„Maischberger“. ARD, Dienstag, 4.Oktober 2022, 22.50 Uhr.
Putin setzt auf Showeffekte, doch seine Truppen hauen scharenweise ab. Die Ukrainer holen sich ihr Land zurück, aber vieles ist nur noch Ruine. Auch Deutschland leidet schwer am Krieg: Angst, Not, Inflation. Schwere Kost für Sandra Maischbergers Talk-Runde! Die Gäste:
Prof. Marcel Fratzscher (51). Der Wirtschaftsforscher, laut Wikipedia „für seine Nähe zur SPD bekannt“, schimpft: „Die Marktwirtschaft funktioniert nicht!“
Hermann-Josef Tenhagen (59). Der Chefredakteur („Finanztip“) rät Verbrauchern, darauf zu setzen, dass „die Regierung mit ihrer Gaspreisbremse um die Ecke kommt und eine spezifische Lösung findet.“ Hoffentlich!
Florian Schroeder (43). Der Kabarettist lästerte im Mai bei „Maischberger“ über den Kanzler ab: „Da eiert einer herum!“ Was sagt er heute?
Eva Quadbeck (52). Die Vize-Chefredakteurin (Redaktionsnetzwerk Deutschland) stellte vergangenen Donnerstag bei Maybrit Illner kühl und trocken fest: „Die Ampel hat keine Mehrheit mehr!“
Jan Fleischhauer (60). Der Kolumnist („Focus“) vergleicht Putins Annexionsshow mit dem berüchtigten „Sportpalast“-Auftritt des Nazi-Propagandaministers Goebbels von 1943 („Wollt ihr den totalen Krieg?“).
Viktoria Bakhur (34). Die ukrainische Deutschlehrerin berichtet aus dem zerbombten Mariupol: „Die Flugzeuge griffen immer um vier Uhr morgens an!“
Xenia Fomina. Die Schülerin flüchtete im Auto zwei Wochen lang durch Bomben und Granaten.
Studio, Deko, Beleuchtung: Heute alles voll in Violett. Die Buß- und Leidensfarbe steht für den tödlichen Ernst der Lage.
Bissigstes Intro
Die Gäste lassen sich nicht leicht beeindrucken, schon gar nicht vom „Doppel-Wumms“ des Kanzlers. „Infantil! Albern! Kindliches Niveau!“ wettert der Kabarettist drauflos und spottet: „Man wartet darauf, dass Putin in der Ukraine Ritzeratzedong macht!“
Schröders unschöner Verdacht: „Darin zeigt sich eine Auffassung von Politikern, wie die Wähler oder das Volk wahrzunehmen sind, nämlich als Kinder, denen man Erwachsensprache nicht mehr zumuten kann. Man hat das Gefühl, man muss nur zu Burger King, holt sich was ab und dann ist alles gut. Ich würde mir ein bisschen mehr Erwachsenheit wünschen!“
Größte Verpuffungsgefahr
Journalistin Quadbeck übernimmt das Buß-Violett sogar als Pulloverfarbe. „Das ist der Versuch, etwas zu sagen, das haften bleibt bei den Leuten“, begründet sie das flapsige Wording des Kanzlers. „Er hat ja auch schon mehr solche Sprüche gebracht: Die Bazooka, You never walk alone…“
Ihre Kritik: „Ansonsten ist Scholz ja sehr nüchtern, sehr technokratisch in seiner Art zu kommunizieren. Ich halte das für schwierig, weil, er suggeriert ja etwas sehr großes, und nun muss er aufpassen, dass das nicht als Tischfeuerwerk endet.“ Uff!
