„Maybrit Illner: „Coronavirus ohne Grenzen – wie gut ist Deutschland vorbereitet?“ ZDF, Donnerstag, 27.Februar, 22.15 Uhr.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat in der ZDF-Talkshow „Maybrit Illner“ am Donnerstag angekündigt, dass er die Versorgung der Bevölkerung mit Schutzmaterial gegen das Corona-Virus notfalls mit Zwangsmaßnahmen sicherstellen wird.
Schärfste Konsequenz
Wörtlich sagte der Minister, der in der Sendung aus Düsseldorf zugeschaltet war: „Wir tun alles, um zu schauen, was wir in Deutschland an Lagerbeständen haben, und vor alle auch rechtlich sicherzustellen, notfalls auch durch Beschlagnahmung oder Exportverbote, dass jetzt nichts mehr das Land verlässt!“
Auf der ganzen Welt, warnte Spahn, würden jetzt alle Länder Schutzausrüstung bestellen und zum Teil sich gegenseitig abkaufen.
82.000 Infizierte in 50 Ländern, 2810 Tote. Ansteckungstempo immer schneller, Hamsterkäufe, Quarantäne. Maybrit Illner setzt auf eine Info-Offensive. Die Gäste:
Spahn schlug schon am Mittwoch Alarm: „Wir stehen am Beginn einer Corona-Epidemie in Deutschland!“
Niedersachsens SPD-Gesundheitsministerin Carola Reimann beruhigte: „Die Landesregierung und die Gesundheitsbehörden sind gut vorbereitet!“
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, forderte: „Wir müssen alle wachsam sein!“
Christian Drosten, Virologie-Chef der Charité, brachte es auf den Punkt: „Wir müssen Panik vermeiden, aber die Pandemie ist nicht aufzuhalten!“
Die Apothekerfunktionärin Anke Rüdinger berichtete: „Wir müssen viel beraten, viel erklären und viel beruhigen.“
Die Wissenschaftsjournalistin Alina Schadwinkel („Spektrum.de) sah voraus: „Bei Medikamenten kann es zu Engpässen kommen!“
Und der TV-Mediziner Johannes Wimmer („Visite“) hatte dem Gesundheitsminister schon vor drei Wochen bei Illner mächtig eingeheizt.
Szenen wie aus einem Zombie-Film
Zur Einstimmung zeigte Illner Bewaffnete in Flecktarn, Passanten mit Atemmasken, leergeräumte Supermarktregale, Touristen hinter Quarantänegittern, gestoppte Züge, Sanitätspersonal in Ganzkörperschutz.
Kitzligste Frage
„Vor vier Wochen rieten Sie in dieser Sendung zu Gelassenheit“, erinnerte die Talkmasterin. „Waren Sie vielleicht zu gelassen?“
„Ich habe zu Gelassenheit, Aufmerksamkeit und Wachsamkeit geraten“, verteidigte sich der Minister. „Ich habe aber auch immer gesagt: Es könnte sein, dass es noch schlechter wird, bevor es besser wird!“
Härteste Attacke
Damit war Illner aber nicht zufrieden: „Die FDP wirft Ihnen vor, gesundheitliche Gefahren falsch eingeschätzt zu haben und zu zögerlich zu sein!“ sagte sie.
Doch Spahn blieb cool: „Vor zwei Wochen haben alle Fraktionen im Bundestag, auch die FDP, das besonnene Krisenmanagement der Bundesregierung gelobt“, stellte er fest.
Seine Linie: „Mir ist wichtig, dass das jetzt nicht in so einen Oppositions-Regierungs-Streit kommt!“
Gelungenster Gegenangriff
Spahns Beruhigungspille für die Zuschauer: „Das Risiko für die Gesellschaft insgesamt, dass wir mehr Infektionen haben werden, ist gestiegen, das Risiko für den einzelnen allerdings ist weiterhin gering bis mäßig!“
Spahns Botschaft an die Runde: „Diese Balance zu schaffen in der Kommunikation, das ist eben die Herausforderung, vor der wir gemeinsam stehen: Diejenigen, die politisch Verantwortung tragen, aber übrigens auch die Medien.“ Rummms!
Schlimmste Zahl
„Wir wissen nicht, wie viele Infektionen es in China gegeben hat“, sagte der Minister zum Schluss seiner Zuschaltung. „Und das macht es dann auch schwer, eine Todesrate – ein sehr technisches Wort, aber auch ein sehr hartes – auszurechnen. Sie schwankt von 0,5 bis zwei, drei Prozent.“
Schärfste Kritik
TV-Arzt Wimmer machte gleich mit dem Zoff weiter, den er vor drei Wochen mit dem Minister angezettelt hatte: „Wenn ich jetzt höre ‚Beschlagnahmung von Material‘ – das klingt irgendwie komisch im Vergleich zu ‚gut vorbereitet‘“ lästerte er.
Seine Sorge: „Es kann nicht reichen, dass ich sage, also ab jetzt niesen wir alle in die Ellenbeuge!“
Ministerin Reimann warnte vor einer „sehr dynamischen Entwicklung“. Ärzte-Präsident Reinhardt wies darauf hin, dass es Überträger gebe, die keine Symptome zeigten und deshalb kaum zu identifizieren seien.
