„Anne Will: Raus aus dem Corona-Stillstand – hat die Regierung hierfür den richtigen Plan?“ ARD, Sonntag, 3.Mai 2020, 21.45 Uhr.
Der Grüne-Parteichef Robert Habeck hat seinem Duz- und Parteifreund Boris Palmer, OB von Tübingen, in der ARD-Talkshow „Anne Will“ am Sonntag indirekt mit dem Parteiausschluss gedroht.
Die Talkmasterin hatte den Grüne-Chef gleich als erstes mit der umstrittenen Äußerung Palmer konfrontiert, der gesagt hatte: „Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären.“
„Der Satz von Boris ist falsch und herzlos“, kommentierte Habeck das Zitat sichtlich verärgert. „Er spricht weder für die Grünen noch für mich, sondern für niemanden außer für sich selbst!“
Und: „Ich hatte die Hoffnung, dass er das einsieht und sich entschuldigt, aber nachdem er heute nachgelegt hat, muss ich sagen, dass meine Geduld wirklich erschöpft ist. Das schadet inzwischen der Debatte weit über das parteischädigende Verhalten hinaus!“
Tatsächlich hatte Palmer sich am Sonntag nicht für den Inhalt, sondern nur für die Form einer Äußerung engschuldigt: „Niemals würde ich älteren oder kranken Menschen das Recht zu leben absprechen“, erklärte er. Falls er sich „da missverständlich oder forsch ausgedrückt“ habe, tue es ihm Leid.
Zu den Forderungen von hundert Grünen nach einem Ordnungsverfahren oder gar einem Parteiausschluss sagt Habeck jetzt in der Talkshow energisch: „Wir werden uns mit solchen Fragen beschäftigen!“
Deutschland hat die Schnauze voll, alle reden nur noch über ein einziges Thema. Bei Anne Will klang es so: „Raus aus dem Corona-Stillstand – hat die Regierung hierfür den richtigen Plan?“ Böse Zungen fragen: „Hat sie überhaupt einen Plan?“ Oder ganz viele? Die Gäste:
Finanzminister Olaf Scholz (SPD) braucht jetzt Mega-Kohle, liebäugelt deshalb mit einer Reichensteuer.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bleibt streng, plant jetzt aber immerhin Lockerungen zum Muttertag.
Habeck war talkshowmäßig fast weg vom Fenster, will jetzt die Wirtschaft auf Klima-Ökonomie trimmen.
Die Auto-Präsidentin Hildegard Müller war bis 2008 Staatsministerin im Bundeskanzleramt, fordert jetzt eine „breite Förderung“.
Die Sozialforscherin Prof. Jutta Allmendinger (63). Klagt schon lange: „Frauen tragen die Hauptlast der Krise!“
Politik, Industrie, Forschung, das volle Programm. Die drei Politiker sind Dauerkandidaten für den Zoff-Preis, das prickelt!
Kritischste Forderung
Söder, aus München zugeschaltet, machte gleich mal eine Ansage: „Wichtig wäre, dass wir vom Robert-Koch-Institut endlich mal verlässliche Zahlen bekommen!“ schimpfte er.
Denn, so der Ministerpräsident: „Die entscheidende Aufgabe ist jetzt, langfristige Perspektiven zu entwickeln und dann kurzfristig zu entscheiden!“
Ehrlichste Prognose
Auch Auto-Müller mahnte Info von oben an: „Wir brauchen Kriterien, wie wir die verschiedenen Branchen wieder hochfahren können!“ forderte die Präsidentin.
„Es wird Erfolge geben, und es wird Misserfolge geben“, sagte sie voraus. „Wir werden uns herantasten müssen. Mir wäre lieb, wenn nicht jedes Bundesland eigene Kriterien entwickeln würde!“
Interessanteste Perspektive
„Wir müssen immer noch sehr viel und schneller lernen“, kündigte Prof. Allmendinger an. „Es gibt auch eine soziale Gesundheit, die eingepreist werden muss!“
Ihre schlimmste Befürchtung: „Schüler aus sozial benachteiligten Schichten können die sechs Monate, die sie jetzt verlieren, nie mehr aufholen, und das zeigt sich erst in zehn Jahren!“
Schönste Erfolgsmeldungen
„Die halbe Welt und ganz Europa schauen bewundernd auf Deutschland“, stellte Söder zufrieden fest. „Umsicht und Vorsicht sind sehr gute Ratgeber!“
„Wir haben die Industrie nicht geschlossen wie so viele Nachbarn!“ erklärte Scholz mit Genugtuung. Doch solange es keine ausreichende Therapie und keinen Impfstoff gebe, bleibe das Wiederanfahren eine große Herausforderung.
