„Hart aber Fair: „Noch ein Corona-Winter: Halten die Krankenhäuser das durch?“ ARD, Montag, 22.November 2021, 21 Uhr.
Die vierte Welle türmt sich immer höher auf, dem Gesundheitssystem droht die größte Krise seit dem Krieg, und in „Hart aber fair“ klingt selbst der erfahrene Frank Plasberg beklommen. Die Gäste:
Markus Blume (46, CSU). Der Generalsekretär ätzt auf Twitter: „Ich erwarte, dass sich die FDP mehr mit Corona als mit Cannabis beschäftigt!“
Joachim Stamp (51, FDP). Der stellvertretende NRW-Ministerpräsident motzte über Blumes Chef Markus Söder: „Die lauteste ist nicht immer die hellste Kerze!“
Annette Kurschus (58). Die neue EKD-Chefin stellt klar: „Für mich ist die Impfung eine christliche Pflicht!“
Cihan Çelik (34). Der Oberarzt einer Corona-Isolierstation fürchtet: „Wir werden bei dieser Welle an unser Limit gehen.“
Kristina Dunz (53). Die Journalistin („Rheinische Post“) schießt scharf: „Ja, es ist wirklich ein politisches Komplettversagen. Zu viele werden das mit ihrem Leben bezahlen!“
Simone Stribl (34). Die TV-Moderatorin (ORF) beschreibt Desinfektionsspender als „Orte der Nächstenliebe“.
Keine Zeit mehr für Zwist? Das Zoff-o-Meter hat da so seine Zweifel!
Überzeugendste Bilder
Der Talkmaster startet nicht mit Worten, sondern mit Szenen aus der Intensivstation Dr.Çeliks, der zum dritten Mal sein Talk-Gast ist. Der Enspieler zeigt Todkranke an den Apparaten und an den Betten zu Tode erschöpftes Personal. „Hinrissig, sich nicht impfen zu lassen!“ schimpft ein reuiges Corona-Opfer (32). Der Oberarzt etwas milder: „Niemals aufgeben, mit dem Patienten zu sprechen! Viele, die bei uns entlassen werden, sagen, dass sie in Zukunft bei der Aufklärung helfen werden.“
Und: „Ich kann so dunkle Momente nachvollziehen: Da kann der Kollege mal ins Arztzimmer gehen und einmal schreien – und sich dann wieder seinen Patienten widmen.“
Spitzeste Frage
Der FDP-Politiker nimmt andere in Mithaftung: „Ein Vorwurf, den wir uns machen müssen, vielleicht sogar Medien und Politik gemeinsam, ist, dass wir auf die rückläufige Impftendenz im August nicht richtig reagiert haben. Da haben alle den Focus nur noch auf die Bundestagswahl gelegt.“
Plasberg reicht das bei weitem nicht: „Was sagt Herr Stamp über Herrn Stamp, der im Juli einen ‚Freedom Day‘ gefordert hat?“, bohrt er nach.
Elegantestes Ausweichmanöver
Doch Stamp hat längst den Rückwärtsgang eingelegt, es soll nicht nur auffallen: „Ich habe damals bewusst von einem ‚Tag der Eigenverantwortung‘ gesprochen“, behauptet er, „weil ich das nicht so intonieren wollte, wie das in England passiert ist, mit Jubelfeiern, weil ja klar war: Die Pandemie ist nicht vorbei.“ Uff!
Allerdings habe er, so Stamp weiter, „unterschätzt, dass die Impfbereitschaft so stark nachgelassen hat“. Das müsse er „einräumen“. Immerhin!
Strengster Tadel
„Für mich nicht nachvollziehbar!“ urteilt Journalistin Dunz über die Argumente der Impfgegner. Die beiden Politikern rügt sie für ihr Zutrauen in die bürgerliche Vernunft: „Eigenverantwortung, da haben wir gesehen, dass das nicht fruchtet!“
Ihr Vorwurf an Blume und Stamp persönlich: Gegenüber den Querdenkern und der Aggressivität der Verweigerer „haben Sie nicht die berühmte klare Kante gezeigt, die ja Herr Söder immer für sich vereinnahmt hat!“
Verräterischster Versprecher
Auf Plasberg macht die Tirade so tief Eindruck, dass er Blume gleich mal als „Herr Söder“ anspricht. Heiterkeit in der Runde!
