„Hart aber Fair: Nur einmal jung und dann im Lockdown: Was macht Corona mit der Jugend?“ ARD, Montag, 7.Dezember 2020, 21 Uhr.
Bundesfinanzminister Olaf Schulz hat sich in der ARD-Talkshow Hart aber Fair“ am Montag einen heftigen Schlagabtausch mit dem FDP-Präsidiumsmitglied Ria Schröder geliefert.
Dabei erhob die Politikerin schwere Vorwürfe vor allem wegen der schleppenden Auszahlung der versprochenen Staatshilfen.
Im Kampf gegen das Virus zieht die Politik die Zügel weiter an. Zu stramm! schimpfen viele schon. In „Hart aber Fair“ talkte ARD-Moderator Frank Plasberg mit einer heterogenen Gästeliste.
Scholz hatte seine Polit-Karriere einst als Schulsprecher auf einem Gymnasium gestartet.
Schröder, Juristin mit Fokus auf Datenschutz- und IT-Recht, war früher Chefin der Jungliberalen.
Der Radio-Moderator Philipp Isterewicz (28). („1LIVE“) ist auch als DJ auf Erfolgskurs.
Der Intensivkrankenpfleger Alexander Jorde (SPD) schrieb das Buch „Kranke Pflege – Gemeinsam aus dem Notstand“.
Die Soziologiestudentin Sarah-Lee Heinrich sitzt im Bundesvorstand der Grünen Jugend.
Die Gymnasiastin Franziska Schürken lebte dank eines Programms des Bundestags ein Jahr lang in den USA.
Der Veranstaltungskaufmann Marcel Seidenzahl ist seit Corona arbeitslos.
Die Alten sterben, die Jungen leiden, und in der Weihnachtszeit ist nicht gut streiten. Hilft aber nix, glaubt auch das Zoff-o-Meter.
Klarste Ansagen
Das allgemeine Gemecker, sie hätten nur Party im Kopf, macht Studentin Heinrich sauer: „Was ist denn eigentlich mit den jungen Menschen, die sich Sorgen um ihre Gesundheit, ihre Familien machen?“ kritisierte sie, „und mit denen, die finanzielle Nöte haben?“
Radio-Moderator Isterewicz brachte es auf den Punkt. „Jung sein heißt nicht gleich dumm sein!“ sagte er. Aber: „Jeder, der jetzt heimlich feiern geht, oder illegal raven in einem Hamburger Keller – das sind die Leute, die diese Pandemie vorantreiben. Aber das sind auch die, die ganz laut rufen: Wir wollen wieder reisen!“
Dümmster Spruch
Plasberg wollte sich bei den jungen Gästen einschleimen: „Herr Scholz, Sie verderben den Altersunterschied heute“, lächelte er den Minister an, „wie ich auch.“ Wie bitte, „verderben“? Ist ein höherer Altersdurchschnitt irgendwie was Schlechtes? Misslich? Verderblich?
Diplomatischstes Statement
Scholz saß im Studio wie eine Glucke bei ihren Küken und ist viel zu clever, einen so missglückten Scherz mitzumachen: „Das ist kein Thema der Jugend, das ist kein Thema der Alten“, bremste er den Talkmaster aus. „Wir alle müssen uns irgendwie am Riemen reißen!“
FDP-Politikerin Schröder kam wesentlich härter rüber: „Die junge Generation eignet sich nicht als Sündenbock!“ protestierte sie. „Wir haben erlebt, dass junge Menschen unheimlich solidarisch waren, in der Nachbarschaftshilfe, beim Einkaufen!“
Prompt ging der Zoff los
Dabei spüre die junge Generation die Krise besonders stark, in der Schule, auf der Uni oder auf dem Arbeitsmarkt, stellte Schröder fest.
