„Hart aber fair: Putins Krieg oder Krieg der Russen: Wie weiterleben mit diesen Nachbarn?“ ARD, Montag, 2.Mai 2022, 21 Uhr.
Zu Hause hat der Kriegsverbrecher aus dem Kreml keine Probleme: 82 Prozent seiner Landsleute unterstützen ihn, viele feiern ihn sogar als Heilsbringer. Frank Plasbergs Gäste:
Narina Karitzky (41). Die Diplom-Juristin mit Moskauer Wurzeln leitet das Russische Institut in Bonn und macht klar: „Natürlich ist es nicht mehr Putins Krieg, sondern es ist Russlands Krieg!“
Marina Weisband (33, Grüne). Die Publizistin mit Familie in der Ukraine bestätigt auf Twitter: „Die Lieferung schwerer Waffen ist richtig!“
Gerhart Baum (89, FDP). Der Ex-Innenminister macht klar: „Es gibt noch das andere Russland, aber es wird brutal unterdrückt!“
Prof. Stefan Creuzberger (60). Der Historiker glaubt, dass die lange Geschichte der deutsch-russischen Freundschaft mit Putins Krieg am Ende ist.
Prof. Michel Friedman (66, CDU). Der TV-Moderator (WELT) klagt an: „Die Ukrainer sterben – wir sitzen im Warmen!“
Experten aus Politik, Wissenschaft, Medien: Wie ergänzen, wo widersprechen sie sich? Zum ersten Mal nach langer Zeit ist wieder Publikum im Studio.
Beklemmendste Beobachtungen
Die Russin kommt sofort auf den Punkt: „Die Propaganda wurde in den letzten acht Jahren perfektioniert“, stellt sie für das russische Fernsehen fest. „Die Berichterstattung aus dem Westen wird grundsätzlich wie vor Gericht untersucht und widerlegt.“
Die Deutsch-Ukrainerin, die mit ihrer Tochter Russisch redet und wieder aus Münster zugeschaltet wird, beklagt einen „riesigen Spalt in der russischen Diaspora, wo Brüder nicht mehr mit Schwestern sprechen, Eltern nicht mehr mit Kindern.“
Persönlichster Eindruck
Baums Mutter ist in Moskau geboren, sein Großvater stammt aus Charkiw, sein Vater starb in russischer Kriegsgefangenschaft. Wie schwer die Frage der Sendung für ihn sei?, will der Talkmaster wissen.
„Ich bin nicht der Meinung, dass man die Russen hier insgesamt in Haftung nehmen kann“, antwortet der FDP-Grande. „Das ist eine ganz andere Situation als die Unterstützung der Nazis: Die war sehr breit und tief angelegt. Aber hier ist das andere Russland noch präsent.“
Gespenstischstes Bild
„Russland ist eine Diktatur“, stellt Historiker Creuzberger umstandslos fest. „Leute können 15 Jahre lang inhaftiert werden, wenn sie sich äußern. Sie können nur Ja sagen. Und wenn sie gar nichts sagen, sind sie erst recht verdächtig.“
Seine Bilanz: „Wir haben gesehen, dass alte Mütterchen von der Straße verhaftet worden sind. Oder ältere Damen, die nur ein weißes Blatt hochgehalten haben, oder eine weiße Blume.“
Narina Karitzky weiß, was ihr droht: „Ich habe nicht vor, nach Russland zu gehen. Im Moment habe ich als Russin ein sehr schlechtes Gefühl: Ich schäme mich!“ Peinlichster Einspieler
Der frühere WDR-Intendant Fritz Pleitgen hat sich als ARD-Korrespondent in Washington und Moskau bei der deutschen Linken einen Namen damit gemacht, die USA so negativ wie möglich und die Sowjetunion so positiv wie möglich darzustellen. Jetzt führt ihn ein ARD-Einspieler mit russischen Freunden beim Singen und Motorradfahren vor.
