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Corona-Zoff bei „Hart aber fair“: Lauterbach nimmt Lindner in Schutz

„Hart aber fair: Corona-Brennpunkt Krankenhäuser: Zermürbt und angeschlagen wie das ganze Land?“ ARD, Montag, 7.November 2022, 21 Uhr.

Deutschland geht am Stock: Energiekrise, Inflation, Kriegsangst, und das vermaledeite Virus ist auch noch immer da. In „Hart aber fair“ sorgt sich auch Frank Plasberg. Die Gäste:

Prof. Karl Lauterbach (59, SPD). Der Bundesgesundheitsminister warnt: „Die Zahlen werden im Winter wieder steigen. Die Länder müssen früh genug den Zeitpunkt für moderate Schutzmaßnahmen finden, um nicht später sehr viel drastischer reagieren zu müssen!“

Klaus Holetschek (58, CSU). Bayerns Gesundheitsminister kündigt an: „Die Corona-Lage ist aktuell beherrschbar, deshalb setzen wir auf möglichst viel Normalität, auch wenn Herr Lauterbach das nicht gerne hört!“

Lisa Schlagheck (30). Die Fachgesundheits- und Krankenpflegerin kämpft in der Tarifkommission für das ausgepowerte Personal: „Die Kollegen überlegen nicht mehr, ob sie aufhören, sondern nur noch, wann!“

Christina Berndt (53). Die Journalistin („SZ“) mosert gern über Talkrunden: „Fachlich schlecht aufgestellt“, „keinen Erkenntnisgewinn gebracht.“ Was sagt sie heute?

Martin Machowecz (34). Der Journalist leitet bei der „Zeit“ das Ressort „Streit“. Seine Meinung: „Dass viele Krankenhäuser am Limit sind, hat kaum noch mit Corona zu tun, sondern mit politischem Versagen!“

Politik und Medien. Immerhin: Auch aus der Praxis ist jemand dabei. Gibt’s heute gute  Meinungs-Medizin?

Deftigstes Nachkarten

Der erste Einspieler präsentiert den bayerischen Ministerpräsidenten, wie ihn die ARD am liebsten zeigt: „Es war richtig, das Oktoberfest abzuhalten!“, ruft Söder in ein rappelvolles Bierzelt. „Ich kann das ständige Gemeckere von Herrn Lauterbach und seine Warnungen nicht mehr hören!

„Es war richtig, das Oktoberfest stattfinden zu lassen“, gibt Lauterbach zu, findet dann aber mehr als nur ein Haar in der Brezensuppe: „Kaum Masken, keine Tests, da wäre mehr Sicherheit möglich gewesen“, lästert er. „Die Fallzahlen sind hochgegangen, und es sind auch wieder Menschen unnötigerweise gestorben. Schön war das nicht!“

Eindringlichste Warnung

„Wir rechnen damit, dass wir die BQ.1.1 Variante bekommen, und die ist noch viel ansteckender“, warnt der Minister. „Dann müssen wir uns die Frage stellen: Was ist uns der Weihnachtsmarkt ohne Maske wert? Wie voll sind dann die Intensivstationen?“

„Ich hoffe, dass es nicht zu lange dauert, bis die Bundesregierung nicht mehr definieren möchte, wann die Lebensfreude anfängt und wann sie aufhört“, spottet „Zeit“-Journalist Machowecz. Die sinkenden Fallzahlen, meint er, böten „eine gute Möglichkeit zu zeigen: Man kann auch mal was zulassen, es gibt nicht immer nur Sorgen und Bedenken!

Grimmigster Konter

„Es sterben im Moment etwa 140 Menschen pro Tag an Corona“, bilanziert Lauterbach ärgerlich. „Wir haben eine deutliche Übersterblichkeit.“ Das jetzt einfach so hinter sich lassen zu wollen sei, „wie wenn ich sage, wir haben jetzt andere Sorgen, sollen die Älteren doch an Corona versterben.“ Rumms!