„Da wünsche ich mir auch von Ihnen, Herr Scholz, eine größere Beachtung!“ sagte sie. „Ich finde es toll, dass Sie das anerkennen, wie es jungen Menschen geht. Aber ich wünsche mir auch, dass sich das in der Politik der Bundesregierung widerspiegelt!“
Berechtigtster Zwischenruf
Scholz wehrt sich mit einer Aufzählung staatlicher Leistungen: Zuschüsse für Ausbildungsverträge, „ganz viele Regelungen, die Studierende unterstützen“, auch „sehr viel Geld, um Schulen auszurüsten…“
„Jetzt müssen Sie nur noch das Jahr dazu sagen, wann das ankommt“, frotzelte der Talkmaster. Heiterkeit im Saal!
„Von den vielen Hilfen fließen ganz schön viele nicht so schnell ab, wie ich mir das wünsche würde“, gab der Minister zu.
„Sie hauen die Kohle raus, aber keiner holt sie ab!“ spottete der Talmaster mit einer seiner typischen Hauruck-Pointen.
Schockierendstes Erlebnis
Intensivpfleger Jorde macht der Runde den Ernst der Lage auf besonders drastische Weise klar: „Bei dem ersten Covid-Patienten, den ich betreut habe, ist ein Stück von der Beatmung abgefallen“, berichtete er.
Daraufhin sei Lebensgefährliches passiert: „Er hat gehustet, er hatte schon eine Trachealkanüle gehabt“, erzählte der Pfleger, „und da ist ein dicker Plocken von diesem Trachealsekret, also tief aus der Lunge, an meinen Hals geflogen und kleben geblieben!“
„Das war natürlich sehr ekelhaft, aber auch hochinfektiös“, erklärte Jorde in die entsetzten Gesichter. „Man läuft immer Gefahr, sich zu infizieren!“
Härteste Attacke
FDP-Schröder nahm den Finanzminister gleich noch mal auf die Hörner: „Wir haben im April, da war ich noch Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen, zusammen mit den Jusos, der Jungen Union und der Grünen Jugend einen offenen Brief an Sie geschrieben“, erinnerte sie ihn.
In dem Brief sei es um konkrete Hilfen für Studierende und Auszubildende gegangen, und zwar nicht nur als Darlehen. Aber, so Schröder: „Da fehlt mir ein Stück weit der Respekt, denn bis heute haben wir keine Antwort von Ihnen bekommen.“ Rumms!
Elegantester Konter
Doch der alte Politprofi Scholz weiß, wie man solche Angriffe auspendelt: „Die Bundesregierung hat geantwortet“, stellte er zunächst nüchtern fest. Und dann: „Ich persönlich habe die Haltung, die die Jungsozialistin dort eingenommen haben, gut gefunden.“
Nur die Jusos? Die anderen Absender sind Scholz die Erwähnung nicht wert, denn hier geht es klar um Parteipolitik.
Außerdem: „Das BAföG ist erhöht worden, und es kriegen auch wieder mehr den Zugang dazu“, sagte Scholz und kündigt an: „Ich kann mir vorstellen, dass wir da noch mal was machen müssen. Es ist verdammt eng, und das soll man sich auch nicht schönreden!“
Nasenstüber des Abends
Über die hitzigen Corona-Diskussionen sagt Scholz: „Dass da Zoff ist, kann uns helfen, dass wir vielleicht nicht immer die richtigen, aber dafür doch ziemlich wohl abgewogene Entscheidungen treffen.“
Plasberg wollte helfen, wo gar keine Hilfe nötig war: „Wer das anders sieht, könnte ja mal nach England gehen und dort hingucken!“ höhnte er.
Dafür kassierte er gleich einen Verweis: „Nur weil es woanders noch schlechter ist, reicht das ja nicht!“ kochte ihn die Liberale ab. „Das sollte nicht unser Anspruch sein!“
Verständlichste Beschwerde
„Diese ganzen Unterbrechungen, diese ganze Irreguläre, dass man sich nicht drauf einstellen kann, wie es am nächsten Tag weitergeht!“ klagte Gymnasiastin Schürken. Sie braucht ein Einser-Abi, um Medizin zu studieren, hat aber auch einen Plan B.