Hoffungsvollste Erwartung
Talkmasterin Illner teilte mit, dass ein Corona-Test 300 Euro kostet. TV-Arzt Wimmer schlug noch mal Alarm: In den Kliniken gebe es zu wenig Personal.
Virologe Drosten setzte auf das Wetter: „Wir haben die Strategie im Blick, möglichst in die wärmeren Monate reinzukommen, dass dann UV-Strahlung, Trockenheit und das Sich-wieder-mehr-draußen bewegen die Infektionshäufigkeiten herabsetzt!“
Dann ging Zoff-o-Meter doch noch richtig los
„Ich muss wirklich sagen: Diese Diskussion hier macht mich stiller und stiller“, beschwerte sich der Virologe. „Das ist wirklich vollkommen daneben! Das ist ein Suchen nach Problemen, wo wirklich keine sind!“
Denn, so Drosten: „Es ist vollkommener Unsinn, zu fragen, ob Deutschland vorbereitet ist. Die Frage ist: Worauf will Deutschland denn überhaupt vorbereitet sein? In welcher Geschwindigkeit wird sich das Ganze denn abspielen?
Entscheidender Punkt
„Wir müssen uns fragen, in welcher Geschwindigkeit jetzt 60, 70 Prozent der deutschen Bevölkerung mit diesem Virus Erfahrung machen werden“, stellte der Experte fest.
Die Optionen: „Ob das in mehreren Wochen passiert, was das Schlimmste wäre. Oder ob sich das in zwei Jahren abspielt. Dann ist es überhaupt kein Problem. Aber das kann niemand vorhersagen.“
Deshalb: „Irgendwelche aufgeregte Debatten, die können wir schlicht unter dem Begriff Energieverschwendung einordnen!“ schloss Drosten und bekam Beifall.
Illner wollte ihn beschwichtigen: „Man möchte ja nur reagieren“ sagte sie.
Aber der Virologe war und blieb sauer: „Man möchte sich gern aufregen, in Deutschland“, murrte er.
Tipp des Tages
Dann machte er aber trotzdem weiter: Menschen mit Vorerkrankungen – Lunge, Herz, Bluthochdruck, Diabetes – seien stärker gefährdet, berichtete er.
„Stimmt es, dass Frauen weniger infiziert sind als Männer?“ wollte die Talkmasterin wissen.
„Es ist so, dass es nach den Zahlen aus China eine deutliche Überbetonung des männlichen Geschlechts gibt“, erklärte der Virologe. Grund: „Das Rauchen ist in China Männersache. Unter den vielen Expertentipps ist der Tipp, jetzt mit dem Rauchen aufzuhören, ein guter!“
„Männer sind häufiger betroffen, weil sie Risiken anders einschätzen!“ assistierte TV-Doc Wimmer
Plastischste Beschreibung
„Wir haben jetzt eine Situation, wo wir in einem Spielfeld stehen, und da fliegen manchmal Funken rein“, schilderte Drosten die aktuelle Lage. „Da können wir immer so drauftreten, und das machen die Behörden mit aller Energie.“
Aber: „Irgendwann lodert überall ein kleines Flämmchen, und dann kann man nichts mehr machen – wenn man keinen Feuerlöscher hat.“ Einen Impfstoff aber gebe es wohl erst im nächsten Jahr.
Dringlichste Warnung
„Wir werden in den nächsten Tagen sehen, dass neue Fälle und kleine Fallgruppe wie die Pilze aus dem Boden schießen werden“, kündigte der Virologe an. „Wir werden sicherlich eins der Länder in Europa mit den höchsten Fallzahlen sein, weil unsere Bevölkerung sehr reisefreudig ist.“
Und: „Jedes Mit-dem-Finger-zeigen auf Behörden, auf Politiker oder wen auch immer ist zwar irgendwie so ein bisschen in unserer Kultur, das es ist Energieverschwendung!“
Forderungen, den Flugverkehr stärker zu kontrollieren oder sogar ganz abzuriegeln, lehnte Drosten ab: „Wir werden einfach zahlenmäßig in den nächste Tagen sehen, dass die Übertragungen im eigenen Land die Einschleppungen deutlich überwiegen werden, und dass es sich einfach nicht lohnt, da sein Geld und seine Energie zu investieren.“
Zum Schluss zitierte der Virologe eine Expertin der US-Seuchenkontrolle, die ihren Landsleuten sagte: „Wir bitten die Bevölkerung um Mithilfe in der Erwartung, dass es schlimm werden wird.“
„Das“, so Drosten, „ist etwas, was wir hier in Deutschland genauso sagen können.“
Fazit
Debatte ohne Mund-Schutz, volle Kanne Fakten ohne platte Durchhalteparolen und wichtigtuerische Bedenkenhuberei, alle Gäste gut vorbereitet, die Moderatorin immer auf Ballhöhe: Das war ein Talk der Kategorie „Kreditwürdig“.