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Corona-Talk bei Illner: Wie Grüne-Politiker Özdemir die Kanzlerin verteidigte

„Maybrit Illner: Deutschland macht auf – mutig oder riskant?“ ZDF, Donnerstag, 24.April 2020, 22.35 Uhr.

Der frühere Grüne-Parteichef Cem Özdemir hat sich in der ZDF-Talkshow am Donnerstag massiv für Bundeskanzlerin Angel Merkel eingesetzt.

Wörtlich sagte der Politiker in einer Wutrede über die „Verschwörungstheoretiker, die sagen, bei Grippe sterben doch auch ganz viel Leute“: „Es ist wichtig, dass wir gegen diejenigen gegenhalten, die aus der Ecke der Populismus uns erzählen, die Frau Merkel, die nutzt das doch nur, um uns die Freiheit einzuschränken!“

Wen speziell er damit meinte, machte Özdemir klar: Eine Partei im Bundestag, die er hier nicht nennen wolle.

Am Montag hatte Angela Merkel „Öffnungsdiskussionsorgien“ kritisiert. Jetzt schrieb das ZDF in einer Ankündigung des Illner-Talks, die Kanzlerin habe vor „Öffnungsorgien“ gewarnt. Hm –  das wäre allerdings was ganz anderes. Ist Maybrit Illner der Unterschied klar? Ihre Gäste:

Malu Dreyer (59, SPD). Die Mainzer Ministerpräsidentin will, dass auch Taxi- und Busfahrer Schutzmasken tragen. Das passt allerdings nicht zur StVO!

Özdemir wurde selbst infiziert und warnt: „Die Krise ist immer noch ernst!“

Der Virologie Prof. Hendrik Streeck vermutete zwei Tage zuvor bei Markus Lanz, dass in Deutschland bereits 1,2 Millionen Menschen infiziert seien.

VW-Boss Herbert Diess bereitet den Konzern in China bereits auf eine neuen Hochlauf vor.

Die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim (32). („maiLab“) warnte Fußballfans: „Gefüllte Stadien nicht, bevor der Impfstoff kommt!“

In den letzten 26 Prime-Talks mussten die Grünen draußen bleiben, jetzt durfte endlich mal wieder einer mitreden. Aber nicht Habeck, nicht Baerbock, nicht Göring-Eckardt, sondern der alte Haudegen aus Schwaben.

Parteiischstes Statement

Und Özdemir führt sich auch gleich entsprechend ein. Die Kritik der Kanzlerin an vorpreschenden Bundesländern treffe „weniger auf Rheinland-Pfalz zu“, meint er – klar, dort regieren die Grünen mit. Malu Dreyer, aus Mainz zugeschaltet, guckt gespannt vom Flachbildschirm.

Aber: „Ich denke da eher so an den Wettbewerb, den es bei der CDU gerade gibt um die Frage, wer wird Frau Merkel nachfolgen“, lästerte Özdemir dann. „Da sind manche ein bisschen nassforsch unterwegs, das brauchen wir jetzt wirklich nicht!

Da ist er wieder, der Cem, und ganz der Alte! Aber dass Laschet oder Söder „nassforsch“ handeln, wird wohl selbst der grünen Wählerschaft nicht so gesehen: Der Bayer hat 94 Prozent Zustimmung.

Und schon ging der Zoff los

„Wir haben die Krise als Gesellschaft sehr gut bewältigt“, freute sich VW-Chef Diess. „Jetzt geht es darum, die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen!“

Journalistin Mai Thi aber hatte eine komplett andere Priorität: „Wenn wir jetzt noch ein paar Wochen durchhalten“, meinte sie, „schaffen wir uns damit Freiheiten auch für Wirtschaft und Gesellschaft, die wir nicht haben werden, wenn wir zu schnell lockern!“

Einprägsamstes Beispiel

„Das ist wie bei dem Experiment mit den Kindern und dem Marshmallow“, erklärte die Journalistin. „Man verspricht einem Kind ein Marshmallow, wenn es das sofort isst, oder zwei, wenn es 15 Minuten wartet.“

Die Lehre daraus, so Mai Thi: „Viele Kinder können nicht 15 Minuten warten. Ich hoffe, wir können das! Denn wenn wir jetzt noch einmal einen Lockdown haben, werden die Schäden noch viel größer sein.“

Neueste Wortschöpfung

Es kann sein, dass wir eine zweite oder sogar eine dritte Infektionswelle haben werden“, warnte Virologe Streeck. „Wir müssen anfangen, mit dem Virus zu leben, so wie wir mit den vielen anderen Viren leben, mit denen wir im Winter Probleme haben.“

Die Ministerpräsidentin führte ein neues Wort ein: „Wir haben viel erreicht“, sagte sie, „aber wir müssen immer ein bisschen bösgläubig bleiben.“ Hm, bösgläubig – von diesem Wort hat noch nicht mal der Duden was gehört. Passt aber.

Exakteste Zustandsbeschreibung

„Wir haben das Ziel knapp erreicht“, urteilte Mai Thi, „aber das Wasser steht uns bis kurz unter die Nasenspitze. Die Betten könnten sich sehr schnell wieder füllen!“

Ihre Warnung: „Wenn wir jetzt einen Zentimeter in die falsche Richtung gehen, könnten wir mehrere Meter abrutschen!

Realistischste Ansage

Das Virus ist weltweit heimisch geworden“, stellte Prof. Streeck fest. „Wir werden es aus dem menschlichen Körper nicht mehr rauskriegen. Wir müssen lernen, mit ihm umzugehen!

