund‘ ist nicht ganz schlecht, aber noch besser sollte man sagen: ‚Menschen mit internationaler Geschichte‘.“ Heidewitzka!
„Zunächst mal kann man festhalten: Deutschland muss es ganz gutgehen“, folgerte der ARD-Mann mit undurchdringlicher Miene.
Interessanteste Kurzbiographie
Von der Lippe führte sich mit einem Goethe-Zitat ein: „Wenn der Künstler sich dem Sittengesetz unterordnet, kann er sich auch gleich einen Mühlstein umhängen und sich ersäufen.“
Die eigenen Texte des Comedians sind aber auch nicht übel, z.B. wenn er sein Leben im Schnelldurchlauf vorführt: „Ich habe mit der Faust der Kirche am Genital pubertiert!“
Sein Standpunkt: „Ich lasse mir keine sprachlichen Vorschriften machen aus Gründen, die austauschbar sind!“
Dann ging auch schon der Zoff los
Plasberg kickte den Ball ins Feld: „Es gibt Menschen, die sich nicht den Mund verbieten lassen. Andere sagen: Ich weiß gar nicht mehr, was man aktuell sagen darf.“ Seine Frage: „Ist das eine gute oder eine schlechte Entwicklung?“
Anpalagan urteilte aus großer Höhe: „Es ist überhaupt keine Enzwicklung“, winkte er ab. „Es gab immer schon Grenzen des Sagbaren!“
„Das halte ich für falsch!“ grätschte ihm Flaßpöhler in die Beine. „Natürlich ist die Sensibilisierung der Gesellschaft eine Entwicklung!“
Irrste Story
„Die Sprache ist unschuldig“, erklärte Weiler. „Indem wir sie regulieren, fangen wir an, unglaublich übergriffig auf Rigorositäten zu kommen, die schlichtweg albern sind.“
Sein bizarrstes Beispiel: „Da wollte einer im Kindergarten seinen Sohn abholen. Sagt die Kindergärtnerin: Wir sagen hier nicht mehr ‚Sohn‘, wir sagen hier ‚Kind mit Penis‘!“
Lohaus bot dafür einen typischen Lösungsvorschlag an: „Wenn das in diesem Kindergarten nicht gewünscht wird“, meinte sie lächelnd, „dann kann das Kind ja vielleicht auf einen anderen Kindergarten gehen!“
Ungewöhnlichste These
Philosophin Flaßpöhler findet manche Reaktionen übertrieben: „Ich habe langsam das Gefühl, wir laufen alle rum wie so eine offene Wunde, die man schützen muss vor jeglicher Infektion!“ meint sie.
Aber: „Eine liberale demokratische Gesellschaft kann nur funktionieren, wenn sich die Individuen ein Stück weit selber immunisieren. Man sieht jetzt, wie eine Gesellschaft zusammenbricht, wenn wir alle irgendwie gefährdet sind!“
Heftigster Wortwechsel
Publizistin Lohaus hob streng den Zeigefinger: „Das ist furchtbar!“ schimpfte sie los. „Das ist tatsächlich eine rechte Rhetorik!“
Flaßpöhler war verblüfft: „Warum ist das rechts?“ wunderte sie sich.
Lohaus wollte es erklären: „Immer wenn Minderheiten…“
„Frauen sind keine Minderheit!“ funkte Flaßpöhler gleich dazwischen.
Doch Lohaus machte einfach weiter: „Diskriminierte marginalisierte Gruppen, wenn die für ihre Rechte einstehen, dann wird das Ende des Abendlandes ausgerufen!“
Verrücktester Dialog
Flaßpöhler schüttelte den Kopf: „Ich rede nicht vom Ende des Abendlandes!“
„Ja, aber Sie benutzen drastische Vokabeln!“ wetterte Lohaus. „Ende der Demokratie!“
„Nein! Das habe ich auch nicht gesagt!“ wehrte sich Flaßpöhler.
Daraufhin Lohaus: „Ja, was haben Sie denn gesagt?“
Schönster Rückwärtssalto
Plasberg ging dazwischen: „Frau Flaßpöhler scheint mir da unverdächtig“, meint er zu dem Vorwurf, und doch: „Zack – hat sie das Etikett ‚Rechts‘ an der Backe.“
„Nein, sie ist nichts rechts“, gab Lohaus daraufhin zu. „Ich weiß das. Es geht darum, wem redet wir nach dem Mund…“
Uff! Ab damit ins Rundfunkmuseum!