Schärfste Verurteilung
Über die Maßnahmen von Bund und Ländern gegen Corona sagte der Grüne-Chef: „Mein Eindruck ist im Moment, dass die Bundesländer einfach machen, was sie wollen. Es ist wie in einem Konzert: Wer dirigiert? Alle tröten durcheinander!“
Söder guckte grimmig vom Bildschirm herab: „So einen Begriff würde ich nicht verwenden, weil er auch die Personen diskreditiert“, tadelte er streng.
Gelungenster Konter
Die Herausforderung des Föderalismus bestehe darin, dass jedes Bundesland Spielräume habe, meinte der Bayer dazu. Die Stärke des Föderalismus wiederum ergebe sich dadurch, „dass alle im Geleitzug bleiben“, aber trotzdem ein guter Wettbewerb möglich sei.
Dann gab es noch einen Nasenstüber: Söder rühmte die Zusammenarbeit den grünen Ministerpräsidenten im benachbarten Baden-Württemberg. „In Bayern, Herr Habeck, stimmen wir uns mit Herrn Kretschmann 1:1 ab“, sagte der Bayer genüßlich. Das saß!
Peinlichste Ausrede
Habeck wechselte lieber das Thema. „Das Schlüsselelement ist ja die Nachvollziehbarkeit der Infektionswege“, dozierte er. „Über Wochen wurde darüber gestritten: Brauchen wir eine App oder brauchen wir keine App?“
Allerdings: „Ich bin in den Abläufen nicht drin und kann jetzt nicht speziell über diese App richten“, gab er gleich danach zu und redete doch lieber über ein bereits vor zehn Jahren initiiertes, immer noch nicht verwirklichtes Projekt einer digitalen Gesundheitsapp.
Und wieder gab es Zoff
„Mein Eindruck ist, dass bei Digitalisierung die Bundesregierung unklare Kompetenzen hat und nicht besonders schnell ist“, murrte Habeck.
Scholz wollte das so nicht durchgehen lassen: „Wir sind viel schneller, als das andere wahrnehmen“, behauptete er. Bei der „Tracing App“ zur Nachverfolgung von Ansteckungen gebe es inzwischen „sehr gute Kooperationen“.
Bedenklichste Vorhersage
„Wie werden wahrscheinlich ein besseres öffentliches Gesundheitssystem haben als früher“, kündigte der Finanzminister an.
Aber: „Wir müssen vieles gleichzeitig richtig machen. Es wird schwierig bleiben, zwei Jahre lang!“
Populistischster Vorwurf
Beim Auto-Gipfel am Dienstag wird es auch um Unternehmen gehen, die Staatshilfen kassieren, aber gleichzeitig Gewinne an Anteilseigner ausschütten. Dazu spielte Will ein Zitat des SPD-Fraktionsgeschäftsführer Carsten Schneider ein: „Hässliche Fratze des Kapitalismus!“
Habeck nahm die Steilvorlage dankend auf: „Das Steuergeld der Krankenschwester soll jetzt die Dividenden der Aktionäre absichern!“ ätzte er. Gegen diesen Knallspruch kam auch die Automobilpräsidentin nicht wirklich an.
Wichtigste Ansage
„Was wir brauchen, ist Ende Mai/Anfang August ein Programm zur Konjunkturbelebung“, kündigte Scholz an. Das betreffe vor allem besonders gebeutelte Branchen wie die Gastronomie.
Söder unterschied eine „Überbrückungsphase“ und eine „Durchstartphase“. Seine doppelte Forderung: „Konjunktur stärken und Klimaschutz voranbringen!“
Düsterste Prognose
Über die gesellschaftspolitischen Konsequenzen des Lockdowns sagte die Soziologin bedrückt: „Die Frauen werden weiter eine entsetzliche Retraditionalisierung erfahren“ – meint: Zwangsrückkehr in den alten Modus Heim & Herd.
„Implizit wurde bei jeder Entscheidung vorausgesetzt, dass Mutti es schon macht!“ assistierte Habeck.
„Ich glaube nicht dass man das so einfach wieder aufholen kann“, warnte die Wissenschaftlerin, „und dass wir von daher bestimmt drei Jahrzehnte verlieren.“
Überraschendster Alarmruf
Die Talkmasterin wirkte geplättet: „Drei Jahrzehnte, glauben Sie, wirft uns das zurück?“ fragte sie entgeistert.
„Die Frauen werden wieder so richtig die Heimmütterchen“, prophezeite die Professorin, „und wenn jetzt noch die Heimarbeit kommt, bleiben wir zu Hause, weil es natürlich einen permanenten Rechtfertigungszwang gibt.“ Das sind ja schöne Aussichten…
Fazit: Viel Info, viel Zoff, politisches Eigenlob bis kurz vor Klatschmarsch, aber auch furchtlose Nadelstiche von Frauenhand. Überzeugende Konzepte wurden oft nur angedeutet, und die nötige Einigkeit wurde mehr beschworen als gelebt: Das war eine Talkshow der Kategorie „Stotterstart“.