„maischberger“. ARD, Dienstag, 10.Mai 2022, 22.50 Uhr.
Im Spontan-Ton ist Annalena Baerbock um Klassen besser als einst in ihrem peinlichen Selbstbeweihräucherungsbuch. In Kiew macht die Außenministerin jetzt sogar schon die Big Points für Deutschland. Kabinettskollege Lauterbach hat es im Omikron-Getümmel deutlich schwerer. Zwei starke Themen für Talkmasterin Sandra Maischberger! Die Gäste:
Rüdiger von Fritsch (68). Der Ex-Botschafter in Moskau sieht Putin in „schwieriger Situation“ und rechnet nicht mit einem baldigen Kriegsende.
Prof. Karl Lauterbach (59, SPD). Der Gesundheitsminister steht volles Rohr im Windkanal der Kritik.
Peter Ganea (52). Der China-Experte schrieb in der WELT über die Wochen im Shanghai-Lockdown: „Feldbett im Büro, Schlangenfraß, ich kann meine Rippen zählen!“
Ulrike Herrmann (58). Die Journalistin schreibt für die „taz“ seit dem Ukraine-Krieg ganz anders.
Livia Gerster (32). Die Journalistin („FAZ“) sieht Putin nach der Parade eher geschwächt.
Ingo Zamperoni (48). Der „Tagesthemen“-Moderator kultiviert besondere Fähigkeiten als Scholz-Versteher.
Hektischster Stammel-Start
Zu den Tschingderassabum-Bildern der Moskauer Martialparade haspelt Zamparoni aufgeregt los: „Putin wollte sich diesen Gedenktag nicht damit … mit dieser Operation … diesem Konflikt oder dem Krieg äh, hm, tja irgendwie verzerren.“ Hm, tja – freie Rede live ist eben doch was anderes als vorbereitete Texte aufsagen!
Kompaktester Kommentar
Die Kollegin von der FAZ kriegt es besser hin: „Irgendwie wirkte er etwa ratlos“, urteilt Gerster über Putins Auftritt, „als wüsste er jetzt nicht, wie er sein Land wieder aus dieser Sackgasse führen soll.“
„Die Russen sind nur bereit, diesen Krieg zu unterstützen, solange sie nicht an die Front müssen“, glaubt „taz“-Journalistin Herrmann. „Putin muss jetzt die Ukraine mit den 135.000 Soldaten besiegen, die er hat. Von diesen sind aber schon eine Reihe tot oder verletzt. Es wird ein Abnutzungskrieg, und es ist nicht möglich, dass Russland gewinnen kann.“ Rumms!
Kundigste Kanzler-Auslegung
Danach liefert Herrmann einen Beitrag zur allseits beliebten Talkshow-Disziplin der Scholzistik: „Das Problem war, dass er in aller Klarheit viel zu abstrakt war“, kritisiert sie die Kanzler-Rede zur Ukraine.
Ihre Übersetzung: „Keine Alleingänge“ bedeute „Wir liefern nur ganz wenig“. Und „Nichts, was uns mehr schadet als Russland“ heiße „kein Gas-Embargo“. Aus „Nato wird nichts Kriegspartei“ folge „Wir können keine Mechaniker an die Front schicken, und deswegen können wir da auch keine Marder hinschicken.“ Uff!
