„Hart aber Fair: Das Virus und die Pflege – Werden Altenheime zur Corona-Falle?“ ARD, Montag, 6.Aril 2020, 20.45 Uhr.
Der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann hat in der ARD-Talkshow „Hart aber Fair“ am Montag mit einer für Politiker besonders in Corona-Zeiten ungewöhnlichen Offenheit Kritik bis hin zum Shitstorm riskiert.
In einem Einzelinterview per Zuschaltung hatte Talkmaster Frank Plasberg die Hamburger Industriekauffrau Wiebke Worm interviewt, die seit sieben Jahren ihren an Multipler Sklerose erkrankten Ehemann versorgt.
Schlimmstes Beispiel
„Ich bin in Dauerbereitschaft. Es geht gar nichts mehr“, schilderte Worm ihre Dauerbelastung. Unterstützung wünsche sie dabei nicht mehr, denn nach negativen Erfahrungen mit einer Pflegehilfe „haben wir beide gesagt: Wir machen das alleine!“
Ihre Klage: „Wir sind drei Millionen pflegende Angehörige, aber wir werden einfach nicht gesehen. Bei der Verteilung von Schutzausrüstung sind wir nicht dabei!“
Unpopulärste Antwort
„Ich weiß sehr wohl, das die häusliche Pflege der Pfeiler bei der Versorgung Pflegebedürftiger ist“, sagte Laumann dazu.
Aber, so der Minister: „Wenn man entscheidet, dass man sagt, ich mache es alleine, ich will keinen ambulanten Pflegedienst in meiner Häuslichkeit sehen, dann muss man sehen, dass man viele Angebote, wie wir in die häusliche Pflege eingebettet haben, einfach nicht in Anspruch nimmt!“
Die anderen Gäste guckten betreten, aber niemand widersprach.
„Da gibt es auch in der öffentlichen Debatte mehr wie eine Meinung“, fügte Laumann noch hinzu. Wenn da nicht noch ein Shitstorm kommt…
Auch in Deutschland gibt es jetzt immer mehr Opfer, denn der Tod weiß ganz genau, wo er sie am leichtesten findet! In „Hart aber Fair“ sprach Plasberg mit Fachleuten.
Laumann gestand vor fünf Wochen bei Plasberg: „Ein Problem bei Masken und Papieranzügen habe ich nicht für möglich gehalten!“
Auch Bernd Meurer, Präsident des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste, war schon früher Gast in „Hart aber Fair“: Vor drei Jahren etwa nannte er Pflegeheime „Waschstraßen mit Vollpension“.
Die Altenpflegerin Silke Behrendt-Stannies, im ver.di-Fachbereich Pflege aktiv, prangerte letztes Jahr bei Plasberg unhaltbare Zustände an: „In eine Stunde müssen 100 Minuten rein!“
Der Internist Prof. Dr. Gerd Fätkenheuer war bis 2019 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (DGI).
Der Altersmediziner Prof. Dr. Johannes Pantel (52). warnt: „Strikte Isolation ist gerade für Ältere Gift!“
Bekannte Gesichter, bekannte Themen, bekannte Probleme. Ob sich jetzt was ändert?
Deprimierende Infos zum Start
Schon die ersten Einschätzungen der Experten klangen extrem düster: „Ich meide die Öffentlichkeit. Zu gefährlich!“ berichtete Altenpflegerin Behrendt-Stannies. „Statistisch sind Institutionen, in denen versorgt wird, für ältere Menschen gefährliche Orte“, stellt Altersmediziner Pantel fest.
„Mein Ministerium hat allein in den letzten Wochen für über 200 Millionen Euro Schutzmaterial gezeichnet“, berichtete Minister Laumann. „Davon ist aber ganz wenig da!“
Verzweifeltster Stoßseufzer
„Wir tun, was wir können!“ stöhnte der Politiker. „Aber Material herbeizaubern kann ich auch nicht!“
„Das ist ein Wettlauf mit der Zeit!“ warnte Pfleger-Präsident Meurer. „Wir können nur hoffen, dass die Schutzmasken vor der großen Welle da sind!“
Alarmierendste Analyse
„Die Wirksamkeit der Masken ist nicht sehr gut belegt“, zweifelte Internist Fätkenheuer. „Der Schutz ist wahrscheinlich nur beschränkt!“
Trotzdem werden die Mund-Nase-Tücher überall gesucht und oft sogar geklaut: „Wir haben ein Auge auf unsere Schutzmittel“, schilderte die Altenpflegerin die Gefahr. „Das ist wie Bargeld herumliegen lassen!“
Erschütterndste Konsequenz
„Ich trau mich gar nicht nachzufragen“, sagte Plasberg, „aber viele Pflegende sind selbst infiziert – da bleibt dann ein Mensch im Zweifelsfall ungepflegt liegen?“
„Ich glaube es nicht“, antwortete Behrendt-Stannies zögernd. Sehr überzeugt klang das nicht.
