„Anne Will: Führung in Krisenzeiten – welche Politik braucht Deutschland jetzt?“ ARD, Sonntag, 17.Januar 2021, 21.45 Uhr.
Die SPD-Co-Chefin Saskia Esken hat in der ARD-Talkshow „Anne Will“ am Sonntag angekündigt, Firmen notfalls gesetzlich zur Einführung bezahlter Heimarbeitsmöglichkeiten zu zwingen.
Wörtlich sagte die Politikerin: „Wir werden in den
Unternehmen möglicherweise über den Appell hinaus jetzt Home Office auch anordnen müssen!“
Die erste Elefantenrunde im Großwahljahr 2021! Anne Will trommelte vier Parteichefs und einen fünften Spitzenpolitiker zusammen:
Hessens Regierungschef Volker Bouffier ist bei der Union die Bassstimme der Vernunft.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder setzt auch bei Corona auf klarste Kante.
Esken hat vor allem die Interessen der Arbeitnehmer im Scharfblick.
Grüne-Parteichef Robert Habeck dringt in der Krisenzeit mit seinen Zukunftsthemen nicht so recht durch.
FDP-Partei– und Fraktionschef Christian Lindner kämpft immer feste um die bürgerlichen Freiheiten.
Die wichtigste Stimme blieb stumm: der Wähler. Denn wegen Corona laufen alle Talks schon lange ohne Studiopublikum.
Aktuellste Frage
Will wertete die Wahl des CDU-Chefs als Vorentscheidung für die Kanzlerkandidatur: „Ist Markus Söder aus dem Rennen?“ fragte sie spitz.
Doch der Polit-Routinier Bouffier ließ sich nicht aus der Ruhe bringen: „Die CDU ist die größere Partei, aber wir sind eine Union“, antwortete der Altmeister. „Wir können nur erfolgreich sein, wenn wir beide das volle Gewicht auf die Rampe bringen.“
Interessanteste Info
Doch der Hesse hatte auch einen Zeitplan dabei: „Jetzt müssen sich Armin Laschet und Markus Söder erst einmal verständigen“, erklärte er. „Nach meiner Vorstellung machen wir das nach Ostern.“ Heißt: Drei Wochen nach den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz.
„Sie wollten es aber eigentlich früher!“ piekste ihn die Talkmasterin an.
„Ja“, gab der Hesse zu. „Aber die Dinge müssen sich ja entwickeln…“
Wichtigster Hinweis
Verhörspezialistin Will hielt Bouffier noch mal die Lampe ins Gesicht: „Wenn sich die CDU ernst nimmt, und wenn sich auch Armin Laschet ernst nimmt, dann muss er jetzt nach der Kanzlerkandidatur greifen!“ behauptete sie.
„Ich verstehe ja, dass Sie jetzt gern eine Aussage haben wollen“, lächelte der CDU-Weise. „Aber am Ende entscheidet: Mit wem werden wir den größten Erfolg haben?“ Denn: „Wir wollen nicht Umfragen gewinnen, sondern die Wahlen!“
Eleganteste Vermeidungsstrategie
In München musste Söder zur ARD-Vernehmung. „Haben Sie noch eine Chance, wenn Laschet wirklich will und zugreift?“ fragte Will süffisant.
„Armin Laschet und ich haben jetzt schon zwei Mal telefoniert“, lächelte der Bayer, aber: „Wir haben jetzt Pandemiebekämpfung als ersten Tagesordnungspunkt!“
Außerdem, so Söder: „Die Umfragen jetzt sind nicht relevant für die Frage, was in einigen Monaten ist. Wir müssen auch inhaltliche Leitentscheidungen treffen. Wir können nicht einfach nur einen Gemischtwarenladen anbieten!“
Cleverstes Ablenkungsmanöver
Danach sagte Söder zur Kanzlerkandidatur noch: „Es kommt nicht auf das Ego eines Einzelnen an!“
Die Talkmasterin wollte ihn trotzdem weiter triezen: „Noch mal die erste Frage, auf die Sie nicht geantwortet haben: Haben Sie noch eine Chance?“
Der Grüne-Chef grinste in Breitwand, doch Söder parierte clever: „Der Herr Habeck sitzt da und freut sich über die Frage. Die werden Sie ihm sicher auch gleich stellen: Wird’s er? Oder wird’s Frau Baerbock?“
Coolste Selbstbeschreibung
„Haben Sie es denn für sich entschieden?“ bohrte Will noch ein allerletztes Mal.
„Ich bin fest entschlossen…“ antwortete Söder energisch und fuhr nach einer spannenden kleinen Kunstpause fort: „…dass ich das mit Armin besprechen will!““
Das Initiativrecht liege natürlich bei der CDU, sagte der Bayer noch, denn „wir sind ja nur die kleinere, charmantere Schwester…“ Da grinsten auch die anderen. A Hund is er scho!
„Wir nehmen’s, wie es kommt“, kommentierte Habeck die Kanzlerfrage, schmiss aber sofort eine Geruchsbombe in den Saal: „Herr Merz hat nicht gleich gesagt, o.k., die zweite schlechte Rede, ich ziehe mich jetzt mal zurück, sondern er hat rumgestänkert!“
Außerdem habe der polnische Oppositionsführer Donald Tusk bei der CDU „inständig darum gebeten“, den auch bei der deutschen Linken verhassten ungarischen Regierungschef Viktor Orbán „endlich aus der EVP rauszuwerfen“. Echt jetzt? Was hatte das denn mit dem Talk-Thema zu tun?