Lautester Alarmruf
„Scholz will jetzt volkstümlich wirken“, analysiert Kolumnist Fleischhauer, „weil er immer so technokratisch ist. Er heißt ja auch der ‚Scholz-o-Mat‘. Ich frage mich eher: Wo soll es hinführen?“
Denn, so der Mann vom „Focus“: „200 Milliarden sind fast die Hälfte des normalen Bundeshaushalts. Ab April läuft die Kernkraft nicht mehr. Der Kohleausstieg wird auf 2030 vorgezogen. Wenn wir das weiter machen, haben wir diese Art von Doppel-Wumms jedes Jahr, und das kann nicht mal die reiche Bundesrepublik stemmen!“
Schrecklichste Vorstellung
Schröder setzt noch einen drauf: „Das ist ein Placebo“, urteilt er über das Kanzler-Gewummse. „Ähnlich wie die eingesprungene Wortwahl ‚You never walk alone‘, was mir immer Angst macht, wenn ich mir vorstelle, dass jetzt dauernd Olaf Scholz neben mir herläuft. Ich möchte das nicht. Ich möchte dann doch lieber alleine laufen.“ Dafür gibt’s den ersten Beifall.
„‚You never walk alone‘ ist nicht für jeden etwas Ermutigendes“, sekundiert Fleischhauer. „Der eine oder andere fröstelt dann auch. Und die 200 Milliarden, das ist ja nicht das Geld von Olaf Scholz und seinen Ministern, sondern das wird am Ende bei uns wieder eingesammelt!“
Professionellster Showbeitrag
Dann amüsiert der Kabarettist das Publikum mit einer Parodie des Wirtschaftsministers: „Ja, die Gasumlage haben wir acht Wochen, ich wollte das wirklich, aber jetzt haben wir eine Gaspreisbremse, aber die Umlage ist keine Bremse, aber jetzt bremsen wir die Umlage aus!“ Dafür Szenenapplaus und Jubelrufe.
Schröders versöhnliches Urteil: „Ich finde es schön, dass wir einen Leidens- und Schmerzensminister auch im Gesicht haben.“ Har har!
Düsterste Prophezeiungen
„Es wird schwierig, und es wird teuer“, warnt Spar-Experte Tenhagen dann Medien-Board und Publikum. Sein Tipp: „Der einzelne Verbraucher kann im Augenblick nur das tun, dass er Energie spart und sagt. Ich gehe zu meinem Grundversorger, dann wird’s nicht ganz so teuer, dann kostet es nur doppelt so viel wie letztes Jahr und nicht fünf Mal so viel.“
„Unsere Unternehmen merken: Sie haben viel höhere Kosten als die Unternehmen in Amerika oder Asien“, warnt Prof. Fratzscher. „Und sie können nicht planen, denn wir wissen nicht, wie es ausgestaltet ist.“
Seine Befürchtung: „Die Wirtschaft bricht ein. Es gibt keine gute Lösung. Aber nichts zu tun wäre noch schlechter.“
Hilfloseste Kommentare
Chefredakteur und Wirtschaftsprofessor habe offenbar in der Maske die Fußbekleidung getauscht, denn Tenhagen trägt schwarze Schuhe zu braunen Hosen, der Professor wiederum braune Schuhe zum dunkelgrauen Anzug. „Das Ideale wären Direktzahlungen für Bürger und Unternehmen“, schlägt Fratzscher vor. „Aber die Politik hat keine Instrumente.“
Tenhagen rät Verbrauchern, denen jetzt die Abschläge erhöht werden: „Die Leute sollen die Briefe erst mal zur Seite legen und warten, was sich daran noch ändert. Zum Beispiel die Mehrwertsteuer. Der Abschlag ist nur ein Vorschlag.“ Heißt: Nicht gleich alles bezahlen!
Verheerendste Vision
Der Wirtschaftsforscher hat bedrückende Zahlen dabei: 8-9 Prozent Inflation in diesem und auch noch im nächsten Jahr, heißt 4-5 Prozent Realeinkommensverlust. Der Mindestlohn werde „eine ganze Menge auffangen können“, doch sei es eine „höchst unsoziale Inflation“.
