Geschichte

Das Kriegsende in Bremen: Bis zum letzten Blutstropfen und bis zur letzten Patrone

Vor 75 Jahren, am 16.April 1945, treten die alliierten Truppen zum Kampf um Bremen an. Nach 165 Luftangriffen liegen weite Teile der Stadt in Trümmern. Doch noch immer leisten deutsche Truppen erbitterten Widerstand.

„Wir hatten ja im ganzen Dorf SS. Die wollten bei uns Munition hinpacken. Bei Wulfs lag alles voll, und wenn die da hochginge, dann flögen die Nachbarn mit. Ja, ist gut, sagte Mutti, aber bitte nicht auf den Hof. Nach der Seite ist der Luftschutzkeller. Rund um die Kirche lauter Stapel, Handgranaten, Eierhandgranaten, Kanonenkugeln, 8,7 cm, 7,7 cm, und Gewehrmuni und Pulver…“

„Für vier Wachtmeister musste Onkel Steding ein Schwein schlachten. Den Leuten, die im Dorf mit Rädern fuhren, wurden sie abgenommen. Und als am Sonntag der starke Beschuss einsetzte, saßen die Offiziere bei Boden-Meyers im Keller und soffen, und die armen Kerl von 16  und 17 Jahren konnten draußen sterben.“

So schildert die 14jährige Pastorentochter Barbara Schmidt den Kampf um Brinkum vom 16. bis zum 18. April 1945. In dem Städtchen und seiner Umgebung liegen Bremens südlichster Verteidigungsstellungen. Für drei lange Tage wird die ländliche Idylle zum Inferno.

Es ist ein ungleicher Kampf: „Zwei britische Divisionen waren es schließlich, die 3.Infanteriedivision und die 51.Highland-Division, die am 14.April mit 37.000 Mann, über 100 Panzern, Hunderten von Geschützen und Granatwerfern sowie den gefürchteten Flammenwerfern antraten“, schreibt Hartmut Müller in seinem Standardwerk „Kriegsende in Bremen“. Dieser gewaltigen Übermacht „standen nur schwache Kräfte, im Wesentlichen die Soldaten des 18.SS-Panzergrenadier-Ersatz-und-Ausbildungsbataillons sowie die Besatzungen auf Erdbeschuss umgestellter Flakbatterien, Volkssturmeinheiten und Hitlerjungen, zusammen kaum mehr als 2000 Mann, gegenüber.“

Am 8.April fallen Bassum und Syke, doch dann stoßen die Briten zum ersten Mal auf härteren Widerstand: SS-Grenadiere können die Hauptkampflinie Kirchweyhe-Leeste-Brinkum lange gegen alle Angriffe halten –  zum großen Entsetzen der Bauern.

„Wir hockten zu viert, meine Mutter, meine Schwester mit dem Baby und ich, im Schützenloch“, erinnert sich Annemarie Heyduck aus Leeste später an die Nacht, in der ihr Elternhaus abbrannte. „Mein Vater lag neben uns und häufelte mit seinen bloßen Händen die Erde höher um unser Versteck. Kugeln pfiffen haarscharf über unsere Köpfe hinweg. Und in all dem Trommelfeuer und Geknalle das Schreien des Babys und das herzzerreißende Weinen seiner Mutter!“

Die Rettung kommt vom Feind: „Die Panzer krochen Meter um Meter vorwärts und hatten uns erst nach vier Stunden erreicht. Mein Vater sprang als Erster hoch, um mit einem weißen Tuch zu winken. Meine Mutter und ich versuchten uns aus der Hockstellung aufzurichten. Meine Schwester war nicht gleich in der Lage dazu, da sie ja ihr Baby schützend im Schoß gehalten hatte. Das Köpfchen des Kindes war mit einer Wolldecke umwickelt, auch zum Schutz gegen die Kälte. Ein englischer Panzersoldat öffnete die Panzerluke und rief fragend und drohend zugleich, auf die Wolldecke zeigend: Soldat, Soldat! Daraufhin machte meine Schwester das Köpfchen des Babys frei. Mitleidige Blicke der Panzerbesatzung fielen auf meine Schwester und das Kind. Außer der Veranda bestand unser Haus nur noch aus Asche, aber wir lebten!“

