Vor 75 Jahren, im Mai 1945, kapituliert Hitlers Wehrmacht und machte damit den Weg zum Frieden frei. Nur noch wenige wissen, was damals wirklich geschah.
Die Runde ist hochrangig, das Treffen dramatisch, der Ort historisch, das Ergebnis eine Erlösung: In der Nacht zum 7. Mai 1945 um 2.41 Uhr nimmt der alliierte Oberbefehlshaber Dwight D. Eisenhower in der alten französischen Königsstadt Reims die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht entgegen.
Mit den Unterschriften amerikanischer, sowjetischer, französischer und deutscher Generäle endet zuerst im Westen das schlimmste Massensterben der Weltgeschichte: In sechs Jahren hat der Zweite Weltkrieg 65 Millionen Menschen getötet.
Viele weitere Millionen sind in Gefangenschaft, auf der Flucht oder in zerbombten Städten von Hunger, Krankheit und Kälte bedroht.
Doch als die deutschen Generäle anreisen, hoffen sie immer noch auf ein einigermaßen glimpfliches Ende für Deutschland. Denn: Hitler ist tot, Berlin gefallen, die Wehrmacht aber noch nicht gänzlich ausgeschaltet. Von Norwegen bis Kreta stehen letzte deutsche Soldaten im Einsatz. Und bis auch sie entwaffnet sind, drohen den Siegermächten weitere blutige Opfer.
In Norddeutschland kämpfen Deutsche sogar unter britischem Kommando gegen marodieren Banden aus ehemaligen Zwangsarbeitern. Außerdem hält sich bis zuletzt hartnäckig das Gerücht, die Westalliierten könnten womöglich ihren Kriegsplan ändern und gemeinsam mit den Resten der deutschen Streitkräfte gegen die Rote Armee ziehen: Seit die Nazis besiegt sind, gilt Stalin als der gefährlicherste Feind.
General Eisenhower, der spätere US-Präsident, residiert mit seinem Stab in den Gebäuden des heutigen Lycée Polyvalent Franklin Roosevelt. Die Technik-Schule gleich hinter dem Bahnhof sieht mit ihren Backsteinmauern, dem streng bewachten Tor, den quadratischen Gebäuden und dem riesigen Innenhof wie eine Festung aus.
Am 6. Mai treffen Generaloberst Alfred Jodl, Generaladmiral Hans-Georg von Friedeburg und Major i. G. Wilhelm Oxenius im Hauptquartier der westlichen alliierten Streitkräfte (SHAEF) ein. Großadmiral Karl Dönitz, als Nachfolger Hitlers neuer Reichspräsident, hat seine Delegation allerdings nur zum „Abschluss eines Waffenstillstandsabkommens mit dem Hauptquartier des Generals Eisenhower“ ermächtigt.
Doch damit kommen die Deutschen nicht durch. Denn die Amerikaner wollen unter keinen Umständen darauf verzichten, dass die Besiegten auch vor dem sowjetischen Oberkommando kapitulieren: Zu groß ist die Sorge, Stalin könne die Rote Armee als Reaktion auf mangelhafte Bündnistreue in Gebiete vorrücken lassen, die nach dem Krieg an die Amerikaner und Briten fallen sollen: Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, aber auch Steiermark oder Kärnten.
Eisenhower droht, die deutschen Städte weiter zu bombardieren. Ernüchtert alarmiert Jodl den neuen Reichspräsidenten. Daraufhin beauftragt und autorisiert Dönitz den Generaloberst über Funk, eine bedingungslose Kapitulation zu unterzeichnen.
Die Zeremonie in einem Saal der Schule dauert nur zwei Minuten. Am frühen Morgen des 7.Mai um 2:39 Uhr gibt Jodl an einem langen Holztisch vor riesigen Lagekarten an allen vier Wänden die geforderte Erklärung ab. Um 2.41 Uhr ist die vorbereitete Kapitulationsurkunde in englischer, russischer und deutscher Sprache unterschrieben.
