„Maybrit Illner: Wahl, Wut, Verschwörung – was, wenn Trump bliebe?“ ZDF, Donnerstag, 1.Oktober 2020, 22.15 Uhr.
Ex-Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) hat in der ZDF-Talkshow vor neuerlichen Versuchen des russischen Präsidenten gewarnt, auf die Wahlen in den USA Einfluss zu nehmen.
Wörtlich sagte der Politiker zwar: „Die Demokraten sollten erst einmal aufhören zu glauben, Wladimir Putin hätte Trump an die Macht gebracht!“ Aber: „Na klar hat er da rumgefummelt, und das wird er jetzt auch wieder machen!“
Wichtigste Warnung
Denn, so Gabriel: „Herr Jinping, Herr Putin und Herr Erdogan, die finden das super, wenn Trump Präsident bleibt, weil sie die gleiche Sicht auf die Welt haben: Dass die Welt eine Arena ist, wo der Stärkere sich durchsetzt. Ein Präsident, der wieder Allianzen schmieden würde, ist für die viel schwieriger zu handeln!“
Corona macht als Talk-Thema Pause, stattdessen geht es um das Weiße Haus. Gäste bei Maybrit Illner:
Sigmar Gabriel glaubt: „Für Trump ist die Welt eine Arena, in der sich der Stärkere durchsetzt.“
Die demokratische Bezirksabgeordnete Angelika Kausche, aus Atlanta zugeschaltet, schimpft auf Trump: „Frauenfeindliche, hasserfüllte Sprache gegen Einwanderer!“
Die Publizistin Marina Weisband (Grüne) sieht, „dass sich das Weiße Haus stark professionalisiert hat und seine Agenda mit bisher nicht dagewesener Konsequenz verfolgt“.
ZDF-Moderator Claus Kleber war 15 Jahre lang ARD-Korrespondent in den USA.
Der republikanische Politologe Peter Roug. aus Washington urteilt: „Der Instinkt Trumps ist nicht immer der falsche, aber an der Umsetzung scheitert es.“
Die Politologin Jana Puglierin warnt: „Europas Verteidigung hängt noch immer maßgeblich von den Vereinigten Staaten ab.“
Die US-Schriftstellerin Siri Hustvedt („Ein Sommer ohne Männer“) ist Mitglied bei „Writers against Trump“.
Alle against Trump? Noch scheint der Präsident nicht ganz abgeschrieben. „Schamlos gegen Harmlos!“ spottete Kabarettist Ingo Appelt kurz vor dem Talk im Bayernfunk über das Duell in Cleveland.
Interessanteste Kritiken
„Auch wenn es ein Patt gegeben hat“, urteilte Rough, „nutzt es vor allem Biden als Herausforderer.“
Gabriel kam mit Stoppelbart und offenem Hemd daher wie frühmorgens im Homeoffice erwischt, saß aber tatsächlich im Studio. „Biden hat sich gut geschlagen“, lobte er, aber: „Ich würde vermuten, dass die Debatte für die Wahl gar nichts gebracht hat.“
Immerhin, so der Ex-Außenminister: „So schrecklich wir es fanden: Alle haben hingeguckt!“
Sorgenvollste Analyse
„Ich habe zum ersten Mal Angst“, gestand Kleber. „Eine Wiederwahl von Trump ist bei weitem nicht der worst case (schlimmste Fall).“
Gabriel nickte, und Kleber erklärte: „Der worst case ist der Zusammenbruch des amerikanischen gesellschaftlichen Systems in den Stunden nach der Wahl und dann über Wochen und Monate.“
Schlimmste Vorstellung
Klebers düstere Befürchtung: „Eine chaotische Wahl, die irgendwann mit einer Präsidentin Pelosi (jetzt Sprecherin der Abgeordneten im Kongress) endet. Diesmal wird es in den Straßen der Städte und des Landes nicht mehr friedlich zugehen!“
„Trump hat absolut die Macht, viele Bewaffnete auf die Straßen zu bringen!“ warnte auch Publizistin Weisband. „Das liegt daran, dass er um sich herum einen politischen Kult aufgebaut hat.“
Wahnwitzigstes Szenario
Dann zählte die Publizistin auf: „Militante rassistische Gruppierungen. Verschwörungskult QAnion. Antisemitische, rassistische Verschwörungstheorie mit evangelikalen Zügen, eine Art Endzeiterzählung. Es sind die kinderfressenden Juden in neuer Gewandung.“
„Fünf bis sieben Prozent der Amerikaner hängen dieser Theorie an“, behauptet Weisband in voller Überzeugung.
Schimmer noch: „Diese Bewegung hat sich auch nach Deutschland verbreitet“, erzählte die Publizistin. „Sie versucht im Moment, die Gelbwestenbewegung und die Anti-Corona-Bewegung zu schlucken. Trump ist der Messias für einen Kult, der bewaffnet ist.“ Hilfe!
Klarste Absage
Politologe Rough kann mit Befürchtungen, Trump wolle notfalls mit Gewalt Präsident bleiben, nichts anfangen: „Was soll er machen, sich einbunkern? Wir sind doch nicht Mali!“
Auch Gabriel wollte einiges geraderücken: „Donald Trump ist nicht die Ursache der amerikanischen Spaltung, sondern ein Symptom dafür“, stellte er fest. „Die Radikalisierung gibt es viel länger, und sie hat soziale Gründe.“
„Am Ende ist in Amerika immer der Präsident schuld“, sagte Kleber.