Danach sitzt Pleitgen mit Adidas an den Füßen im Wohnzimmer und lässt sich von seinem früheren Angestellten Plasberg interviewen. „Ich weiß, dass die Russen diesen Angriffskrieg nicht erklärt haben, sondern dass es Putin war“, behauptet er. „Es ist Putins Krieg!“
Persönlichste Erinnerung
Über seine euphorischen Berichte urteilt Pleitgen heute leichtfüßig: „Ich trauen mir das ohne weiteres zu, dass ich sehr nachsichtig über das eine oder andere hinweggesehen habe…“
In Putin habe er sich getäuscht, gesteht er immerhin. Seine Erklärung: „Das mag damit zusammenhängen, dass ich mit ihm mal persönlich zusammengesessen habe, als er seinen Deutschlandbesuch machte. Wir haben uns sehr kultiviert unterhalten.“
Spätmerkerischste Kehrtwende
Denn, so der altgediente ARD-Mann weiter: „Es ging um Kultur. Da hatte mir seine Höflichkeit sehr gefallen.“ Jetzt setzt Pleitgen allerdings einen ganz anderen Schwerpunkt: „Wenn man ihm gegenübersitzt und er einen so fischäugig anschaut, dann weiß man nicht, wie man mit ihm wirklich dran ist. Er ist ein Kriegsverbrecher.“ Puh!
Deftigste Watschn
Baum macht sich fleißig Notizen. Plasberg verabschiedet sich mit Verbeugung von seinem Ex-Chef und fragt die Deutsch-Ukrainerin: „Wie fanden Sie das Bild, das von Korrespondenten wie Fritz Pleitgen gezeichnet wurde?“
Die Publizistin hebt die Hände: „Ich finde bis heute und habe die letzte acht Jahre das Russland-Bild in Deutschland über alle Maßen naiv gefunden“, gesteht sie. „Der Krieg ist nicht jetzt ausgebrochen, er ist 2014 ausgebrochen. Und danach haben wir Nord Stream 2 zugelassen, Gasspeicher verkauft…“
Vorwurfvollste Frage
„Mit welcher Naivität muss man rangehen, um 2022 sagen zu können: Also das habe ich nicht kommen sehen?“, wundert sich Weisband am Schluss.
„Putin hat bereits 2014 diesen barbarischen völkerrechtswidrigen Krieg geführt“, assistiert Friedman. „Wir wollten nur nichts damit zu tun haben und fühlten uns davon nicht betroffen.“ Für dieses Eingeständnis gibt‘s den ersten Beifall.
Klarste Kante
„Putin hat sich kaum verändert, sondern verändert hat sich unsere Betroffenheit“, stellt der WELT-Mann dann mit energischen Handbewegungen fest.
Außerdem, sie Friedman, gebe es „nicht wenige“, die „der Idee einer imperialistischen, nationalistischen russischen Politik sehr entgegenkommen. Hier gibt es einen Kampf zwischen der Demokratie und der Diktatur als Idee. Die Ukraine ist auch eine Stellvertretung für alles, was der Westen ist. Wir sind auch in Deutschland an einem Punkt angekommen, wo Schlaraffenland abgebrannt ist.“
Schärfster Vorwurf
„Ich bin immer wieder überrascht, wie viele Leute jetzt wissen, was eigentlich falsch gelaufen soll“, spottet der Historiker. „Ich finde, man muss die Leute auch immer wieder daran erinnern, was sie noch vor ein paar Jahren gesagt haben!“
„Das war eben falsch“, meldet sich Baum.
„Die Kanzlerin und die SPD!“, wettert Friedman umso heftiger und nimmt Angela Merkel aufs Korn: „Zur gleichen Zeit, wo sie nach Sanktionen gesucht hat, unterschreibt sie Nord Stream 2. Diese Doppelzüngigkeit rächt sich jetzt umso mehr!“
Lautester Alarmruf
Baum ringt die Hände: „Putin wird die Ukraine jetzt teilen“, sagt er voraus, „und dann wird er weitergehen. Diese Vorstellung ‚Ich muss ein großes Russland aufbauen‘ wird ihn weiter motivieren.“
Aber, so der Altliberale weiter: „Im Grunde verteidigt er ja die Macht einer kleinen Clique, die das Land ausbeutet. Mit ihm ist kein Frieden zu machen. Unsere Panzer in der Ukraine verteidigen auch uns!“
Energischster Ordnungsruf
„Putin entscheidet über den Einsatz von Atomwaffen allein!“, warnt Baum dann schon fast panisch. „Er droht uns mit einem Atomkrieg! Wir müssen wirklich mit aller Härte reagieren!“
„Wir sind mitverantwortlich dafür, dass ein aggressiver nationalistischer Diktator sich in seiner imperialen und imperialistischen Kriegsbewegung ausgebreitet hat“, grollt Friedman.
