„Maybrit Illner: Konsequent gegen Corona – können wir schon lockerlassen?“ ZDF, Donnerstag, 16.April 2020, 22.30 Uhr.
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder hat in der ZDF-Talkshow „Maybrit Illner“ am Donnerstag Berichte und Kommentare relativiert, nach denen es beim Corona-Gipfel der Bundeskanzlerin am Mittwoch zu Auseinandersetzungen zwischen ihm und dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet gekommen sein soll.
Wörtlich sagte der CSU-Chef, der zurzeit die Meinungsumfragen die Liste der am meisten gewünschten Kanzlerkandidaten der Union mit großem Vorsprung anführt: „Es gab keinen Streit unter den Ministerpräsidenten, aber ein Abwägen!“
In der Sache sei es um unterschiedliche Auffassungen gegangen, wie schnell die besprochenen Einschränkungen des öffentlichen Lebens aufgehoben werden könnten, sobald die Kennziffern der Krise es erlauben.
„Bitte keine ungeordnete Exit-Strategie!“ bremste Söder die Erwartungen. „Ich bin optimistisch, aber Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste!“
Am Tag 1 nach der Krisen-Ansage der Kanzlerin registrierte die Republik Wutkritik und Unklarheit bis kurz vor Chaos. Illners Gäste versuchten Ordnung zu schaffen:
- Bayerns Ministerpräsident regiert zurzeit die Konkurrenz an die Wand und war aus München zugeschaltet.
- FDP-Chef Christian Lindner kritisiert das Krisenmanagement der Regierenden und fordert rasche Nachbesserungen.
- Der Virologe Prof. Christian Drosten warnt: „Das Virus wird sich über den Sommer in ganz Deutschland weiter verteilen!“
- Der ARD-Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar möchte grundsätzlich lieber mehr als weniger Shutdown.
- Die Journalistin Christiane Hoffmann („Spiegel“) fordert eine offene Debatte darüber, „welche Risiken wir eingehen, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen“.
Die aus der Not geborene Einigkeit der Entscheider wackelt immer stärker, aus Harmonie wird langsam aber sicher Zoff!
Deutlichste Kritik
„Wir haben alle einen Grundkurs in Hygiene gemacht“, resümierte Lindner gleich nach dem Intro mit Söder. Der FDP-Chef glaubt, „dass man in den Bereichen Handel, Gastronomie und Bildung mehr tun kann“ – meint: mehr aufmachen.
Deshalb forderte der Chefliberale einen „smarteren Weg“: Lieber mehr Maskenpflicht als „diese merkwürdigen Branchenentscheidungen, die man gar nicht erklären kann!“
Erwartbarste Analysen
„Spiegel“-Hoffmann schwadronierte lieber weiter über den „Profilierungskampf in der Union zwischen Söder und Laschet“.
Yogeshwar sorgte sich wie alle anderen über eine lange Dauer der Krise: „Das hier ist keine kurze Nummer, das geht noch vielleicht sogar bis ins nächste Jahr!“
Hübschestes Erklärbild
Immerhin konnte der ARD-Experte den Infektionsverlauf sehr eingängig beschreiben: „Es ist wie ein völlig durchgedrehtes Auto, bei dem ich das Gaspedal nur ein bisschen drücke, und schon beschleunigt es wie verrückt“, schilderte er. „Und ich habe dazu noch das Problem, das mein Tachometer verzögert anzeigt!“
Präziseste Prognose
„Man wird sehen, dass sich die Bundesländer ausgleichen“, sagte der Virologe über das kaum noch betroffene Mecklenburg-Vorpommer und das ungleich schlimmer heimgesuchte Bayern voraus. „Die Unterschiede werden sich zunehmend verwischen.“
Das aber, so Drosten weiter, werde dazu führen, dass „wir noch viele schwere Fälle sehen werden.“
Psychologischster Aspekt
Im Kampf gegen das Virus setzt der Professor vor allem auf die Corona-App: Das elektronische Kontaktverfolgungssystem mache wirklich Hoffnung, „abseits der Träume von Impfstoff und Medikamenten!“
Der FDP-Chef nahm noch ganz andere Betroffene in den Blick: „Gesundheitliche Probleme kommen nicht nur von dem Virus, sondern auch aus der Seele, wenn Menschen Angst um ihre Existenz haben!“ warnte er.
Wichtigste To-Do-Liste
Lindners Forderungen zur Wiederbelebung des Wirtschaftslebens: „Desinfektionsmöglichkeiten, Schutzmasken, regelmäßige Tests, aber vor allem die digitalen Defizite beseitigen!“
Sein schlimmstes Bespiel: „Ich höre, dass Gesundheitsämter ihre Dokumente noch immer faxen!“
Deutlichste Drohung
Zur Entscheidung, nur Läden bis 800 Quadratmeter zu öffnen, lieferte Söder eine interessanteste Hintergrund-Info: „Ich wäre für weniger gewesen, und die Kanzlerin auch!“
Denn, so der Ministerpräsident: Es gehe dabei ja nicht nur um die Verkaufsfläche, sondern vor allem um die Schlange, die sich vor größeren Geschäften auf der Straße bilden könnten.