Zamperoni durchschaut den Kanzler-Trick: „Man kann es sich zurechtlegen, wie man es verstehen möchte.“ Gerster rät: „Er könnte ein bisschen mehr Habeck wagen.“
Klügste Kritik
Putins Rede, so Diplomat von Fritsch, „zeigt uns, dass dieses Regime keine attraktive Gegenwart anzubieten hat, keine Zukunftsperspektive, und deswegen zurückgreift auf etwas, was die Menschen in der Vergangenheit zusammengeführt hat.“
Noch schlimmer für den Diktator: „Es war eine Rede der Ratlosigkeit. Er hat zweifellos vorgehabt, zumindest einen Teilerfolg erzielen zu können. Auch das ist ihm nicht gelungen.“ Die Formationen aus dem Donbass waren im Vorbeizug „irgendwo versteckt.“
Aufschlussreichste Beobachtung
Putin „hat immer wieder angeknüpft an die vielen Völkerschaften, die dort kämpften“, erinnert von Fritsch und zählt an den Fingern ab: „Die höchsten Verluste sind in den Teilrepubliken Dagestan im Kaukasus und in Burjatien im Fernen Osten. Man merkt, wie er Scheu hat vor einer möglichen Reaktion.“
Die Kriegsziele erklärt von Fritsch so: „Er kann nicht zulassen, dass das Kernland der alten Rus, zu dem der Osten der Ukraine gehört, nach Westen abschwirrt. Er will Europa schwächen.“ Und: „Wladimir Putin kämpft in der Ukraine inzwischen um seine eigene Macht. Wie mir ein russischer Gesprächspartner einmal gesagt hat: Alle unterstützen Putin, aber wenn er strauchelt, geht keiner für ihn auf die Straße.“
Erschreckendste Drohung
Maischberger zeigt Propagandabilder des russischen Fernsehens über einen neuen thermonuklearen Torpedo. O-Ton: „Er sorgt für eine 500 Meter hohe Tsunami-Welle. Sie enthält eine extrem hohe Strahlung. Wenn sie über Großbritannien strömt, wird sie das, was übrig bleibt, in eine radioaktive Wüste verwandeln.“
„Putin ist nicht irrational, er folgt nur einer anderen Rationalität“, kommentiert von Fritsch. „Auch Russland hat kein Interesse, diesen Krieg eskalieren zu lassen in einen Konflikt mit uns.“
Verblüffendster Vergleich
„Putin greift nur zurück auf die Legitimation der Geschichte“, schildert der Diplomat dazu. „Er erzählt von Geschichten, die tausend Jahre her sind. Als würde der Bundeskanzler in einer Ansprache von Karl dem Großen und Friedrich Barbarossa reden!“
Hoffnungsvollste Perspektive
Unmut könnte, so von Fritsch weiter, „am ehesten aus der Führung des Militärs kommen.“ Denn: „Man hat dort sicher nicht den gleichen Ehrenkodex wie bei der Bundeswehr, aber Vorstellungen darüber: Wozu sind die russischen Streitkräfte da, was führt zu weit, was führt zu einer zu großen Selbstschädigung?“
Sein Urteil: „Ein Effekt des Krieges ist jetzt bereits, dass Wladimir Putin seinem Land, dessen Interessen und seinen Menschen unendlich und dauerhaft schadet.“ Beifall im Studio!
Plastischste Beschreibung
„Wir müssen realisieren, dass wir in einer völlig neuen Wirklichkeit sind“, mahnt der erfahrene Diplomat. „Putin hat mitten im Spiel das Schachbrett umgeworfen. Das macht weder die Regeln des Schach falsch noch unsere guten Züge.“
„Alle haben versucht, Sicherheit gemeinsam zu gestalten“, fasst von Fritsch zusammen. „Putin hat am 24.Februar gesagt: Das Schachbrett werfe ich um, ich will keinen Dialog, ich will Konfrontation. Deswegen tun sich alle Vermittler so schwer, selbst China. Wir müssen auch mit Russland wieder zu Verabredungen kommen!“
Ehrlichste Erkenntnis
„Wir Europäer geben zusammen viel mehr für das Militär aus als Russland“, wundert sich die „taz“-Journalistin. „Es ist echt peinlich, dass wir dieses viele Geld ausgeben, und hinterher brauchen wir die Amerikaner, um uns zu retten.“
„Wenn die USA nicht eingegriffen hätten, hätte Putin die Ukraine erobern können“, gesteht Herrmann ganz offen. „Die Amerikaner haben schon nach der Krim begonnen, das ukrainische Militär an modernen Waffen zu schulen, die schon vor dem Krieg geliefert worden sind. Ohne die USA wäre Kiew gefallen!“
Schuldigster Dank
„Ich habe immer appelliert an die Freiwilligkeit der Vernünftigen“, erklärt der Gesundheitsminister als nächster Gast und freut sich: „Viele tragen auch jetzt noch, zum Beispiel im Supermarkt, Maske. Bei diesen Menschen möchte ich mich bedanken, weil sie sich schützen und auch andere.“ Auch dafür Beifall.