„SZ“-Journalistin Berndt wohnt direkt an der Oktoberfestwiese, ging aber nicht feiern, weil sie „nicht noch mehr Infektionen in die Stadt tragen wollte, mich nicht anstecken wollte und berufliche Termine hatte.“

Schmerzlichste Diagnose

Krankenpflegerin Schlagheck kommt direkt vom Schichtdienst ins Studio und kritisiert, „dass das Thema ‚Überlastete Kliniken‘ immer erst zum Beginn der nächsten Welle diskutiert wird.“

Dabei sei das Personal gar nicht wegen Corona überlastet, sondern „aufgrund von Ökonomisierung im Gesundheitswesen, wegen Personalnotständen, die politisch herbeigeführt wurden. Corona ist das i-Tüpfelchen. Wir haben eine große Belastung bei der Arbeit.“ Dafür gibt’s den ersten Beifall.

Klarste Kante

„Wir müssen lageangepasst entscheiden“, doziert Staatsminister Holetschek. Auch bei den Weihnachtsmärkten sei es „die Verantwortung jedes einzelnen, ob er hingeht“.

Es sei „immer auch eine Frage der Verhältnismäßigkeit“, fügt er hinzu. „Wir müssen die Entscheidungen treffen, die notwendig sind, die aber auch so wenig wie möglich in das Leben der Menschen eingreifen.“

Parteiischstes Gefecht

Dann geht der Bayer zum Angriff über: „Corona ist doch nur das Brennglas“, ruft er und tippt energisch mit den Fingerspitzen auf den Tresen. „Dahinter steckt doch ein Systemfehler! Karl Lauterbach hat die Fallpauschalen mit eingeführt, die wir jetzt mühsam wieder zurückführen!

Uff! „Unsolidarisch“! schimpft Lauterbach. Die Vergütung für Krankenhausleistungen sei „damals gemeinsam mit der Union eingeführt worden.“ Sein strenger Verweis: „Wir wollen nicht unfair sein!“

Mühsamste Pointe

Talkmaster Plasberg hat eigens sein Katheder verlassen und sich direkt vor Lauterbach aufgebaut, um einen Gag anzubringen. Für Rückblicke von Regierungsvertretern habe er „eine wunderbare Empfehlung“, kündigt er an, hebt dann beide Zeigefinger und grient: „Haus der Geschichte!“ Har har…

Selbstschonendste Korrektur

„Sie korrigieren sich ja auch“  lobt Plasberg danach den Bundesminister. „Sie haben gesagt, es war ein schrecklicher Fehler, Kindertagesstätten dicht zu machen…“

„‚Schrecklicher Fehler‘ würde ich nicht sagen“, mildert Lauterbach ab, „aber es war unnötig.“

Widersprüchlichstes Lagebild

„Wir haben derzeit keine besondere Belastung“, beruhigt der Bundesgesundheitsminister dann, „und wir sind gut vorbereitet. Es gibt keinen Grund, ängstlich zu sein.“

Doch, so der Minister gleich im nächsten Satz: „Das sieht der Expertenrat anders. Er sagt, dass wir jetzt schon eine massive Belastung haben, dass die Kliniken jetzt schon zum Teil an der Belastungsgrenze sind.“

Überzeugendster Vergleich

Die ständige Überbelegung erinnert Krankenschwester Schlagheck an ein Computerpuzzle: „Wir haben die Leute auf dem Flur liegen, nicht nur in der Notaufnahme! Es staut sich auf den Intensivstationen, im OP, auf den Normalstationen. Wir spielen ‚Tetris‘, weil wir für jeden Notfallpatienten immer einen Platz finden müssen.“