„Ich hätte mir auch eine Maskenpflicht vorstellen können“, erklärte Söder dazu. Es sei jetzt zwar zunächst bei einem „Maskengebot“ geblieben, doch, so Söder: „Wenn das nicht eingehalten wird, wird es zu einer Maskenpflicht kommen!“
„Was mir fehlt, ist die Leidenschaft in der Empfehlung“, bemerkte „Spiegel“-Hoffmann. „Ich möchte Frau Merkel bei Einkaufen mit einer Maske sehen!“ Pragmatischste Vorschläge
Auch Drosten findet die Mund-Nasen-Taxtilien gut, etwa im ÖPNV: „Warum lassen unsere Verkehrsbetriebe nicht Schutzmasken nähen und verkaufen sie im Bus für einen Euro zur Fahrkarte?“ fragte er.
Zur Abstandsregelung erklärte der Virologe: „Tröpfchen sinken sofort zu Boden, deshalb sind die 1,5 Meter genau richtig!“
Aber: „Es gibt auch noch eine Sorte von kleineren Tröpfchen, die trocknen sofort ein und bleiben dann in der Luft stehen. Da kann man auch etwas machen, nämlich Luftzug!“
Gelungenster Seitenhieb
„Gibt es die Maskenpflicht in Deutschland deshalb nicht, weil wir keine haben?“ fragte die Talkmasterin angriffslustig.
Doch Söder weiß solche Attacken als Vorlage zu nutzen: „Es gab Bundesländer, die das ziemlich vehement abgelehnt haben“, antwortete er und holzte gleich mal gegen Laschet: „In Nordrhein-Westfalen war man sehr zurückhaltend bei dem Thema. Wir waren offener!“
Fußball gibt es derzeit nicht, aber Blutgrätschen jede Menge…
Und dann gelang dem Bayern noch ein talkshowtechnischer Hackentrick: „Ich bekomme Masken zugeschickt in unterschiedlicher Form!“ berichtete er und hielt sich einen Mund-Nasen-Schutz mit weißblauer Bayern-Raute vor. Die Runde lacht sich schlapp.
Energischster Zwischenruf
„Wir sind ja alle alltagserfahren und wissen, dass an den Schulen nicht mal Seifen, Handtücher und ordentliche Toiletten sind…“ sagte Illner dann.
Söder setzte rasch seine Cola light ab. „In Bayern schon Frau Illner!“ funkte er dazwischen. „In Bayern schon!“
„In Bayern schon!“ wiederholte Illner brav. „Natürlich! Da sind die alle frisch gewaschen!“
Überzeugendstes Lob
Prof. Drosten will nicht als schnöder Kritiker der Untersuchungen seines Kollegen Prof. Hendrik Streeck über den Corona-Hotspot Gangelt wahrgenommen werden: „Ich bin mit ihm Kontakt“, erklärte er, „und ich glaube auch, dass man sehr interessante Dinge aus seiner Studie ersehen wird!“
Allerdings, dabei blieb Drosten auch jetzt: „Es war natürlich auch ein bisschen blöd, dass das alles in so einem vorläufigen Stadium kommuniziert wurde, mit so wenig Hintergrundinformation…“
Soviel dazu! Aber: „Insgesamt ist das sicherlich eine extrem solide, robuste Studie, die ich da erwarte“, lobte Drosten. Dabei ließ er auch erkennen, dass es an der Virenfront auch freundschaftlich zugehen kann: „Also der Hendrik hat mir da ein paar erste Einblicke gezeigt, das ist richtig interessant!“
Staatsmännischstes Schlusswort
Söder übernahm es, eine erste Bilanz zu ziehen: „Für die Tatsache, dass wir eigentlich fast nichts wussten“, fasste er zusammen, „für die Tatsache, dass wir uns jede Woche weiterentwickeln mussten, hat Deutschland, hat die deutsche Politik, und das schließe ich alle mit ein, auch die Opposition, bislang einen sehr ordentlichen Job gemacht!“ Daumen hoch!
Und der Bayer setzte noch einen drauf: „Dafür möchte ich mich bei allen bedanken!“
Söders Parole: „Wir müssen jetzt schauen, dass wir durch diese Krise weiter so umsichtig kommen, wie wir es bisher getan haben. Ich würde diesen Ratschlag ‚In der Ruhe liegt die Kraft‘ gemeinschaftlich fortsetzen!“
Fazit: Perfekt besetzter Profi-Treff mit hoher Lernkurve und ganz ohne die sonst üblichen politische Pastoraltöner, intellektuellen Risikogruppen aus der grünen Zone und motzenden Minderleister der Abteilung Ideologie: Das war ein Talk der Kategorie „Lockerungsstufe B“.