Größte Gefahren, so Prof. Fratzscher: „45 Prozent unserer Wirtschaftsleistung sind Exporte, aber Wettbewerber überall in der Welt haben jetzt viel niedrigere Energiekosten. Wir brauchen einen viel schnellerer Ausbau der Erneuerbaren und müssen massiv in die Transformation investieren!“
Härtestes Merkel-Bashing
Der nächste ARD-Einspieler zeigt die Altbundeskanzlerin mit der vorauseilenden Forderung, dass „wir an einer gesamteuropäischen Sicherheitsarchitektur unter Einbeziehung Russlands arbeiten müssen.“
Fleischhauer ist sofort auf Zinne: „Was mich daran stört, ist, dass jetzt ausgerechnet Frau Merkel wieder Vorschläge machen muss über unser Verhältnis zu Russland“, poltert er. „Alle Kanzler haben im Alter eine gewisse Dickfelligkeit entwickelt, aber ihre Dickfelligkeit ist exzeptionell!“
Unredlichster Vorwurf
„Als sie Kanzlerin wurde, lag unsere Abhängigkeit von Russland bei 42 Prozent, als sie aufhörte, bei 55 Prozent“, rechnet der „Focus“-Mann vor. „Es war Frau Merkel, die unsere Gasspeicher an Russland verkauft hat. Dass sie jetzt da wieder sitzt und Vorschläge macht, finde ich atemberaubend.“
Oha! Die Fangruppe reagiert sofort. „Das war nicht Frau Merkel, sondern Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel“, widerspricht Quadbeck eifrig. „Die Genehmigung hat das Wirtschaftsministerium erteilt. So viel Redlichkeit muss sein.“
Wie jetzt: Gabriel war‘s, ohne die Kanzlerin? Oder vielleicht sogar gegen sie? Hat Merkel das damals am Ende gar nicht richtig mitgekriegt? Irgendwie verdaddelt, trotz Richtlinienkompetenz? Ächz!
Bewegendste Berichte
Zum Schluss kommen auch die Opfer der naiven Vogel-Strauß-Politik des Westens dran. Lehrerin Bakhur hat drei Wochen in einem kalten Hochhauskeller ausgeharrt, bis ihr und ihrer Familie endlich die Flucht aus dem zerbombten Mariupol gelang – im halb zerstörten Auto, blinde Windschutzscheibe, durch Trümmerberge, vorbei an Leichen.
„Ich kann nicht sagen: Ist das wirklich in der Realität passiert, oder war das ein Alptraum?“, schildert ihre Schülerin Xenia. Wie ihrer Lehrerin gelang auch ihr die Flucht nach Deutschland dank der Gesamtschule Wittmund und ihres Leiters Reinhard Aulke, der vielen Ukrainern half, der Hölle des Krieges zu entkommen.
Emotionalstes Schlusswort
„Ständige Bombenangriffe“, erzählt die Lehrerin. „Du hörst die Flugzeuge, raus aus dem Auto, auf den Boden, Gesicht nach unten. Die Bomben fallen im Radus von vielleicht einem Kilometer. Dann zurück zum Auto und weiter. Für eine Reise von vier, fünf Stunden waren wir zwei Wochen unterwegs.“
„Ich warte darauf, dass unsere ukrainische Armee Mariupol befreien kann“, sagt sie zum Schluss voller Hoffnung. „Es gibt viele Patrioten, die noch dort sind, aber keine Chance haben, die Stadt zu verlassen. Die warten. Ich bin sicher, die ukrainische Armee schafft das.“
„Die Ukraine ist ein sehr starkes Land mit einem sehr starken Volk“, fügt ihre Schülerin hinzu. „Wir kämpfen, und wir werden bestimmt gewinnen.“ Das in Gottes Ohr!
Zitat des Abends
„Den Scholz aus der Ruhe zu bringen ist ja fast unmöglich.“ Jan Fleischhauer
Fazit
Krisenstab ohne Schlafsäcke, Argumente ohne Scharten und Emotionen ohne Bart im klugen Mix aus Pointen, Wahrheit, Schreck und Freude. Das war eine Talkshow der Kategorie Torsten Sträter: „Kamma nomma kuckn“.