Die britischen Spitzen bleiben stehen, und die Truppen werden umgruppiert – für den letzten, entscheidenden Vorstoß nach Bremen. Nach 165 Luftangriffen liegen weite Teile der Stadt in Trümmern. Noch am 30.März zerstört ein Hagel von Spreng- und Brandbomben die Eisenbahn- und die Adolf-Hitler-Brücke über die Weser.

Noch immer ist die Stadt ein lohnendes Angriffsziel: 40.000 Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter schuften in der Rüstungsindustrie, nieten Flugzeuge bei Fokker-Wulf, Panzer bei Borgward oder U-Boote bei der AG Weser.

Mächtigster Mann ist der fanatische Nazi Paul Wegener, Gauleiter Weser-Ems und Reichsstatthalter von Oldenburg und Bremen. Kampfkommandant ist General Fritz Becker, zuletzt Kommandeur einer Infanteriedivision im eingeschlossenen Danzig. Sein Befehl lässt keinen Zweifel zu: „Ich verpflichte Sie hiermit bei Ihrer Soldatenehre, den Ihnen anvertrauten Verteidigungsbereich unter Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Mittel und unter bedingungslosem Einsatz Ihrer Person mit der Ihnen unterstellten Besatzung bis zum letzten Blutstropfen und zur letzten Patrone, auch bei völliger Einschließung durch den Feind, zu verteidigen und zu halten!“

Hitlerjungen bauen Panzersperren, Frauen heben Schützengräben aus, Volkssturm-Männer aus dem Ersten Weltkrieg schleppen Sprengstoff zu den Brücken. Außerdem wollen die Nazis die Dämme durchstechen und das Land zwischen Weser und Ochtum fluten. Zweifelnde Reden bestraft das Sondergericht, „Feigheit“ und Flucht das Standgericht.

Brinkum liefert einen Vorgeschmack dessen, was Bremen erwartet. „Zehn Stunden lang schlugen immer wieder Granaten ein“, schreibt die Pastorentochter, „abends um neun Uhr brannte Boden-Meyer, durch Funkenflug fingen die Kirche und Hillers an. Und wir hatten noch vier Verwundete im Keller. Na, die Kirche brannte, die Männer löschten bei Hillers und trieben das Vieh raus. Die ganze Kirche lag voll Munition, und der eine Soldat riet uns: Sehen Sie zu, dass Sie hier raus kommen. Na und wir wollten raus … Durch Granatlöcher, über Bäume und Blumenbeete, bei Sternen- und Feuerschein…“

Von Bremen aus sind die Kämpfe gut zu verfolgen. Mehrfach meldete der Turmbeobachter an der Hardenbergstraße Bombenangriffe auf die Umgebung der Kirche. Auch die Brände an den Gabelungen der beiden Reichsstraßen in Brinkum sind deutlich zu sehen.

Drei Tage lang wehrt sich Brinkum, dann brechen britische Schützenpanzer und Flammenwerfer den letzten Widerstand. Viele Häuser und Hofe, in denen sich deutsche Soldaten verschanzen, brennen lichterloh.

Die SS geht nach Stuhr zurück. 60 deutsche, 30 britische Soldaten und zwölf Zivilisten sind tot, darunter auch Dorothea Wilhelmine Borchers, 53 Jahre alt. „Am Sonntagabend lief Familie Borchers zu uns herüber“, schildert Pastorentochter Barbara ein paar Tage später in einem Brief, „im selben Moment schlug eine Granate in unser Haus. Ein Splitter traf Oma Borchers ins Herz. Sie war sofort tot. Herr Borchers und Papa legten sie draußen an den Bunker. Dann begann wieder das Trommelfeuer.“

Morgen: „Fast schon tot, keilt der Deutsche eben immer noch aus!“

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