„maischberger. die woche“. ARD, Mittwoch, 29.April 2020, 23.05 Uhr.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hat in der ARD-Talkshow „maischberger. die woche“ am Mittwoch gesetzliche Maßnahmen gegen Unternehmen angekündigt, die staatliche Hilfen kassieren und dann in Teilen als Dividenden an ihre Aktionäre weiterreichen.
Wörtlich sagte der Minister: „Was wir tun können, ist, an Gesetzen zu arbeiten. Deshalb werden wir sicherstellen, dass, wer zum Beispiel Staatshilfe mit Krediten, mit Darlehen in Anspruch nimmt, sowas nicht machen kann!“
Wirtschaftskrise, Arbeitslose, Pleitewelle: Corona gefährdet Leben, aber auch Existenzen. In „maischberger.de“ angelten Talkmasterin und Gäste nach dem Rettungsring:
Scholz steuert mit ruhiger Hand, aber wohin? In der Talkshow nahm er die zerstrittenen Ministerpräsidenten in Schutz.
Der Virologe Prof. Alexander Kekulé schlägt jetzt die regionale Öffnung von Kindergärten und Kitas vor.
Der Fußballexperte Rainer ist wegen einer früheren Lungenembolie Risikopatient.
Der Schauspieler Peter Lohmeyer verliert durch Corona Aufträge, aber nicht den Mut.
Die Journalistin Cerstin Gammelin ist in der DDR aufgewachsen.
Der NDR-Talkmaster Hubertus Meyer-Burckhardt ist Filmproduzent und fürchtet Pleiten im Kulturbusiness,
Politik, Medizin, Sport: Das Zoff-o-Meter wird jetzt Zuerst die schlechte Nachricht
„Einen Impfstoff gibt es frühestens in einem Jahr“, schätzte Virologe Kekulé zu Beginn. Es könne aber auch zwei Jahre dauern, bis ein rettendes Immunserum in ganz Deutschland verfügbar sei.
Und das ist noch nicht mal alles: Später wird Kekulé mit der Hiobsbotschaft rüberkommen, dass es sogar drei Jahre dauern könne. Uff!
Ehrlichste Analyse
„Ich glaube, wir würden uns etwas vormachen, wenn wir glaubten, dass wir verhindern können, dass es Tote gibt, und einfach auf den Impfstoff warten“, sagte Kekulé klipp und klar.
Denn, so der Virologe: „Auf der Strecke bis dahin hätten wir so viele Kollateraleffekte, dass das auch in Tote umzurechnen wäre, weil zum Beispiel die medizinische Versorgung nicht funktioniert.“
Härteste Ansage
Schulen und Biergärten aufzumachen werde zu einer Zunahme der Fallzahlen führen, kündigte Kekulé an. Die Frage sei, wie viele Tote die Gesellschaft bereit sei zu akzeptieren.
„Grippetote haben wir sozial und gesellschaftlich seit Jahrhunderten akzeptiert“, stellte der Virologe fest. „Das Risiko gehört dazu, wie das Risiko, im Straßenverkehr überfahren zu werden. Da wird ja auch nicht das Autofahren verboten!“
Interessanteste Rechnung
„Wenn wir es schaffen würden, dass wir die Risikogruppen schützen können, ohne sie einzusperren“, sagte der Professor weiter, „würden wir das Risiko für die restlichen Bevölkerung in den Bereich senken wie die normale Grippe.“
In Zahlen: „Das würde eine Sterblichkeit von 1:500 bedeuten“, rechnete Kekulé vor, „also 0,2 Prozent. Das ist wie eine schwere Grippe!“
Heikelster Vorschlag
„Die, die ganz jung sind, sind fast ohne Risiko“, sagte der Professor über die bis zu Zwanzigjährigen. „Deshalb wäre es epidemiologisch sinnvoll, die Jüngeren weniger zu schützen als die Alten!“
„Man muss sich überlegen, ob man das offen diskutieren will“, fügte der Professor hinzu. „Auch da wird es Tote geben. Aber es gibt in Deutschland jedes Jahr ungefähr 30 Kinder und Jugendliche, die an einer ganz normalen Grippe sterben.“
Wichtigste Aufgebe
„Wir brauchen ein Konzept, das mindestens hält, bis der Impfstoff da ist!“ forderte der Virologe.
Meyer-Burckhardt war von den Thesen des Professors überzeugt, denn: „Wenn ich mein Leben auf das geringste Risiko ausrichten muss, dann ist das nicht mein Leben!“
Durchdachtester Plan
Für die Lockdown-Lockerung hat der Virologe ein Fünf-Stufen-Konzept entwickelt: Schutz der Alten, Masken, hohe Aufmerksamkeit für neue Infektionen, schnelle Reaktion darauf und Testen, testen, testen.
Sein Credo: „Leben ist mehr als die Vermeidung von Tod!“
„Ich habe bis zu meinem 20. Lebensjahr hinter der Mauer gelebt“, sagte SZ-Gammelin, aber: „Freiheit geht immer mit Verantwortung einher!“
Interessantester Kommentar
Bundesfinanzminister Scholz erschien wie immer im anthrazitgrauen CEO-Look, schlug aber ganz entspannt die Beine übereinander. Signal: Mir könnt ihr voll vertrauen, ihr lieben Steuerzahler!
Mit Zitaten wie dem des Bundestagspräsidenten, der Schutz des Lebens stehe nicht über allem, ließ sich Scholz schon mal gar nicht aus der Reserve locken: „Ich glaube, dass es nicht darauf ankommen, Hierarchien von Werten herzustellen!“ antwortete er nordisch kühl.