Heftigste Attacke
Aber, so der Publizist weiter: „Wenn wir alles nur auf Putin projizieren, dann entlasten wir uns auch. Es ist immer mehr als nur die eine Person.“
Dann geht Friedman auf Olaf Scholz los: „Ich wundere mich, dass auch der Bundeskanzler von einem dritten Weltkrieg und von Atomkrieg spricht und damit das übernimmt, womit Putin uns Angst machen will. Das halte ich für außerordentlich falsch. Der Kanzler lässt sich erpressen, wenn er das sagt.“ Rumms!
Berechtigtste Befürchtung
„Ich habe Sorge, dass auf dem Schlachtfeld taktische Atomwaffen eingesetzt werden“, gesteht Baum trotzdem. „Das liegt in der Luft!“
Der nächste Einspieler zeigt Putin mit Hitlerbart als „Putler“. „Ich glaube, dass das, was dort geschieht, auch ohne Hitler zu bewerten ist als barbarische Massentötung von Zivilisten und unschuldigen Menschen“, urteilt Friedman.
Wichtigster Unterschied
„Mit den Nazis kann man überhaupt nichts vergleichen!“, murrt Baum.
„Als Historiker müssen wir vergleichen, um Ähnlichkeiten und Unterschiede herausarbeiten zu können“, widerspricht Prof. Creuzberger. „Das heißt nicht: gleichsetzen!“
Interessanteste Veränderung
Nach 20 Minuten Herrenrunde kommt die Russin mal wieder zu Wort. „Für mich ist ein solcher Vergleich sehr schwierig“, gesteht sie bedrückt, „denn die Zeit des Nationalsozialismus ist untrennbar mit dem Holocaust verbunden, und der ist einzigartig. Ich habe selbst auch jüdische Wurzeln.“
„Aber diese Einzigartigkeit können Sie doch nur über den Vergleich herausfinden“, erwidert der Historiker. „In der aktuellen Forschung sind wir inzwischen so, dass wir Stalinismus mit Nationalsozialismus vergleichen. Das wäre in den 1980er Jahren noch undenkbar gewesen.“
Dann dreht der Zoff hoch
Baum will den Putin-Sender „Russia Today“ (RT) laufen lassen: „Ich würde die Meinungsfreiheit nicht beschneiden.“
Friedman ist sofort auf Zinne: „Das ist Kriegspropaganda!“, protestiert er. „Eigentümer ist der Kriegsherr!“
„In Deutschland haben wir eine sehr weitgehende Meinungsfreiheit!“ wehrt sich der Altliberale, lenkt dann aber lieber ab: „Wo sind denn die deutschen Putin-Versteher?“ Uff!
Letztes Gefecht
Friedman wundert sich, „wie wenig Demonstrationen gegen Russland stattfinden“, denn: „Wenn dasselbe die Amerikaner gemacht hätten, wäre die Hölle los!“
„Das ist lange bei uns hier eingenistet“, klagt Baum, „und wir werden die Zukunft nur bestehen, wenn einige sich klar werden über ihr Russland-Verständnis. Zum Beispiel Teile der SPD. Wenn die jetzt versagen, etwa mit der Ertüchtigung der Bundeswehr und der Wehrhaftigkeit, dann wird es gefährlich.“
Sein Schlusswort: „Wir müssen erwarten, dass die Russlandversteher, die jahrelang genervt und die Nato als eine feindliche Organisation dargestellt haben, jetzt zur Wahrheit finden.“ Amen!
Fazit
Empörokratisches Rhetorikfestival ungebändigter Paradetalker mit Fanfaren und Girlanden, die beiden klugen Damen leider viel zu höflich für die brachiale Männerrunde: Das war eine Show der Kategorie „Rundschlagorchester“.