„Maybrit Illner: „Corona: Politik in der Krise – Krise der Politik?“ ZDF, Donnerstag, 16.Dezember 2021, 22.15 Uhr.
Kaum gibt der Booster-Bus so richtig Gummi, droht gleich Leerlauf an der Impfstoffpumpe, und Obertankwart Lauterbach muss schleunigst die Leitungen durchpusten. Maybrit Illners Gäste:
Friedrich Merz (66, CDU). Der Wirtschaftspolitiker ist als Oppositionschef in spe bereits im Attacke-Modus: „Krise wird für diese Bundesregierung ein Dauerzustand sein!“
Lars Klingbeil (43, SPD). Der neue Parteichef will „härter gegen Querdenker und geistige Brandstifter vorgehen“.
Daniel Cohn-Bendit (76, Grüne). Für den Querdenker aus der Generation 1968 ist die Impfung „der beste und der einzige Schutz in Zeiten von Corona“.
Bettina Schausten (56). Die ZDF-Vizechefredakteurin schimpft, die Politik habe zu oft falsche Signale gesendet.
Klingbeil misst 1.96 Meter, Merz sogar 1,98 Meter, doch in Talkshows geht es nicht um Längengrade, sondern um die Breitenwirkung. Das Zoff-o-Meter hofft auf klare Linien!
Zum Start neue Nettigkeiten
„Ich hoffe, dass vieles gleich bleibt, nämlich dass Coronapolitik keine Parteifarben kennt“, puderzuckert Klingbeil seine Zukunftserwartung. „Das war immer ein starkes Signal in diesem Land, dass wir eine Überparteilichkeit hatten, und das sollte so bleiben!“
Merz zahlt mit Süßstoff zurück. Über die Maßnahmen des neuen Gesundheitsministers gegen den unvermuteten Impfstoffmangel urteilt er: „Lauterbach hat heute gesagt, er bestellt, aber ohne jeden Vorwurf an seinen Vorgänger. Das finde ich fair. Das ist in Ordnung.“
Grundsätzlichste Systemkritik
Cohn-Bendit liefet eine unwillkommene Erklärung für die Pandemie-Pannen: „Corona hat uns gezeigt, dass der Föderalismus nicht gut funktioniert hat“, behauptet er.
Den Grüne-Politiker stört, dass „eine Kanzlerin ohnmächtig ist, weil irgendwelche Ministerpräsidenten Angst vor der nächsten Landtagswahl haben“. Sein harter Vorwurf: „Dass da keine zentrale Entscheidung getroffen werden konnte, ist unverantwortlich!“
Dann geht das Zoff-o-Meter los
Die Talkmasterin heizt die Diskussion mit einer Frage zu dem von der Union heftig kritisierten Nachtragshaushalt an: „Sie müssen ja jetzt sogar Gelder umschichten“, hält sie dem SPD-Chef vor. „Milliarden Corona-Gelder will die Regierung jetzt im Grunde zwangsentfremden…“
Prompt vergisst Klingbeil sein Hohelied auf die Überparteilichkeit und streut eine Runde Ätzkalk in den Talk-Acker: „Das wird jetzt eine spannende Debatte“, lästert er, „weil sie sehr viel über das Wirtschaftsverständnis der Union aussagt, das ja sehr altbacken ist.“ Rumms!
Peinlichste Erinnerung
Zur Rache spielt Illner ein Zitat des Ampel-Finanzministers ein: „Wenn man die wegen der Pandemie bestehenden Kreditermächtigungen nutzt, um einen Vorrat anzulegen, für eine neue Koalition, das wäre nicht seriös!“ hatte Christian Lindner vor der Wahl gewettert.
Merz feixt. Bevor Klingbeil den Koalitionspartner verteidigen kann, prescht Cohn-Bendit vor: „Er ist über den Tisch gezogen worden!“, urteilt der Grüne über den FDP-Chef. „Das sollte man mal feststellen!“
Klarsichtigste Analyse
Nach Cohn-Bendit ging das Fingerhakeln so: „Herr Lindner wollte Finanzminister werden. O.k. Herr Lindner wollte die Schuldenbremse einhalten. O.k.“ Aber die anderen hätten nun mal dieses Klima-Programm gewollt.
„Wie macht man das?“, fragt der Grüne in die Runde und gibt gleich selbst die Antwort: „Lindner musste eine Position aufgeben. Und das war die Position des sogenannten Schattenhaushalts. Dass man dieses Geld umwidmet. Das ist ein Koalitionskompromiss!“
Konsequentestes Nachkarten
Die Talkmasterin fragt den SPD-Chef trotzdem, „wie Sie es geschafft haben, dass Christian Lindner innerhalb von drei Wochen das glatte Gegenteil sagt.“ Ihre spöttische Frage: „Was haben Sie ihm gegeben? Darf er jetzt schneller Auto fahren?“
Nicht doch! Klingbeil legt sich gekonnt in die Kurve: Starke Wirtschaft für die nächsten Jahre! Rahmenbedingungen für Investitionen! Schuldenbremse gilt! Aus der Pandemie rauswachsen! Seine lobreiche Zusammenfassung: „Ein kluger Finanzminister macht das so.“ Uff!