Schockierendster Bericht
Auf Skype meldet sich Peter Ganea, Dozent für deutsches Recht an einer Uni in Shanghai und seit zwei Monaten „wie im Gefängnis“: Vom Wäschewaschen per Hand im Waschbecken hat er schon Schwielen, er durfte nicht in die Kantine und litt unter „sinnlosen Gehorsamseinforderungsritualen“.
Sein Trost: „Ich bin hier im Gebäude mit eher einfachen Leuten eingesperrt, Putzleuten, Wachleuten, Verwaltungspersonal, und die sind richtig lieb. Die haben mir über meine düstersten Zeiten hinweggeholfen. Mit denen verstehe ich mich wirklich super!“
Eindringlichste Warnung
Der Gesundheitsminister hält sich an den Armlehnen fest und hört mit großen Augen zu. „Die Zahl der Ungeimpften besonders bei den älteren Menschen ist in China sehr hoch“, erläutert er dann. „Die Folgen, wenn das durchlaufen würde, wären katastrophal. Es würden Millionen Menschen sterben!“
Pekings Null-Covid-Strategie erklärt Lauterbach umstandslos für „gescheitert“, denn: „Sie ist nie richtig aufgegangen. Jetzt steckt man in der Klemme. Selbst wenn China damit jetzt durchkäme: Die nächste Welle in Südafrika ist schon wieder etwas ansteckender. Es ist ein Rennen, das nicht gewonnen werden kann.“
Bitterstes Eingeständnis
Für seine gescheiterte Impfpflicht-Initiative nimmt der Minister die FDP in Haftung: „Wir hätten es uns allen leichter gemacht für den Herbst, wenn wir das erreicht hätten. Mich hat das enttäuscht, weil: Es ist Parteitaktik im Spiel gewesen. Es haben viele nicht so abgestimmt, wie sie abgestimmt hätten, wenn die Abstimmung frei gewesen wäre.“
„Ich bin halt nicht alleine die Regierung“, klagt Lauterbach zum Schluss. „Wir vertreten ganz unterschiedliche Positionen, die FDP auf der einen Seite und ich auf der anderen Seite. Es ist nicht so, dass ich einfach sagen kann: Wir machen jetzt einen Regierungsantrag. Das kann ich in einer Koalition nicht machen!“
Emotionalste Beschwerde
Die Talkmasterin will den Minister trotzdem grillen: „Das heißt, Sie tragen einen erheblichen Teil der Verantwortung, weil Sie es nicht hinbekommen haben.“ Das gelte auch für andere Themen, etwa die Post-Triage, bei der Patienten vom Atemgerät abgehängt werden, wenn andere die besseren Überlebenschancen haben.
„Heute ist es so, dass Verhandlungsstände, die noch nicht öffentlich sind, sofort durchgestochen werden“, klagt der Minister. „Dann interessiert nachher überhaupt nicht, was rauskommt.“ Ächz!
Letztes Gefecht
Im Finale erinnert Maischberger an Lauterbachs frühere Erfolge: „Es gibt keinen Hauch von Selbstzweifel daran, dass der Gesundheitsminister der bessere Berater war?“ frotzelt sie.
„Ich verrate Ihnen ein Geheimnis“, grient Lauterbach. „Als Berater musste ich mich mit der FDP nicht einigen.“ Heiterkeit im Publikum. Beifall, Schluck aus dem Wasserglas, und tschüs. Passt!
Fazit
Phrasenfreies Plaudern mit Nassmachen und Trockenduschen. Die Talkmasterin, als Stalkmasterin immer knalleng am Gast, trieb zuletzt den
Fragestress bis an den Rasepuls: Das war eine Talkshow der Kategorie „Kamma guckn“.