Aufschlussreichste Anekdote
Dann erzählte Gabriel von einer deutschen Journalistin im Wahlkampf für Obama. Da war die Frage: Ist Amerika eigentlich noch rassistisch? schildert der Politiker. Eine Campaignerin klingelte und redete auf eine Hausfrau ein, sie solle doch Obama wählen. Daraufhin rief sie ins Wohnzimmer: „Hey Joe, wen wollen wir wählen?“ Und ein Redneck mit Bierdose schrie zurück: „Na den Nigger natürlich!“
Interessanteste Bewertung
Gabriels Schlussfolgerung: Auch Obama sei damals gegen das Establishment angetreten, und die Bewegung gegen „die da oben“ sei wichtiger gewesen als der Rassismus.
„Und da setzt Trump an“, erklärte der Ex-Außenminister. „Deswegen war das, was wir hier an diesem Duell so schlimm finden, aus seiner Sicht ein gelungener Wahlkampf!“
Bedenklichster Rückblick
„Ich habe schon vor 30 Jahren Filme gemacht über diese Bewegungen, die sich da mit scharfen Waffen im Wald vorbereiten“, erinnertr sich Kleber. „Und zwar nicht, um Kriegsspiele zu machen, sondern um einen Unrechtsstaat zu stürzen. Das ist die Mission!“
Klügste Analysen
„Trump wird zwei große Konflikte noch mal fahren“, meinte Gabriel. „Einen mit China, und einen innerstaatlichen, weil er Feinde braucht. Dann werden die Wähler fragen: Wer wird uns da besser durchsteuern? Und das ist die Schwäche von Biden.“
Rough wiederum warnte vor den Demokraten: Sie wollen mehr und eigene Richter ins Oberste Gericht schicken, meint er. Sie möchten neue Senatssitze schaffen, für Puerto Rico oder Washington D.C. mit ihren demokratischen Mehrheiten. Alles, um die Mehrheit der Republikaner in den wichtigsten Institutionen zu knacken.
Dann gab es richtig Zunder
Gabriel nahm den US-Politologen auf die Hörner: Rough hatte für seinen Geschmack nicht empört genug auf die Warnung reagiert, dass Trump womöglich in Frage stelle, das Amt zu verlassen, wenn er nicht wiedergewählt wird.
„Ich bin entsetzt, mit welcher Leichtigkeit Sie darüber hinweggegangen sind!“ patzte der SPD-Mann den Experten an. Aua!
Doch Rough beruhigte ihn: „Es wird ein geordneter Übergang. Wenn es aus ist, ist es aus.“
Deutschester Aspekt
Politologin Puglierin warnte vor zu großen Hoffnungen auf den Herausforderer: „Auch Biden sagt, dass im Prinzip diese Vorstellung, dass die Amerikaner für Europas Sicherheit zuständig sind, eine Sicherheitsgarantie geben und auch den Löwenanteil der Verteidigungsausgabe zahlen, dass diese Zeiten vorbei sind!“
„Wenn es Trump wird, haben wir das Problem einer Neuerfindung unserer Außenpolitik, unserer Sicherheits- und Verteidigungspolitik“, sagte die Expertin voraus.
Und: „Wenn es Biden wird, werden wir viele Forderungen hören“, etwa „dass wir uns in Bezug auf China vielleicht den amerikanischen Vorstellungen anpassen sollen.“
Interessantester Gegensatz
„Es wird wesentlich leichter sein, auf Bidens Forderungen einzugehen, als auf Trumps Forderungen“, meinte Kleber.
Doch da war die Expertin ganz anderer Meinung: „Es wird viel schwerer sein, Biden Nein zu sagen. Wir haben uns hinter Donald Trump versteckt. Kein zwei Prozent Verteidigungsausgaben für Donald Trump! Da war es leicht, zu sagen: Machen wir nicht!“
Vernünftigste Vorhersage
Gabriel breitete die große Lage aus: „Amerika wird weniger atlantisch und mehr pazifisch“, prophezeite er. „Das folgt der Veränderung der globalen Machtachsen.“
Wichtigste Erkenntnis: „Wir haben unsere außenpolitischen europäischen Interessen weitgehend auf amerikanische Flugzeugträger projiziert. Und die fahren jetzt weg.“
Gabriels Beruhigungspille: „Biden weiß Alliierte zu schätzen. Er weiß, dass der eigentliche Multiplikator amerikanischer Macht die Fähigkeit war, Partnerschaften und Allianzen zu bilden. Das konnte China nicht, das konnte Russland nicht, das konnten nur die Vereinigten Staaten.“
Salomonischste Antwort
„Was, wenn Donald Trump bliebe?“ fragt Illner zu Schluss.
„Dann müssen wir uns zusammenraufen“, antwortet Rough gelassen. „Das transatlantische Verhältnis ist eingefroren. Das wird dann auftauen und es werden Verhandlungen stattfinden.“ Punkt!
Fazit: Viel Stochern im Nebel, sehr viel Theorie, noch mehr Hoffnung und ganz festes Wunschdenken: Das war ein Talk der Kategorie „Selbsthilfegruppe“.