Dramatischste Problembeschreibung

Am schlimmsten sei es, so die Krankenschwester weiter, wenn sie gleichzeitig auf zwei verschiedenen Etagen im Einsatz sei: „Ich hatte eine Situation, wo wir oben einen Verkehrsunfall behandeln mussten, dem es sehr, sehr schlecht ging. Gleichzeitig hatte ich im Erdgeschoss einen Patienten mit einer frisch transplantierten Niere, mit Infektzeichen.“

Folge, so Schlagheck: „Ich hatte nicht mal die Zeit, Blutentnahmen zu machen und erste Untersuchungen einzuleiten. Da rennt man eine Stunde lang durchs Treppenhaus, hoch und runter!“

Überfälligste Selbstkritik

„Wir machen sehr viele Eingriffe, die man ambulant machen könnte oder gar nicht machen müsste“, gesteht Lauterbach kleinlaut. „Da sind Gewinne gemacht worden mit der Überlastung des Pflegepersonals“, und an diesem Missstand sei auch er beteiligt gewesen.

Aber, so der Minister weiter: „Das stoppen wir jetzt, durch das Gesetz, das am Mittwoch im Ausschuss ist. Das Krankenhauspflegeentlastungsgesetz. Der Name ist das Programm. Das ist eine dramatische Entökonomisierung des Krankenhauswesens.“

Hoffnungsvollste Anzeichen

„Dann kann jede Klinik zusätzliches Personal bezahlt bekommen, und das wird nicht mehr mit der Pauschale verrechnet“, verspricht Lauterbach dazu.

Und, so der Minister weiter: „Wenn die Überlastung durch das Gesetz zurückgedrängt wird, überlegen es sich auch viel mehr Leute, Pflegekräfte zu bleiben.“ Zudem habe die Zahl derer, die sich zu Pflegern ausbilden lassen, „jetzt schon zugenommen.“

Erfolgversprechendste Forderungen

Wir laufen auf eine humanitäre Katastrophe zu“, warnt Holetschek, „und zwar nicht nur in den Krankenhäusern, sondern auch in der Langzeitpflege, in den Altenheimen und noch anderen Bereichen!“

Seine Befürchtung: „Die Pflege brennt für ihren Beruf, aber die Pflegekräfte brennen aus. Im Prinzip brauchen wir eine Revolution. Das geht so weit, dass wir über bezahlbaren Wohnraum für das Pflegepersonal nachdenken müssen! Und über einen Zugriff bei der Kinderbetreuung, damit sie privilegiert schauen können, dass sie als erste einen Kindergartenplatz bekommen!“

Letztes Gefecht

Kritik aus der Talk-Runde am angeblich knausrigen Finanzminister weist Lauterbach kategorisch zurück: „Das Lindner-Bashing hat ja Hochkonjunktur“, bedauert er, aber „meine persönliche Zusammenarbeit mit Finanzminister Lindner war immer fair!“

Sein Beweis: Er habe mit Lindner und Wirtschaftsminister Habeck verhandelt, dass die Krankenhäuser acht Milliarden Euro für Gas und Strom bekommen. „Das ist eine Riesensumme“, lobt Lauterbach, „und das hat Lindner voll mitgetragen!“

Für Holetschek ist die Wiese längst nicht so grün: „Das ist doch eine Selbstverständlichkeit!“, findet der Bayer.

„Keine Polemik!“, ermahnt ihn Lauterbach. „Man hätte das ja auch genauso gut auf dem Rücken der Beitragszahler machen können.“ Sein Ernst? Jetzt muss dafür eben der Steuerzahler blechen.

Zitat des Abends

Sie wissen, Herr Lauterbach, dass wir in dieser Sendung schon mal vorgerechnet haben, wie oft Sie Recht hatten, und es war sehr, sehr oft.“ Frank Plasberg

Fazit

Die geballte Erklärmacht der Politiker entlud sich in einem Pressing ohne Pause. Zum Glück pumpte die Krankenpflegerin immer mal Sauerstoff in die dicke Luft. Das war eine Talkshow der Kategorie „Druck-Sache“.

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