„Maybrit Illner: Riskanter Neustart – wer trägt die Verantwortung?“ ZDF, Donnerstag, 7.Mai 2020, 22.30 Uhr.
Kanzleramtminister Helge Braun (CDU) hat in der ZDF-Talkshow „Maybrit Illner“ am Donnerstag für diesen Sommer Corona-Massentests angekündigt.
Wörtlich sagte der Minister: „Wir wollen im Sommer 150.000 Menschen repräsentativ durch ganz Deutschland mit dem neuen, sehr guten Antikörpertest mal testen, und dann werden wir diese Dunkelziffer ziemlich gut aufklären können.“
Deutschland macht sich locker, aber längst nicht alle sind darüber froh. Der Kanzlerin etwa geht es jetzt deutlich zu schnell. Maybrit Illner fragte kompetente Gäste:
Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) fand nach der Videokonferenz vom Mittwoch, sein Weg sei „ausdrücklich bestätigt worden“.
Braun sagte voraus, die Pandemie werde „Deutschland mindestens bis Jahresende begleiten“.
Die Medizinethikerin Prof. Alena Buyx meinte, mit Kurskorrekturen setze die Politik „ein Zeichen von Stärke“.
Die Journalistin Rafaela Gräfin von Bredow („Spiegel“) fordert: „Wir brauchen viel härtere Maßnahmen!“
Der ARD-Experte für alles Ranga Yogeshwar äußerte seine Zweifel daran, dass die Gesundheitsämter kritische Zahlen künftig auch wirklich melden würden.
Mut, Vertrauen, Vorsicht, Skepsis: Welche Tugend fordert heute Zoff heraus?
Die Talkmasterin versuchte es als erste: Aus der Konferenz mit den Ministerpräsidenten werde die Kanzlerin mit dem Satz zitiert „Ich bin kurz davor, aufzugeben“. Illners Frage an den Minister: „Wie knapp war diese Bund-Länder-Konferenz vor dem Abbruch?“
„Also der Satz ist völlig aus dem Zusammenhang gerissen“, wiegelte Braun mit mildem Lächeln ab. „Da ging es um eine einzelne Formulierung, nicht um die ganze Kanzlerschaft!“
Fröhlichstes Dementi
„Aber es ging um die Kontaktsperren“, bohrte Illner nach.
„Es ging um eine einzelne Formulierung zu dem Thema Kontaktsperren“, bestätigte der Minister. „Die Kanzlerin ist sehr, sehr gerne im Amt, und gerade in so einer schwierigen Phase können wir auch sehr froh sein!“
Launigste Verzichtserklärung
Weil wurde aus Hannover zugeschaltet. Auch bei ihm versuchte Illner es mit einer kniffligen Frage: Er hatte erst über vorpreschende Kollegen gemosert, jetzt aber seinerseits seinen Lockerungsplan bereits am Montag vorgelegt. Warum?
„Ich habe nicht den Ehrgeiz, deutscher Lockerungsmeister zu werden“, antwortete der Niedersachse kühl. „Aber wir müssen eine Antwort auf die Frage geben: Wie geht es eigentlich weiter?“
Fragetechnische Punktlandung
Illner wusste ihn trotzdem aus der Reserve zu locken. Sie erinnerte noch einmal an die Konkurrenz der Bundesländer und fragt dann ins Eingemachte: „Wie sehr ist da auch ganz einfach Trotz dabei gewesen bei Ihnen?“
„Nein, Trotz nicht“, behauptete Weil, „aber man wird aus Erfahrung klug. Man musste einfach zur Kenntnis nehmen, dass einige Sachen, die wir miteinander besprochen haben, erkennbar keine besonders lange Gültigkeitsdauer hatten. Mit unserem Stufenplan möchte ich auch aussteigen aus einem Überbietungswettbewerb!“
Deutlichste Unmutsbezeugung
„Heute haben wieder eine ganze Reihe von Kollegen Vorschläge gemacht für ihre Länder“, fügte er säuerlich hinzu. „Die gehen über das hinaus, was wir in Niedersachsen vorhaben, und dafür werden sie ihre Gründe haben…“
„Ich ahne, Sie spielen ein bisschen auf Hessen an“, vermutete die Talkmasterin, „auf die Lockerungen, die es in Hessen geben soll.“
„Nö“, sagte Weil. „Da gibt es noch ein paar andere!“
Klügste Analyse
„Wir haben jetzt eine tückische Phase, weil wir über ein Risiko reden, das wir nicht kennen“, stellte Ethikprofessorin Buyx fest. Dabei gehe es nicht nur um echte, sondern vor allem um gefühlte Risiken.