Originellster Vergleich
Auch Lindner schlägt für Laschet Pflöcke ein: „Wenn die CDU in Nordrhein-Westfalen mit der FDP gewinnt, das ist so ähnlich, wie wenn die CSU in Bayern eine absolute Mehrheit hätte!“ orgelt der Liberale.
Kritischster Kommentar
Esken suchte das Haar in der Suppe: Das Ergebnis für Laschet bei der Wahl des CDU-Vorsitzenden sei „ja nicht so eindeutig gewesen“, meint die SPD-Chefin.
Ihre bissige Analyse: „Die Idee von Herrn Merz, er könne jetzt das Wirtschaftsministerium übernehmen, hat ja gezeigt, dass da noch ziemlich viel Spaltpilz vorhanden ist!“
Klügster Konter
„Das war die Rede seines Lebens. Aus meiner Sicht genial“, rühmte Bouffier seinen neuen Parteichef. Als nächstes würden CDU und CSU jetzt ein gemeinsames Programm aufstellen.
Dann nahm der Hesse die nur äußerst knapp siegreiche SPD-Co-Chefin aufs Korn: „Verehrte Frau Kollegin Esken: Der Armin hat 52 Prozent bekommen. Die SPD ist einen ziemlich langen Weg gegangen, und wenn ich es richtig weiß, haben die Sieger 22 oder 23 Prozent bekommen.“ Rumms!
Wichtigste Ansage
Im zweiten Teil geht es um Corona: „Es kommt darauf an, dass wir die bisher ergriffenen Maßnahmen auf jeden Fall verlängern werden“, kündigte Esken an. „Dass wir ihre Durchsetzung noch besser kontrollieren und noch stärker forcieren!“
Und wieder Zoff
„Da hat mich etwas verwundert, dass die CDU/CSU unseren Vorschlag von Hubertus Heil, ein Recht aufn Home Office zu gewähren, so vehement abgelehnt hat!“ schimpfte Esken noch.
„Wir sollten auf die Profis hören“, grätschte Söder sie ab. „Die Gewerkschaften, Frau Esken, sagen auch, dass sie jetzt keine Verpflichtung haben wollen!“
Standpauke des Abends
„Was wir brauchen, ist Home Office so viel wie möglich und wo immer es geht“, forderte Söder. „Aber nicht mit einer gesetzliche Verpflichtung, sondern stattdessen mit steuerlichen Erleichterungen. Wir sollten Anreize setzen!“
Sein Ärger: „Es ist immer das Grundproblem, das wir in Deutschland hatten: Manchmal zu spät begonnen, und am liebsten schon aufhören, bevor die gesamte Therapie abgeschlossen ist!“
Söders Credo: „Nur was für alle gilt, ist verständlich, fördert die Akzeptanz und ist auch gerecht.“
Spannendste Vorschau
Zur vorgezogenen Runde der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin kündigte Bouffier an: „Wir werden morgen auch aus Großbritannien die Wissenschaftler dabei haben. Da wird es darum gehen: Welche Erkenntnisse habt ihr?“
Sein Fahrplan: „Wenn wir diese Basis morgen haben, dann beraten wir untereinander. Dann muss man schauen: Was geht in der Praxis?“
Bouffiers ruhige Schilderung passte Will nicht in die Dramaturgie: „Ich staune über Ihre Gelassenheit!“ patzte sie ihn an.
„Besonnenheit!“ verbessert der Ministerpräsident kühl. „Besonnenheit, nicht Gelassenheit!“
Energischste Forderungen
Esken bleibt noch beim Home Office: „Der Straßenkehrer kann nicht zu Hause kehren, sonst ist die Straße nicht sauber“, gab sie zu. „Aber wir müssen wirklich zusehen, dass wir wesentlich weniger Menschen im ÖPNV haben!“
Und, so eine weitere Forderung der SPD-Chefin: „Ich denke, dass auch die Unternehmen die Pflicht haben, ihre Mitarbeiter zu testen, ein bis zweimal die Woche!“
Säuerlichste Beschwerde
Habeck verschaffte seinem Ärger Luft: „Dass die Gesellschaft im Frühjahr zusammengehalten hat, lag daran, dass es eine Art Demut der Politik gab, und nicht so einen stolzen Ton ‚Wir haben das alles im Griff, ihr müsst euch nur mal wie unerzogene Kinder daran halten, was wir uns alles Tolles ausdenken!‘“
„Die Ausgangssperre pauschal und flächendeckend ist ein zu scharfer Freiheitseingriff!“ wetterte Lindner. „Das halte ich für unverhältnismäßig! Dass wir das überhaupt diskutieren, halte ich für falsch!“
Notruf des Abends
„Wir sind ein freies Land“, beschwichtigte Bouffier. „Wir teilen Freiheit nicht zu!“
Und: „Es ist nicht so, dass jemand von uns glaubt, man müsse die Bevölkerung ständig belehren.“ Vielleicht sei die eine oder andere Entscheidung nicht klug, aber „wir waren noch nie in einer solchen Situation…“
Als der Hesse das dann in aller Ausführlichkeit darlegte, wurde die Talkmasterin nervös: „Wir haben jetzt noch eine Minute!“ ächzte sie.
Doch Bouffier ließ sich nicht bremsen und schnappt sich auch noch das Schlusswort: „Wir sind ein Rechtsstaat!“ rief er mit Emphase. „Wir können nicht von heute auf morgen sagen: Bleibt zu Hause! Ich bin für Home Office, aber gegen Bürokratie.“ Amen!
Fazit: Die Frage Habeck oder Baerbock wurde dann doch nicht gestellt. Und der Talk war auch nicht laut, sondern eher lau, denn die Gäste hatten mehr Gewicht als ihre Aussagen. Das war ein Talk der Kategorie „Viel Mehl und wenig Rosine“.