„Herr Söder, sage ich schon“, kritisiert sich der Talkmaster und schiebt flink eine Selbstdiagnose nach: „Das ist ja lustig. Freudsche Fehlleistung!“ Söder ist im Talk nun mal der beste Quotenköder…
Dann fährt das Zoff-o-Meter hoch
„Wir haben das Team Vorsicht nie verlassen“, beteuert Blume. „Wir hatten im Sommer Phasen, da sind wir gescholten worden, in Bayern, auch gerade Markus Söder, warum wir denn nicht alles aufmachen, man müsse den Menschen doch die Freiheit wieder zurückgeben!“
„Die Wissenschaft war immer sehr eindeutig“, kontert der Intensivarzt. „Von daher hätte es Herr Söder auch wissen müssen.“ Rumms!
Kritischste Ampelphasen
„Wir haben in Bayern eine Krankenhaus-Ampel installiert“, verteidigt sich Blume, „und als sie umgesprungen ist, sehr schnell konsequente Maßnahmen umgesetzt.“
Aber, so der CSU-General mit Blick auf seinen Nachbarn von der FDP und dessen Ampel ganz anderer Art: „Wir hatten ja auch die Debatte: Ist eigentlich die Epidemie von nationaler Tragweite beendet? Wir glauben das nicht, angesichts dieses explodierenden Infektionsgeschehens!“
Theologischste Entschuldigung
„Freiheit hat christlich gesehen immer mit Gemeinschaft zu tun“, erklärt die neue EKD-Chefin zu „Wut und Ärger“ von Ärzten und Pflegern auf Ungeimpfte. Deshalb „kann sich auch ruhig christlich ein Mensch über den anderen ärgern!“
„Meine Position ist, dass wir unbedingt für das Impfen werben“, fügt Kurschus hinzu. „Ich kann nur jedem sagen: Es ist deine Pflicht, wenn du in einer Gemeinschaft lebst!“
Klarste Ansage
„Ich habe heute zur Impfpflicht eine andere Meinung als noch vor drei oder vier Wochen“, gesteht die EKD-Chefin danach. „Mein christliches Ethos, ich möchte auf Verständigung, auf Versöhnung zielen: Es funktioniert ja nicht, und jetzt drängt die Zeit!“
Ihre Forderung: „In einer Situation, wo dieses ganze Hin und Her Menschenleben kostet, und immer mehr, da bin ich der Meinung: Da ist jetzt ein Punkt erreicht, da können wir nicht mehr sagen, warten wir mal ab!“
Und mit einem energischen Handkantenhieb auf den Tisch kommt Kurschus auf den entscheidenden Punkt: „Jetzt muss tatsächlich gesagt werden: Impft euch!“
Wichtigste Forderung
„Ich will einen konkreten Vorschlag machen“, sagt der FDP-Politiker zur dramatischen Personallage auf den Intensivstationen. „Ich bin der Meinung, dass wir jetzt akut in dieser Situation eine Rückkehrprämie anbieten sollten. Eine hohe Netto-Rückkehrprämie für diejenigen, die ausgestiegen sind.“
Auf den vom Bundesgesundheitsminister vorgeschlagenen Pflegebonus von 5000 Euro will Stamp für das Intensivpersonal „noch mal draufsatteln“. Außerdem verlangt er eine „Anerkennungsprämie“ für alle, die trotz der angespannten Situation auf ihren Stationen bleiben.
Kleinster Trost
Aus Wien wird ORF-Journalistin Stribl zugeschaltet. Die Botschaft: Landes-Lockdown bis 13.12, Total-Impfpflicht ab Februar. „Im Gespräch sind Geldstrafen von 3000 Euro“, warnt sie. Ui!
„Das Interessante an diesem österreichischen Lockdown ist, dass die Skilifte weiter offen sind, unter der 2G-Regel“, erzählt sie weiter. „Skifahren dient zur persönlichen Entspannung, daher ist Sport auch im Lockdown erlaubt.“ Na denn Ski heil!
