„Hart aber fair: Neue Regierung, altes Problem: Aufbruch im Schatten von Corona?“ ARD, Montag, 29.November 2021, 21 Uhr.
Deutschland zittert vor 4G: Genesen, Geimpft, Getestet, Gestorben! Die hektischen Ampel-Schaltungen wirken auch nicht besonders beruhigend. Frank Plasbergs Gäste:
Bettina Stark-Watzinger (53, FDP). Die künftige Bildungsministerin fordert: „Wir müssen alles tun, auch, damit die Schulen offen bleiben!“
Norbert Röttgen (56, CDU). Der womöglich nächste Parteichef wettert: „Das Zaudern und Zögern der Ampel ist unverantwortlich!“
Martin Stürmer (53). Der Virologe weiß: „Das einzige, was jetzt wirklich hilft, ist, öffentlich und privat die Kontakte drastisch runterzufahren.“
Katrin Göring-Eckardt (55, Grüne). Die Fraktionschefin hat für volle Fußballstadien „wirklich null Verständnis“.
Bernd Ulrich (61). Der Journalist („Zeit“) holzt: „Angst davor, unpopulären Maßnahmen zu treffen, hatte schon die Merkel-Regierung.“
Alle Gäste Ü50, mindestens. Die Argumente auch?
Zum Start ein ehrliches Bekenntnis
„Die neue Regierung sollte in dieser Lage Überparteilichkeit suchen“, rät Röttgen. „Sie sollte auf die Opposition zugehen, und die Opposition auf die Regierung.“
Seine Kritik: „Wir waren zu spät, in der alten Regierung. Jetzt muss die Politik endlich schneller und damit angemessener werden.“
Persönlichste Betroffenheit
„Ein Freund von mir liegt gerade auf der Intensivstation in Erfurt und kämpft um sein Leben“, berichtet Göring-Eckardt sichtlich bewegt.
Ihre Forderung: „Es muss wirklich aufhören mit Machtspielchen. Jetzt geht es darum, ein großes gemeinsames Zeichen zu setzen: Alle Konzentration darauf, gemeinsam zu handeln! Kontakte reduzieren, bundesweit, nach gemeinsamen Kriterien!“
Gut gemeint, doch schon beim nächsten Gast geht der Zoff los.
Dreistester Vorwurf
Die CDU habe „erst die Corona-Krise als Austragungsort ihrer Machtkämpfe zwischen Armin Laschet und Markus Söder benutzt“, behauptet der „Zeit“-Mann, „und dann gesagt: Der Wahlkampf von Armin Laschet darf nicht gestört werden durch zu viel Wahrheit über Corona.“
Dafür liefert Ulrich eine ungewöhnliche Quellenangabe: „Das ist jedenfalls so berichtet worden von der ‚Süddeutschen Zeitung‘ und nicht dementiert worden!“
Der böse Vorwurf des Journalisten: „Das war einfach Politik gemacht auf dem Rücken der Leute!“
Schwachsinnigster Vorschlag
Für Plasberg alles halb so schlimm: „Sie können das einfach stehen lassen, Herr Röttgen“, urteilt der ARD-Mann locker. „Machen wir einen Haken dran!“
Röttgens cooler Konter: „Wir können keinen Haken dran machen, weil es ja nicht stimmt. Wir haben Instrumente beschlossen, die Bundesnotbremse, die gewirkt hat, und mit der Feststellung der epidemischen Notlage von nationaler Tragweite, die einen einheitlichen gesetzlichen Rahmen geschaffen hat.“
Doch Plasberg stichelt trotzdem weiter: „Sie können es ja besser machen, wenn Sie CDU-Vorsitzender sind“, höhnt er.
Beruhigendste Info
„Es ist tatsächlich so, dass die Menschen, die einmal geimpft worden sind und danach die Infektion haben oder umgekehrt, eigentlich keine Booster-Impfung brauchen“, stellt Virologe Stürmer fest. Die Infektion stimuliere das Immunsystem mehr als genug.