Özdemir bliebt skeptisch: „Die Kollegen in der Politik und anderswo, die jetzt sagen: Alle Kinder wieder in die Schule – ich würde mir wünschen, dass die jetzt einen Wettbewerb machen: Wer hat die saubersten Klos?“

Dem Virologen blieb bei dieser Art Populismus nur ein mildes Lächeln. Husten! Niesen! Sprechen! Tröpfcheninfektion! Händewaschen wichtig, aber eben doch nur eine von vielen nötigen Schutzmaßnahmen.

Ehrlichstes Selbstlob

„Wir haben für 40 Millionen medizinische Ausrüstung gespendet“, zählte der VW-Chef auf. „Wir haben sieben Millionen Masken gebracht. Porsche hat groß gespendet. In Spanien haben wir begonnen, Beatmungshilfen zu bauen, 800 sind ausgeliefert.“

„Wir können in Deutschland stolz auf das sein, was wir erreicht haben, mit Disziplin“, fügte er hinzu.

Zahlen des Abends

Zu den 60 Prozent Kurzarbeit bei VW sagte Diess: „Wir doppeln auf, auf hundert Prozent, also die Mitarbeiter haben keinen Kaufkraftverlust.“ Das ist mal ein Wort!

Außerdem seien das „keine Staatsgelder“, sondern Beiträge aus den Sozialkassen: „Wir zahlen jedes Jahr 500 Millionen ein, und haben im März 40 Millionen  Unterstützung daraus abgerufen“, rechnete der VW-Chef vor. „Ich glaube, das kann man vertreten.“

Härteste Frage

Ein ZDF-Einspieler zeigte Streeck bei der Bekanntgabe von Zwischenergebnissen seiner vielzitierten Studie: Die Bevölkerung im Corona-Hotspot Gangelt habe eine Immunität von 15 Prozent ausgebildet. Danach hatte Landeschef Armin Laschet „Kurs auf Lockerung“ genommen.

Illner ging gleich ans Eingemacht: „Werden Sie und Ihre Kollegen durch die Landesregierung instrumentalisiert?“ fragte sie den Virologen zu ihrer Rechten.

Umfassendstes Dementi

„Die Hauptfinanzierung kommt von unseren eigenen Institutsmitteln“, antwortete Streeck. „Eine Million für eine Studie in Bayern, 65.000 für uns – da sieht man die Größenordnung.“

Diess grinst über das ganze Gesicht. Von „Peanuts“ würde der VW-Chef selbst bei solchen Beträgen auf keinen Fall reden.

Ermutigendste Info

Nach ziemlichem Stress mit angefochtenen Zwischenergebnissen möchte Streeck nichts mehr rausrücken, schon gar nicht Endergebnisse. Nur so viel: „Jetzt sitze ich hier ganz entspannt.“ Bedeutete: Und ich habe doch recht!

Jede Vorhersage, dass wir einen Impfstoff haben werden, ist unseriös!“ machte der Virologe außerdem klar.

Özdemir setzte sich mit einer Wortmeldung der Kategorie „Ich bin auch noch da“ in Szene: „Wissenschaft arbeitet wissenschaftlich, mit These, Antithese, und dann gibt‘s möglicherweise eine Synthese“, dozierte der gelernte Sozialpädagoge, und Diess grinste sich schon wieder eins.

Dann knallte es wieder

Mai Thi war von der Studie und ihrer Wirkung auf die NRW-Landesregierung „irritiert“ und patzte den Professor an: „Ich sehe da keinen Zusammenhang mit den Hygienemaßnahmen!“

„Es ist ja nicht nur ich, der da steht“, wehrte sich Streeck und zählt die „großen Hygieniker“ unter seinen 80 Mitstreitern auf: „Wenn man mich kritisiert, kritisiert man die alle mit!“ warnte er.

Kniffligster Dialog

„Wir sehen in der Studie den Zusammenhang mit der Hygiene sehr klar!“ stellt er dann fest. „Im Übrigen gab es auch ein Vorgespräch, wo wir zwei Stunden lang Fragen zu dem Protokoll erklärt haben, die vielleicht nicht alle mitgenommen haben…“ Rumms!

Streeck wollte noch mehr sagen, wurde aber gleich wieder unterbrochen, denn die Journalistin ließ sich nichts gefallen: „Und was war noch mal der genaue Zusammenhang zwischen den Ergebnisse und der Hygiene?“ bohrte sie weiter.

„Genau das wollte ich fragen!“, assistierte die Talkmasterin.

Charmanteste Entschuldigung

Die Journalistin merkte, dass sie immer ziemlich abrupt dazwischenfunkte. „Tut mir Leid, mit der Schalte bin ich ein bisschen verzögert“, lächelte sie. „Ich will ja gar nicht ständig reinquatschen!“

„Nee, Sie sind goldrichtig!“ lobte Illner. Da war dann auch geklärt.

In eigener Sache

„Wir hatten genau das Phänomen mit den 15 Prozent“, berichtete Özdemir über sich und seine Familie. „Ich war felsenfest überzeugt und hätte alles dafür verwettet, dass ich sie angesteckt habe, aber ich habe sie nicht angesteckt. Das zeigt, dass das eben sehr atypisch ist.

Positivster Ausblick

Ich glaube, dass im Moment alles dafür getan wird, dass die Schule – sehr langsam, peu a peu – wieder beginnen kann“, sagte die Ministerpräsidentin zum Schluss.“ Und: „Wir müssen auch auf das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein ganze Stück achten!“ Da gibt es keinen Widerspruch, und das Zoff-o-Meter packt ein.

Fazit: Überladenes Info-Büfett in schwer verdaulichen Portionen, zwischendurch diskursiver Wildwuchs bis hin zur strukturlosen Vollmotzerei: Das war eine Talkshow der Kategorie „Stresstest“.

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