Kniffligste Frage
Talkmasterin Maischberger war damit allerdings nicht zufrieden: „Es geht um Menschenleben!“ setzte sie nach. „Ist Wolfgang Schäuble zynisch?“
Netter Versuch! „Wolfgang Schäuble ist nicht zynisch“, antwortete Scholz wenig überraschend. „Ich kenne ihn lange genug und beurteilte ihn als die Person, die ich kenne!“ Hm – das war allerdings nur wenig mehr als das Mindeste, was man unter Kollegen sagen muss.
Spitzeste Replik
Maischberger hatte noch ein zweites Schäuble-Zitat im Köcher: Der Staat könne nicht auf Dauer fehlenden Umsatz ersetzen.
Jetzt wirkte der Finanzminister dann doch etwas angefasst: Der Bundestag habe seinen Plänen zugestimmt, sagt er – „und, soweit ich weiß, auch der Abgeordnete Schäuble!“
Verblüffendster Temperamentsausbruch
Dann ging Scholz noch mehr aus sich heraus: „Wir haben eine große, verdammte Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass wir das hinbekommen mit dem Schutz unserer Bürger…“ sagte er energisch. Verdammt noch mal! Flüche hört man bei Politikern eher selten.
Dabei nahm der Minister sogar die Hände zu Hilfe: „…und gleichzeitig herausfinden, wie wir es möglich machen können, dass wirtschaftliche Aktivität und soziales Leben unter diesen Bedingungen stattfinden können!“ erklärte er unter einigem Gefuchtel.
Grundlegendstes Prinzip
„Wenn Ihnen jetzt einer begegnet und sagt: Ich weiß alles, ich bin ganz sicher, dann sollten Sie für das Gespräch mit ihm irgendwie einen höflichen Ausgang finden“, sagte der Minister mit mildem Spott zu der Talkmasterin.
Die Frage der Eigenverantwortung stelle sich immer, aber: „Das ist ja nun eine alte Erkenntnis, dass unsere Freiheit immer so wahrgenommen werden muss, dass wir die Freiheit anderer nicht beeinträchtigen.“ Punkt!
Listigste Frage
Maischberger heizte den Grill an: „Könnten Sie nicht sagen: Pfingsten machen wir die Biergärten auf?“
Der Minister mochte sich ungern festlegen: „Da es ja niemanden gibt, der genau sagen kann, wann der richtige Zeitpunkt ist…“
„Nicht mal Herr Söder?“ piekste ihn Maischberger an.
„Nicht mal Herr Söder!“ antwortete Scholz und macht im bewährten Stil weiter: „Sorgfältige Abwägung“ – „In vielfältigen Runden miteinander diskutiert“ – „klug abgewogener Weg“…
Dann ging der Zoff los
Maischberger schimpfte auf die Ministerpräsidenten, von denen jeder was anderes sage und tue. Prompt kassierte sie einen ministerlichen Verweis: „Ich teile Ihre Einschätzung nicht!“
Denn, so Scholz: „Dass es zwar nicht 1:1 das gleiche ist, aber doch ungefähr das gleiche, ist das Ergebnis eine ziemlich gut funktionierenden föderalen Staates!“
Dialog des Abends
Nächstes Thema: Staatshilfen unter Bedingungen. „Die Lufthansa droht mit Insolvenz: Wenn Sie in den Aufsichtsrat gehen, macht sie lieber gleich dicht!“ meinte die Talkmasterin.
Scholz wollte den Vorwurf erst locker abprallen lassen: „Die Verhandlungen finden viel freundlicher und netter statt, als ich das öffentlich wahrnehme“, behauptet er ungerührt.
Die anderen feixten, und Maischberger musste laut lachen: „Tatsächlich?“ fragt sie spöttisch. „Können Sie ausschließen, dass die jetzt in die Insolvenz gehen?“
Nun versuchte Scholz es mit Philosophie: „Wer kann schon was ausschließen!“ Aber: „Wir werden einige Fehler früherer Zeiten nicht machen“ – zum Beispiel Verluste mit Steuergeld ausgleichen, damit, wenn es wieder aufwärts geht, die Eigentümer profitieren.“
„Aber Sie machen das schon!“ warf Maischberger ihm vor. „Die Autobauer zahlen Dividende und beantragen trotzdem Kurzarbeit! Ist das o.k.?“
„Nee!“ Wenn Scholz was zugeben muss, dann am liebsten kurz und knapp.
Maischberger bohrte noch tiefer in der Wunde: „Und warum machen Sie es dann? Sie haben den Aktionären Geld geschenkt!“
Damit entlockte sie ihm die Ankündigung, dieser Trickserei künftig einen Riegel vorzuschieben. Zugleich waren die Milliardensummen die beste Überleitung zum Thema Bundesliga, doch nun bekam Maischberger Pech mit ihren Gästen.
Schlimmster Chaos-Auftritt
Lohmeyer setzte sich für die kleinen Vereine ein, doch Calmund walzte trotz 40 Kilo Gewichtsverlust alles nieder. Soweit aus seinem wüsten Stakkato zu verstehen, geht es ihm um die sofortige Wiederaufnahme des Spielbetriebs: „Ich bin ein Fußballbekloppter! Jetzt bin ich heiß! Ich will keinen Konserven!“
Maischbergers Dialogversuche blieben vergebliche Liebesmüh, denn auf Fragen reagierte Calmund nicht, und er ließ sich seinen Redeschwall auch nicht stoppen. So nahm das Talk-Desaster des Jahres seinen Lauf. Schade für die vielen Fans!
Fazit: Erst klare Ansagen, dann harte Fragen, dann nur noch chaotisches Gebrabbel. Das war eine Talkshow der Kategorie „Große Bandbreite“.