Zum Streit der Politiker fordert der aus Frankfurt zugeschaltete Wissenschaftler: „Es ist mir völlig egal, wer jetzt Lockerungen durchgeführt oder kommuniziert hat. Jetzt heißt es, möglichst schnell und unbürokratisch die Impfzentren wieder zu aktivieren!“
Spöttischster Kommentar
„Bei mir in Thüringen stehen die Leute Schlange und sagen: Ich lasse mich jetzt doch impfen, weil ich will ja noch Straßenbahn fahren!“, freut sich Göring-Eckardt.
Ihr positivstes Beispiel: „In Frankreich sind Plakate aufgehängt, wo sich Menschen wieder küssen nach dem Impfen. Es ist eine andere Herangehensweise…“
„Es sind Franzosen“, gluckst Plasberg, und danach über seine Landsleute: „Es sind Deutsche!“ Heiterkeit in der Runde.
Geschmeidigster Salto
Zwanzig Minuten nach ihrer „Machtspielchen“-Kritik reitet die Grüne plötzlich eine Partei-Attacke: „Das nervt mich ein bisschen an Herrn Röttgen, der sagt: Wir haben doch damals… Das ‚Wir haben doch damals‘ hat uns genau in die Situation gebracht, in der wir jetzt sind!“
Gleich danach die Kehrtwende: „Wir haben als Grüne auch sehr lange zugestimmt“, gesteht die Fraktionschefin, „weil wir auch keine bessere Idee hatten.“ Echt jetzt?
Energischste Aussage
Der CDU-Politiker stützt seine Kritik an der Ampel auf die renommierteste Akademie der Republik. Sein Punkt ist, dass „die Leopoldina die neuen Maßnahmen der neuen Regierung, der neuen parlamentarischen Mehrheit ausdrücklich kritisiert, weil sie dem Staat, den Ländern, Maßnahmen verbietet, die bislang möglich waren.“ Rumms!
Röttgens massiver Vorwurf: „Sie sind in einem Abwägungsprozess, in einem Wir-müssen-noch-mal-darüber-reden-Prozess und Wir-dürfen-nicht-zuviel-machen-Prozess. Sie müssen jetzt akut handeln!“
Populärster Personalvorschlag
Plasbergs nächster Einspieler zeigt eine Straßenumfrage zum Thema „Gesundheitsminister“. Stimmen: „Für mich Lauterbach!“ – „Natürlich Lauterbach, ist doch logisch. Weil ich ihn als Menschen gut finde und er in vielen Sachen Recht hatte!“ – „Der ist durchsetzungskräftig und kompetent!“
„Da geht es um Kompetenz, um Glaubwürdigkeit, um Vertrauen“, stimmt Röttgen zu. „Alles das hat er.“
Berechtigtstes Kompliment
„Er heißt nicht ‚Karla‘“, blödelt Plasberg in Anspielung auf das von Scholz angekündigte gendergerechte Kabinett.
Doch Röttgen meint es ernst: „Aus seiner Persönlichkeit hat er Autorität begründet“, lobt er Lauterbach gleich noch einmal. „Es täte der Politik gut, wenn er jetzt auch mal in einer Ministerverantwortung sich darum kümmert.“ Hosianna!