Knalligster Vergleich
„Wir müssen uns jetzt alle die Landkreiszahlen anschauen“, sagte Buyx und dachte an eine Ampel: „Wenn wir in meinem Landkreis gelb sind, sollte ich vielleicht selber mein Verhalten adaptieren!“
„Wir haben uns unter der Not der Verhältnisse für einen Schrotschuss entschieden, nämlich alles herunterzufahren“, erklärte Weil. „In der Situation, in der wir jetzt sind, sind wir eher in der Lage, auch Blattschüsse zu setzen!“
Dann ging der Zoff los
Die Talkmasterin zündelte immer weiter: „Markus Söder sagte gestern in einem Interview, er frage sich, warum man sich nicht mehr Zeit gegeben habe, um mit einer zwischen Bund und Ländern abgestimmten Weise weiterzufahren!“
„Ich frage mich, warum der Kollege Söder dann am Dienstag seinen Plan für Bayern auf den Tisch gelegt hat!“ antwortete Weil schon leicht genervt.
Schlimmster Verdacht
ARD-Experte Yogeshwar unterstellte, die Gesundheitsämter könnten womöglich Zahlen fälschen, um ihre Landkreise vor einem neuen Lockdown zu bewahren.
Dafür gab‘s sogar von dem stets verbindlichen Kanzleramtsminister eins auf die Nuss: „Da kann man auf Deutschland vertrauen!“ konterte Braun streng.
Peinlichster Vorwurf
Die „Spiegel“-Journalistin mokierte sich über den Beschluss, dass ein Landkreis mit 50 Neuinfektionen in sieben Tagen wieder in den Lockdown muss. Braun wollte das sogar schon bei 35 Fällen anordnen.
„Wie kommt man auf so eine Zahl?“ staunte von Bredow und schimpfte: „Das ist ja fast frivol, eine solche Zahl praktisch zu erfinden!“
„Nein, sie ist nicht erfunden“, klärte Braun die Journalistin auf. „Wir brauchen ein Kontaktverfolgungsteam pro 20.000 Einwohner. Das heißt: fünf pro 100.000. Mal sieben Tage sind 35. Das schafft der Landkreis noch alleine. Wenn es mehr sind, braucht er Hilfe. Und wenn es 50 werden, müssen wir uns dort wirklich mit allem, was wir haben, engagieren.“
Wichtigste Ankündigung
Die Journalistin wollte trotzdem weiter kritisieren: Womöglich werde sich das Virus dann im Sommer unter der Decke still und heimlich weiter verbreiten.
„Da haben wir aber auch eine gute Antwort“, lächelte Braun und kündigte den großen Sommertest an. Danach gab es keine Fragen mehr.
Ungeduldigster Zwischenruf
Weil hatte lange zugehört, jetzt aber beschlich ihn offenbar der Verdacht, dass er schlicht vergessen worden war. „Frau Illner, ich würde mich gern auch noch mal bemerkbar machen!“ rief er vom Bildschirm in die Runde.
Doch die Talkmasterin gibt Regiefehler ungern zu: „Sie müssen sich nicht bemerkbar machen, Sie sind definitiv der nächste!“ behauptete sie prompt, gibt aber erst Braun noch mal das Wort. Strafe muss sein!
Ermutigendste Ansage
„Was wir jetzt beginnen, ist eine Phase, in der wir lernen müssen, mit dem Virus zu leben“, sagte Weil, als er nach weiteren Warteminuten endlich dran war.
Auch zum Thema VW, wo er im Aufsichtsrat sitzt, wollte der Minister noch etwas loswerden: Er sorge sich vor allem um die vielen kleinen und mittleren Zuliefererbetriebe, die jetzt ums Überleben kämpften.
Und noch mal Zoff
Auch über Yogeshwar musste sich der Ministerpräsident ärgern. Denn der ARD-Experte kritisierte mit seinem ganzen dramatischen Talent, dass die Autoindustrie jetzt mit finanziellen Maßnahmen unterstützt werden solle, deren Auswirkungen die Friday-for-Future-Generation spüren werde.
Es sei eine „Ironie“, wetterte der ARD-Experte, „jetzt die Gelder der nächsten Generation zu investieren, um eine Technik von gestern wieder aufzupimpen!“
Da platzte Weil der Kragen. „Wie kommen Sie denn auf die Idee?“ blaffte er den ARD-Mann an. „Das ist doch ein Zerrbild, das Sie gerade zeichnen!“
Hoffnungsvollstes Statement
„Wir werden uns in allen Bereichen wieder an so etwas wie Normalität herankrabbeln“, sagte Weil als Schlusswort. Sein schönste Definition wird lange über die Sendung hinaus bleiben: „Fußball ohne Fans ist für mich der Genuss unaufgetauter Tiefkühlkost!“
Fazit: Schwierige Debatte mit hohen Anforderungen an die politische Erklärungskraft, und das auch noch in gereizter Stimmung. Das war ein Talk der Kategorie „kurze Lunte“.