„Sie müssen sich das so vorstellen, dass, wenn ein Lehrer außerplanmäßig den Klassenraum betritt, alle zusammenfahren: Jetzt geht es wieder nach Hause“, schilderte sie. „Das ist nicht nur für den Lernerfolg disruptiv, sondern auch für das Sicherheitsgefühl!“
Schlimmste Klage
„Lüftungsanlagen haben wir nicht“, berichtete die Schülerin weiter, „also bei uns ist es kalt. In der Klausur sind den meisten Leuten die Beine eingefroren!“
„Dass die Gelder nicht fließen, liegt auch daran, dass die Antragstellung so kompliziert ist, dass sich Schulen an privatwirtschaftliche Unternehmen wenden, die dann diese Anträge für sie bearbeiten“, kritisierte FDP-Schröder.
Klassenkämpferischste Tirade
Intensivpfleger Jorde witterte die Gelegenheit zu einer sozialdemokratischen Attacke: „Wir haben einen Riesen-Investitionsstau!“ klagte er. „Und immer, wenn jemand den Vorschlag macht, wir brauchen mehr Einnahmen, ist es die FDP, die sagt: Nein, wir müssen Steuern senken!“
„Viele haben jetzt weniger, aber es gibt einige die haben jetzt mehr“, motzte er und meint die Familie Quandt als Hauptaktionäre von BMW. Sein schlichter Vorschlag: Geld wegnehmen, per Vermögenssteuer.
„Vermögen sieht in Deutschland nicht so aus, dass da irgendwelche reichen Leute auf einem Berg Geld sitzen“, widersprach Schröder. „Das meiste Geld steckt in den Betriebsvermögen. Da, wo heute die Arbeitsplätze verloren gehen und morgen die Insolvenzen anstehen werden!“
Doch SPD-Mitglied Jorde ließ sich nicht bremsen: „Wenn sich jemand Privatdividende in einem dreistelligen Millionenbereich auszahlt, gleichzeitig die Arbeitnehmer aber staatliche Unterstützung bekommen“, wetterte er, „dann sind das sehr wohl private Personen, die auf einem Riesenhaufen Geld sitzen!“ Verdammte Axt!
Scholz lächelte väterlich: Der junge Genosse gefiel ihm sichtlich.
Heftigster Angriff
Prompt gab Plasberg die Talkmasterrolle auf und versuchte sich auch selbst in Parteipolitik: „Haben Sie nicht auch das dumpfe Gefühl, dass der Staat tatsächlich stark sein muss?“ patzte er die FDP-Politikerin an.
Und weiter: „Dass der Slogan, den man lange Zeit auch von der FDP gehört hat, schlanker Staat, in die Krise nicht so erfolgreich ist?“
Plasbergs höhnische Frage: „Ist das nicht etwas, wo auch eine FDP lernen kann?“
Bester Konter
Doch die Liberale grätschte den ARD-Mann gekonnt ab. „Das Motto der FDP ist nicht, dass der Staat möglichst schlank sein soll, sondern dass er stark sein soll in den Aufgaben, die er hat“, entgegnete sie.
Denn: „Wir brauchen den Staat nicht überall dort, wo er seine Finger in die privaten Angelegenheiten der Menschen setzt. Aber wo es um Infrastruktur, digitale Infrastruktur, Bildung geht, da muss er stark sein!“
Bitterster Kommentar
„Es tut wirklich weh“, gestand Veranstaltungskaufmann Marcel Seidenzahl: Unmittelbar nach seiner Ausbildung verlor er wegen Corona den Job. Jetzt schreibt er Bewerbungen und muss sich immer wieder vertrösten lassen.
Sein Plan B ist ein Job in der Gebäudereinigung, aber: „Man hat wirklich Angst, dass das, was man in den letzten die Jahren gelernt hat, dann irgendwann wieder weg ist!“
Fazit: Viel Meinungsmut und frische Ideen, aber manchmal auch Geschwurbel, die Moralkeule sauste nieder und der Talkmaster ritt sein politisches Steckenpferd in den Graben: Das war ein Talk der Kategorie „Jugend schadet der Weisheit nicht“.