Einhelligstes Heldenlob
Auch Göring-Eckardt outet sich als Mitglied des Fanclubs: „Dass Herr Lauterbach extrem kompetent ist und auch die Kommunikation kann, ist ja wirklich klar. Es gibt niemanden, der politisch und fachlich so vielen Leuten erklären kann, was jetzt in Deutschland los ist. Das ist ein Riesen-Pfund!“
Der „Zeit“-Mann hat noch ein weiteres Argument: In den Wochen, in denen häufig gefragt worden sei: Wo ist eigentlich der Vizekanzler, wo ist Herr Scholz? habe Lauterbach „alle Corona-Pfeile auf sich gezogen“, sagt er. Deshalb wäre „Dankbarkeit auch noch mal ein Faktor, der für Lauterbach spricht.“
Humorvollstes Argument
„Ich schätze Herrn Lauterbach sehr“, stimmt die FDP-Politikerin zu. „Er hat dem Thema auch ein Gesicht gegeben. Er hat Menschen für das Thema interessiert, indem er sich immer sehr fachkundig und auch sehr klar und prägnant ausgedrückt hat. Und indem er sich auch Kritik ausgesetzt hat. Das ist ein sehr mutiger Mann!“
„Was ich an Karl Lauterbach sehr schätze, ist, dass wir sehr häufig einer Meinung sind“, scherzt der Virologe. Im Ernst: „Er hat das Ganze immer mit viel Weitsicht betrachtet und letztlich alles immer vor dem Hintergrund gemacht, dass wir möglichst viele Menschen von der Infektion bewahren.“ Kollegenlob ist doch das schönste!
Gretchenfrage des Abends
„Können Sie sich vorstellen, dass Herr Lauterbach es nicht wird“, fragt der Talkmaster den „Zeit“-Mann, „sondern eine Frau, eine verdiente Kollegin, die wir nicht kennen, die vielleicht in ihrem Land in der Pandemie was gewirkt hat? Die zum Beispiel die Frauenquote erfüllt? Können Sie sich das vorstellen?“
Knappe Antwort des Journalisten: „Ehrlich gesagt: Ja!“
Reizthema des Abends
Der letzte Einspieler zeigt den Verfassungsrechtler Prof. Hinnerk Wißmann, den FDP-Politiker als neuen Ratgeber rühmen. Seine Expertise: „Eine Impfpflicht ist das mildere Mittel, wenn die Alternative ist, den freiheitlichen Staat in Lockdown-Endlosschleifen abzuschaffen.“ Oha!
Auch Göring-Eckardt kann sich inzwischen eine allgemeine Impfpflicht vorstellen: In zwei Stufen. Zuerst in den Alten- und Pflegeheimen, aber auch in den Schulen und Kitas. Wir können auch nicht Auto fahren ohne Führerschein!“ Ihr Terminvorschlag: 1.Januar oder 1.Februar. Hui!
Genervteste Wortmeldung
Der künftige FDP-Justizminister Marco Buschmann habe gesagt: Dann geben wir halt im Bundestag die Abstimmung frei, fügt die Grüne hinzu. Es gehe jetzt darum, „ob wir alle in die Geiselhaft von Lockdown zu Lockdown nehmen oder sagen: Nee, die allgemeine Impfpflicht ist kein hoher Eingriff…“
Neben ihr wird die FDP-Politikerin, weil immer noch unbeachtet, mächtig sauer: „Also Entschuldigung! Hier wird gerade über uns geredet, und ich sitze ja hier!“ ärgert sie sich. Dann wirft sie aber nur Nebelkerzen: „Alles nicht so einfach. Unterschiedliche verfassungsrechtliche Maßnahmen. Muss man diskutieren. Darüber nachdenken.“ Puh!
Schönstes Schlusswort
Plasberg hat sich mal wieder eine Abschiedsfrage ausgedacht: Wenn Merkel und Scholz gemeinsam vor das Volk träten, welcher Satz sollte dann in der Rede vorkommen?
„Ich wäre froh, wenn sie nicht beide eine Raute machen“, ätzt „Zeit“-Ulrich.
Röttgen bleibt sachlich: „Dass beide dafür plädieren, die allgemeine Impfpflicht Anfang des Jahres einzuführen.“
Und Plasberg selbst? „Wenn ich auch was sagen darf: Wir schaffen das!“
Fazit
Absurde Ausfälle, abgehalfterte Argumente und parteipolitische Kreiseldrehungen unter stark erhöhtem Geltungsdrang. Der Ernst der Lage wurde beschworen, Lösungsvorschlage aber oft gleich wieder zerredet. Das war eine Talkshow der Kategorie „Brandfackel“.