Coolster Konter
„Die Union hat das letztes Jahr auch so gemacht“, schiebt der SPD-Chef schnell noch hinterher. Seine nächste Attacke: „Herr Merz, Sie hatten das Problem im Wahlkampf, Sie wollten die schwarze Null einhalten, Sie wollten Investitionen….“
Doch der CDU-Politiker lässt sich auf nichts ein: „Der Wahlkampf ist vorbei“, lächelt er. „Sie haben die Wahl gewonnen. Alles gut!“
„Dieses Land hat kein Geldproblem. Es ist sogar Geld übrig, weil bestimmte Investitionen einfach nicht auf die Straße kommen“, sagt Merz dann zu Klingbeil. „Der spannende Teil wird sein: Schaffen Sie eine Verwaltungsmodernisierung? Schnelle Entscheidungen? Dann haben Sie unseren Respekt!“
Energischster Vergleich
Zum Thema Impfpflicht erinnert Cohn-Bendit an die Corona-Demos in Frankreich: „Es waren 350.000 Leute auf der Straße. Sieben Wochen lang. Da sind diese paar Idioten hier in Sachsen gar nix dagegen!“
Sein ungewöhnliches Beispiel: „Ich darf besoffen nicht Auto fahren. Da könnte man doch immer sagen: Meine Freiheit! Ein Liter Wein, ich komme aus Frankreich, ich vertrage das ganz gut, warum darf ich nicht Auto fahren? Weil du eine Gefährdung sein könntest. Punkt, aus!“
Lustigstes Lauterbach-Lob
„Ich werde für eine allgemeine Impfpflicht stimmen“, kündigt Klingbeil an. Merz ist noch nicht so fest entschlossen: „Wie regeln wir den Vollzug? Wer kontrolliert das eigentlich?“ fragt er.
„Dazu kommt das Risiko, dass man eine Impfpflicht beschließt, und dann einen neuen Impfstoff braucht“, unkt auch Schausten. „Oder nicht genügend Impfstoff hat.“
„Das ist jetzt geregelt“, beruhigt Cohn-Bendit und ulkt über die Warnungen des neuen Gesundheitsministers: „Er hat das gut gemacht. Er hat gewarnt und gleich gesagt: Ich habe die Lösung. Also schauspielerisch war das in Ordnung.“ Heiterkeit in der Runde!
Härteste Kimmich-Grätsche
Den lange Zeit impfunwilligen Nationalkicker Joshua Kimmich vergleicht der Grüne mit Frankreichs Weltklassespieler Kylian Mbappe: „Der ist in die Stadtviertel gegangen und hat gesagt: Lasst euch impfen. Und andere Spieler haben das auch gemacht.“
Cohn-Bendits strenges Urteil über den Deutschen: „Es war nicht sehr klug, wie er sich geäußert hat. Wenn er gesagt hätte: Ich weiß nicht, ich will darüber nicht reden, das wäre o.k. gewesen. Er hat aber zuerst eine Begründung gegeben, und dann musste er zurückrudern.“
„Wobei diese Aussage wiederum sympathisch war“, tröstet Merz. Immerhin!
Verräterischster Versprecher
„Wir erleben gerade eine kleine, sich radikalisierende Gruppe, die gezielt die aktuelle Situation nutzt, um gegen den Staat zu agieren“, warnt Klingbeil dann, „und gegen das Gemeinwohl und den Zusammenhalt in diesem Land zu agieren. Da darf es kein falsches Verständnis von politischer Debatte geben!“
„Im Grunde hat es bei allen großen politischen Entscheidungen Gegenwehr gegeben“, meint Illner dazu, „von Minderwerten.“ Ui! Freud-Alarm! „Von Minderheiten“, verbessert die Talkmasterin eilig.
Knalligste Warnung
„Es wäre ganz gut, wenn diejenigen, die Ärzte sind, sehr sorgfältig wägen, was sie sagen“, mahnt Merz. Denn: „Ich habe gehört, dass Ärzte abraten, sich jetzt impfen zu lassen, Kinder impfen zu lassen.“
Sein Appell an die Mediziner: „Bitte achten Sie auf die Wirkung Ihrer Äußerungen, vor allem, wenn sie öffentlich erfolgen!“
„Warum sollen Ärzte schlauer sein als andere Menschen?“ murrt Cohn-Bendit. Es gebe nun mal Esoteriker und Anhänger der Homöopathie, aber „man kann Krebs nicht heilen mit Lutschbonbons!“
Sein Credo: „In Gefahr und Not bringt der Mittelweg den Tod.“
Spannendstes Finale
„Wir alle gucken auf den morgigen Tag, 14 Uhr“, sagt Illner zum Schluss zu Merz. „Bis heute durften die Mitglieder der CDU entscheiden, wen sie zum künftigen Vorsitzenden haben wollen. Wissen Sie schon was?“
„Wir wissen, dass wir eine sehr hohe Wahlbeteiligung haben“, freut sich der Kandidat. „64 Prozent! Das ist sensationell! Das gibt mir ein gewisses Maß an Zuversicht und Optimismus, dass wir ein gutes Wahlergebnis haben werden…“
Aber: „Wir haben verabredet, dass wir es um viertel vor zwei erfahren, also wenige Minuten, bevor wir an die Presse gehen“, macht Merz klar, „und das ist ein Verfahren, an das wir uns alle halten.“
Und Klingbeil grient: „Wir haben gar keinen Hass. Wir wünschen uns sogar, dass Herr Merz Vorsitzender wird.“ Halleluja!
Fazit
Drastische Demokratie-Stunde ohne feige Fülltexte oder dickfelliges Durchscholzen. Für Freunde öffentlicher Wortkriege, abgefeimter Unterstellungen und fieser Attacken allerdings war dieser letzte Prime-Talk des Jahres eine Show der Kategorie „Boostekuchen“.