Dann gab sie sich einen Ruck und Butter bei die Fische: „Wenn wir Pflegekräfte ausfallen“, warnte sie, „dann ist das eine Dramatik, die nicht mehr einzufangen ist!“
Ernüchterndste Zahlen
„In unseren Einrichtungen wurde jetzt in sieben Wochen so viel Pflegematerial verbraucht wie sonst in zwei Jahren!“ stellte Laumann fest.
Über die Notlage bei ambulanter und häuslicher Versorgung sagte Meurer: „200.000 bis 300.000 Pflegekräfte aus Osteuropa kommen nicht mehr nach Deutschland! Also die Idee, deshalb jetzt Angehörige aus den Heimen nach Hause zu holen, ist nicht realistisch!“
Folgenschwerster Mangel
„Wir haben in Nordrhein-Westfalen nur noch eine einzige Firma, die Vliesstoffe für Schutzmasken herstellen kann“, berichtete der Minister.
Persönlichste Erklärung
„Meine Mutter ist im Heim, meine Schwiegermutter im Pflegeheim“, erzählte Fätkenheuer sichtlich besorgt. „Es ist für uns sehr schwierig, dass meine Frau und meine Schwägerin jetzt dort vor verschlossenen Türen stehen!“
Dann gab es noch mal bitterböse Statistiken, diesmal in einem ARD-Einspieler: Durchschnittsalter der Corona-Toten in der Bundesrepublik: 82 Jahre. Von 297 Opfern in NRW starben 118, also mehr als jeder dritte, in Pflegeheimen. 573 Pflegekräfte sind selbst infiziert.
Bewegendste Klage
„Mein Herz blutet, weil ich meine demente, fast 92 Jahre alte Mutter nicht mehr wie gewohnt täglich besuchen kann“, schrieb eine Zuschauerin an Plasberg.
Das nahm auch den Minister sichtlich mit. Trotzdem wies er darauf hin, dass immerhin Besuche zur Sterbebegleitung erlaubt seien. Ein schwacher Trost, aber in dieser schrecklichen Zeit des Sterbens wohl der einzige mögliche.
Klarste Absage
„Soziale Isolation hat negative Effekte!“ warnte Prof. Pantel. Das Immunsystem werde geschwächt, die Infektionsgefahr erhöht, dazu käme Verzweiflung bis hin zur Suizidgefahr. Deshalb sind Vorschläge, dass alle Leute über 65 oder 70 jetzt zuhause bleiben sollten, für den Altersmediziner „absurd“.
Dringlichste Warnung
Die Strategie, die Älteren „wegzusperren“, die Jüngeren aber frei „herumlaufen zu lassen“, könne zu einer Katastrophe führen, warnte auch Fätkenheuer.
Denn, so der Internist: Ohne die Kontaktbeschränkungen der Bundesregierung hätte es bei den Menschen unter 60 Jahren in Deutschland bereits über 100.000 Tote gegeben!
Härteste Politiker-Schelte
Plasberg blendet zwei Zitate ein: „Die Älteren und Kranken werden ihre Kontakte deutlich länger reduzieren müssen!“ (Kanzleramtschef Helge Braun) „Wir werden die Älteren über mehrere Monate bitten müssen, im Zweifel zuhause zu bleiben!“ (Gesundheitsminister Jens Spahn).
Der Altersmediziner war sofort auf Zinne: „Da bleibt mir die Spucke weg!“ schimpfte er. „Man kann ältere Menschen nicht zwingen! Das ist verfassungswidrig!“
Schärfste Kritik
„Die Art und Weise, wie hier über alte Menschen gesprochen wird, befremdet mich!“ wetterte der Professor weiter. Sein Vorwurf: „Jetzt beständig diese Rhetorik zu bedienen, die Alten gegen die Jungen, birgt die Gefahr, dass man die Generationen auch emotional gegeneinander ausspielt, was ein fataler Fehler ist!“
„Es darf keine Regeln geben, die nur für Alte oder nur für Junge gelten, sondern es muss Regeln geben, die für alle gelten!“ forderte auch Prof. Fätkenheuer.
Bitterstes Schlusswort
„Was jetzt gerade gezahlt wird, das ist keine Dankesprämie, das ist eine Gefahrenzulage!“ sagte die Altenpflegerin über den angekündigten Bonus für Pflegekräfte. Ihre Reaktion war so kurz wie klar: „Es nutzt nichts. Wir machen weiter!“
Fazit: Hilflose Gesten, ratlose Gesichter, trostlose Aussichten: Das war ein Talk der Kategorie „illusionslos“.