Kraftwort des Abends
Auch Blume hat ein Quantum Trost im Gepäck: „Wir halten die Schulen offen“, verspricht er. „Der Handel ist offen, die Wirtschaft ist am Laufen.“
Aber: „Es ist wichtig, dass wir über das Impfen reden. Diese vierte Welle ist die verdammt vermeidbarste gewesen von allen, die wir bisher hatten!“
Schonungsloseste Analyse
„Wir sind im Moment doch wirklich seelisch und von unserer ganzen Haltung auf dem Hund!“ warnt die EKD-Chefin. „Wir merken doch, wie gereizt wir alle sind. Ich auch!“
Nach einem ARD-Einspieler, in dem die Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann und Markus Söder eine Impfpflicht fordern, lobt Plasberg die EKD-Chefin noch einmal für ihren Appell eine Viertelstunde zuvor: „Eine Hammer-Ansage!“
Gretchenfrage des Abends
Der Talkmaster knöpft sich noch mal den „FDP-Menschen, der hier mit am Tisch sitzt“, vor: Ob auch Stamp sich inzwischen eine Impfpflicht vorstellen könne?
Der Minister möchte sich irgendwie durchscholzen: „Wir müssen, glaube ich, bei dem Thema differenzieren“, antwortet er und startet eine wortreiche Vergangenheitsbetrachtung.
„Jetzt! Situation heute!“ unterbricht Plasberg, als er merkt, wohin die Reise gehen soll.
Aufschlussreichster Dialog
„Sie müssen mir schon erlauben, dass ich ein bisschen ausführlicher bin“, weicht der FDP-Mann aus und beginnt, über Grundrechte zu dozieren.
„Jetzt! Situation heute!“ funkt der Talkmaster erneut dazwischen.
Stamp wehrt sich wie die Ziege am Strick: „Für die vierte Welle wird das zu spät kommen. Da stellt sich die Frage: Was können wir noch zusätzlich machen…“
„Sie haben aber meine Frage noch im Kopf?“, erkundigt sich Plasberg genervt. Heiterkeit im Publikum.
„Ja“, sagt der FDP-Mann, gibt nun aber immerhin zu: „Wenn wir uns angucken, wie wollen wir aus der ganzen Spirale rauskommen, habe ich auch große Skepsis, wie das anders gehen soll.“
Letztes Gefecht
Den Talkmaster hält es nicht mehr auf seinem Hocker: „Ich wiederhole die Frage noch mal“, sagt er und baut sich 1,5 Meter vor Stamp auf. „Kann sich die FDP heute eine allgemeine Impfpflicht vorstellen?“
Stamp dreht noch eine Schlusspirouette: „Wenn Sie mich hätten ausführen lassen, wäre danach als Satz gekommen, dass ich persönlich mir das gut vorstellen kann, dass das aber in den Parteien, in der Union, aber auch der Sozialdemokratie kontrovers diskutiert wird.“ Hosianna!
Alptraumhafteste Ankündigung
Der letzte Einspieler zeigt den katastrophalen Fehler des Bundesgesundheitsministers, die Impfstoffe Biontech und Moderna gegeneinander auszuspielen: „Diese Information ist eine Katastrophe!“ wütet Barbara Römer vom Hausärzteverband. „Das wird zu einem Beratungs-Tsunami führen! Dafür haben wir keine Zeit!“
Bewegendstes Schlusswort
„Regeln werden nie helfen, das Tragische einer Triage wirklich aufzulösen“, sagt die EKD-Chefin zuletzt über den drohenden Kollaps. „Triage-Situationen gehen nie aus ohne Schuld.“
Denn, so die Theologin: „Es gibt einen Unterschied zwischen der Person an sich und dem, was sie tut. Ich kann sagen, ich finde das Mist, dass er sich nicht hat impfen lassen, und er ist als Mensch nicht weniger wert als der Geimpfte. Das darf bei der Entscheidung keine Rolle spielen.“
Fazit
Kantige Positionen, knackige Kontroversen, kernige Statements, klassische Moralbegriffe und kirchliche Vernunft: Das war eine Durchhalte- und Ermutigungs-Talkshow der Kategorie „Helm ab zum Gebet“.