Elf Tage vor der Kapitulation am 8.Mai wollen die Engländer Bremen den „Coup de Grace“ versetzen: Die Stadtteile Oberneuland, Horn, Schwachhausen und Findorff sind erobert, nun soll die 43.Wessex-Division die Befehlsbunker von Militär und Regierung im Bürgerpark besetzen.
Doch der „Gnadenstoß“ gerät zum Gemetzel: Plötzlich rattern deutsche Maschinengewehre los, zwölf Angreifer bleiben liegen. Denn um die Bunker haben sich die letzten tausend Verteidiger verschanzt, in ausgebauten Infanteriestellungen, bestückt mit jeder Menge Munition. Gleichzeitig nehmen Scharfschützen aus den oberen Stockwerken der Villen und Häuser die Angreifer unter Feuer.
Die letzte Schlacht beginnt. Weil die Brücken im Park keine Panzer tragen, kämpfen sich die Briten mit Flammenwerfern vor. Um 22 Uhr stürmen sie in Höhe der Benquestraße den Bunker des Standortkommandanten, Generalmajor Werner Siber (53).
„Siber entsprach dem Typ des fanatischen NS-Offiziers, dem aber fast alle Fronterfahrung fehlte“, schreibt Hartmut Müller in seinem Standardwerk „Kriegsende in Bremen“. „Als sich die britischen Truppen der Stadt immer mehr näherten, wurde daher General Fritz Becker, der zuletzt eine Infanteriedivision im eingeschlossenen Danzig befehligte, als Kampfkommandant nach Bremen beordert und mit der Verteidigung ‚bis zum letzten Blutstropfen’ beauftragt.“
Becker lässt Kaiser- und Lüderitzbrücke sprengen. Walzensperren sollen die Zufahrtsstraßen verriegeln, an Straßensperren „Panzer-Nahbekämpfungstrupps“ aus 15- und 16jährigen Hitlerjungen die Tanks in die Luft jagen. Doch nichts kann die Engländer aufhalten, und Generalmajor Siber versucht das gar nicht erst.
Die Eroberer finden, so Hubert Essame in seiner Divisionschronik „The 43nd Wessex at War“, einen mit Soldaten überfüllten „Kaninchenbau“ aus unübersichtlichen Treppen und kleinen Räumen vor: „30 Offiziere und Siber warteten fatalistisch in einem karg möblierten Raum auf das Ende, vor sich lauter leere Sektflaschen.“
Am Morgen des 27.April nehmen sich die Briten den zweiten großen Bunker vor, den des Kampfkommandanten in Höhe der Bulthaupstraße. Becker und sein Stab sind in einer hoffnungslosen Lage: Sie wissen nicht, was draußen vorgeht, ihre Befehle erreichen niemanden, zudem sind die völlig übermüdeten Offiziere tief zerstritten. Die einen wollen bis zum letzten Blutstropfen kämpfen, die anderen kapitulieren – auch wenn sie vorher ihren Kommandanten erschießen müssen.
Zivilisten aus den umliegenden Straßen, die bei Luftangriffen in Beckers Hochbunker Schutz fanden, berichten von gespenstischen Gelagen an reich gedeckten Tischen in einer Atmosphäre aus Verzweiflung und Galgenhumor. Die Engländer umstellen den Betonklotz von allen Seiten. Der Kampfkommandant, von der Entwicklung überrollt, erweist sich als unfähig, eine Entscheidung zu treffen. Ein Oberst schickt einen Major mit weißer Fahne vor die Tür. Hinter ihm treten die anderen Offiziere ins Freie, der Kampfkommandant mit Hitlergruß.
Als die Briten auch den Bunker des Gauleiters an der Parkallee durchsuchen, finden sie ein totes Paar. Sie glauben, sie hätten im „Nazi-Headquarter“ den „Chief-Nazi“ entdeckt, doch das ist ein Irrtum: Nazi-Gauleiter Paul Wegener hat sich bereits am 21.April nach Flensburg abgesetzt, und NS-Kreisleiter Max Schümann, den Bremern wegen seiner fanatischen Durchhalteparolen besonders verhasst, macht sich am 25.April nach Ostfriesland davon. Wer die beiden Selbstmörder waren, bleibt unbekannt.
Mit der Eroberung der Bunker ist für die Briten der Kampf um Bremen zu Ende. Sie wissen zwar, dass im Norden der Stadt noch deutsche Soldaten stehen, aber es interessiert sie nicht mehr: Ihr Hauptoperationsgebiet ist die Lüneburger Heide, und Feldmarschall Montgomery möchte so schnell wie möglich über die Elbe, um den in Mecklenburg vorstoßenden Russen den Weg nach Dänemark abzuschneiden – er weiß: Was die Rote Armee einmal besetzt hat, gibt Stalin nicht wieder her.
Viele der im Kampf um Bremen eingesetzten Einheiten bleiben im Umland und dürfen sich erst einmal ausruhen. Ein Chronist der „Somerset Light Infantry“ sieht es sportlich: „Ein schöneres großes Finale als Bremen hätten wir uns nicht wünschen können.“ Den Bremern ist nicht nach Sprüchen: In den letzten fünf Tagen kamen 220 Soldaten und 540 Zivilisten um, legten Bomber und Artillerie noch einmal viele Häuser in Schutt und Asche. Bremen ist besiegt, Bremen ist besetzt, Bremen ist befreit – aber noch immer sind die Leiden der Stadt nicht zu Ende.
Morgen: „Es gab keine einzige weiße Fahne!“