„Wir, die hier Unterzeichneten, die wir im Auftrage der Oberkommandos der Deutschen Wehrmacht handeln, übergeben hiermit bedingungslos dem Obersten Befehlshaber der Alliierten Expeditionsstreitkräfte und gleichzeitig dem Oberkommando der Roten Armee alle gegenwärtig unter deutschem Befehl stehenden Streitkräfte zu Lande, zu Wasser und in der Luft“, heißt es in der Urkunde. „Das Oberkommando der Deutschen Wehrmacht wird unverzüglich allen deutschen Land-, See- und Luftstreitkräften und allen unter deutschem Befehl stehenden Streitkräften den Befehl geben, die Kampfhandlungen um 23.01 Uhr mitteleuropäischer Zeit am 8. Mai 1945 einzustellen.“
Das ist nicht ganz das, was die Alliierten ursprünglich fordern wollten: In einem Entwurf vom Juli 1944 war vorgesehen, dass Deutschland im Rahmen der Kapitulation alle politischen, administrativen und wirtschaftlichen Hoheitsrechte an die vier Hauptsiegermächte abgeben sollte. Die Urkunde von Reims aber regelt ausschließlich militärische Angelegenheiten.
Am 7.Mai um 12.45 Uhr verkündet Lutz von Schwerin-Krosigk als Leiter der von Dönitz eingesetzten Reichsregierung in Flensburg-Mürwik im Reichssender Flensburg zum ersten Mal von deutscher Seite aus das Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa.
Die Kapitulation tritt erst am nächsten Tag in Kraft, weil es Zeit braucht, alle Truppen zu informieren. Deshalb wird im Westen der 8.Mai als VE-Day (Victory in Europe-Day) gefeiert. Es ist aber nur der halbe Frieden: Stalin beanstandet sofort, dass die Urkunde nur von Jodl, nicht aber von den Oberbefehlshabern der einzelnen Teilstreitkräfte der deutschen Wehrmacht unterzeichnet ist. Deshalb verlangt er eine zweite Zeremonie, diesmal in Bereich seiner eigenen Truppen.
Am 9. Mai um 0:16 Uhr wird am Sitz des Oberkommandierenden der Roten Armee in Deutschland, Marschall Georgi Konstantinowitsch Schukow, in der ehemaligen Pionierschule I in Berlin-Karlshorst eine weitere Urkunde unterzeichnet. Für das Oberkommando der Wehrmacht und das Heer unterschreibt Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, für die Kriegsmarine Generaladmiral Hans-Georg von Friedeburg und für die Luftwaffe Generaloberst Hans-Jürgen Stumpff.
Mit ihnen unterzeichnen wiederum amerikanische, russische und französische Generäle. Die Kapitulation ist auf den 8. Mai 1945, 23:01 Uhr rückdatiert, doch feiern die Russen seither den 9.Mai als „Tag des Sieges“ über die Nazis.
Der Begriff „Stunde Null“ setzt sich erst später durch. Ursprünglich bezeichnet er einen Tiefstpunkt absoluter Hoffnungslosigkeit. Später steht er jedoch eher für einen Start in eine bessere Zukunft.
Die Wehrmacht nach der Kapitulation
Am 8.Mai 1945 stehen deutsche Truppen noch in Norwegen, Dänemark, den Niederlanden, Tschechien, Norditalien und Kurland (Lettland).
Einzelne Verbände wie die 8. Armee kämpfen auch in Deutschland noch einige Tage weiter gegen die Rote Armee, um möglichst viele Soldaten und Flüchtlinge nach Westen zu retten.
In Norddeutschland setzen die Engländer deutsche Infanterie-Einheiten gegen marodierende Banden aus ehemaligen Zwangsarbeitern ein.
Auf der niederländischen Insel Texel sind deutsche Truppen noch bis zum 20.Mai gegen Georgier im Einsatz, die ursprünglich als Hilfstruppen gegen die Rote Armee angeworben worden waren.
Der Westen der Insel Kreta kämpfen deutsche und britische Truppen bis Juni 1945 gemeinsam gegen kommunistische Partisanen.
In Süddeutschland setzen die Alliierten noch bis Ende August deutsche Feldjäger ein.
Als letzte Wehrmachteinheit gibt am 8.September auf Spitzbergen im Polarmeer der Wettertrupp „Haudegen“ auf.