Geschickteste Zusammenfassung
Flaßpöhler führte einen neuen Begriff ein: „Euphemismustretmühle“. Der Psychologe Steven Pinker habe gesagt: „Wir sind gesellschaftlich immer dabei, immer noch eine bessere Sprache, bessere Begriffe zu finden, um Menschen nicht zu diskriminieren.“
„Statt ‚Schwarze‘ sagen wir jetzt ‚People of Colour‘ oder ‚Person of Colour‘“, erklärte die Psychologin dazu. „Immer in dem Wunsch, nicht zu diskriminieren.“
Aber: „Das Problem ist, dass das Diskriminierende auch in der höheren Stufe immer drin ist, weil es eben in der Realität Diskriminierung gibt. Das eigentliche Problem liegt in der Realität!“
Interessantestes Interview
Dann brachte Koch Onuegbu aus Kiel die Runde ins Grübeln: „‘Mohrenkopf‘ ist im Mittelalter in Deutschland positiv besetzt“, erklärte er. „Das war eine Auszeichnung für gute Küche, weil, damals gab es noch keine Sterne wie heute!“
„Und was sagen die Afrikaner dazu?“ wollte Plasberg gleich wissen.
Antwort: „Viele Schwarze in Kiel kennen gar nicht meinen richtigen Namen. Die sagen: Hallo, Mohrenkopf! Deshalb überrascht es mich, warum manche Leute sich aufregen.“
Vielsagendste Anekdote
Besonders verblüfft waren, so Onuegbu, „ein schwarzer Mann und seine deutsche Frau“, die gleich antirassistisch eingreifen wollten. Der Mann habe gefragt: „Warum arbeiten Sie bei einem Nazi?“ Seine Frau habe gesagt: „Wir wollen gar nicht mit Ihnen reden, holen Sie Ihren faschistischen Chef!“
Als die beiden erfuhren, dass der Nigerianer nicht etwa der Küchenbursche, sondern der Inhaber war, wollten sie es gar nicht glauben. Und später sagten sie unbeeindruckt: „Der Name muss sofort verschwinden! Das darf man in Deutschland nicht mehr verwenden! Das ist rassistisch!“
Gelungenster Konter
Daraufhin faltete Onuegbu die beiden zusammen: „Das, was Sie gerade hier gemacht haben, das nennt man puren Rassismus. Denn Sie haben nicht geglaubt, dass ein schwarzer Mann der Inhaber sein kann.“ Rummms!
Sein Standpunkt: „Ich brauche keine Weißen, die mir sagen, wann meine Gefühle verletzt sind!“
Alles klar? Nicht für Anpalagan: „Der Name geht trotzdem nicht!“ grollte der Diplom-Theologe im Trotzköpfchen-Stil.
Überzeugendste Argumentation
Autor Weiler nahm sich das umstrittene Gendersternchen vor: „Es gibt drei gute Gründe, das ganz schnell wieder sein zu lassen“, erklärte er. Denn:
Das Sternchen sei frauenverachtend, denn es bedeute, Frauen seien hilfe- und schutzbedürftig, und das müsse auch immer wieder gesagt werden. Weiler: „Das ist übergriffig, auch gegenüber den Frauen, die das nicht wollen!“
Zweiter Punkt, so der Autor: „Es erzeugt Widerstand und Widerspruch. Wenn ich etwas ändern will, dann greife ich zu Lösungen, die jeder akzeptieren kann und will. Und nicht zu einer Lösung, zu der weit über die Hälfte der Bevölkerung sagt: Das finde ich bescheuert!“
Drittes Argument nach Weiler: „Es ist unästhetisch. Es ist überhaupt kein Wunder, dass es keinen einzigen durchgegenderten Roman gibt. Es ist eine kunstfeindliche, unästhetische, pietistische, technokratische Sprache!“
Belämmertste Idee
„Es gibt niemanden, der ein Gesetz erlassen möchte“, verteidigte Lohaus das Gendern, hat aber einen Vorschlag zur Güte: „‚Journalistin‘ für Frauen, ‚Journalisten‘ für alle, und für den Mann ‚Journalisterich‘.“
Das war’s. Nun, Brüder, eine gute Nacht…
Fazit: Viel angejahrte Latzhosenlogik, überbordende Verständnislosigkeit und permanente Denkunfallgefahr. Manches Argument gruselig wie der Fledermausmarkt von Wuhan, dazu sprühend eifrige Streitposten der reinen Lehre: Das war ein Talk der Kategorie „Knatsch Comedy Club“.