Geschichte

Bremen 1945. Der letzte Befehl lautete: „Schießen auf alles, was sich bewegt!“

Am 26.April 1945, dem vorletzten Tag des Krieges in Bremen, ist der Widerstand der letzten Wehrmachtseinheiten fast schon erloschen. Außer bei einem Scharmützel in der Kaserne Huckelriede fällt kaum ein Schuss. „Die britischen Einheiten nahmen am Abend Quartier auf dem Gelände der Brauerei Beck und tranken das erste Bier“, meldet die Geschichte des 1. Bataillons der “Royal Norfolks“. Die Soldaten, meist Schotten, sind froh, daß es keine schweren Gefechte wie zuvor in Brinkum und Oyten gibt.

Auch die Bremer hoffen, dass jetzt bald alles vorbei ist, denn sie sind mit ihren Kräften am Ende. „In unserem von Blut und Gestank erfüllten Sani-Raum trösteten wir uns gegenseitig, dass der Feind ja endlich kommen müsse“, schildert der Kinderarzt Dr.Albrecht Mertz die schlimmen Zustände im Bunker Loignystraße. „Die Marineinfanterie zog sich endlich nach der Heerstraße zurück, einige Versprengte wurden nachdrücklich in diese Richtung verwiesen, wir wollten doch die betrunkenen Kerle schon um unserer eigenen Sicherheit willen möglichst rasch und weit weg haben!“

Das ist oft nicht leicht. Mertz: „Einen betrunkenen Unteroffizier, der unter dem Vorwand einer Auskunft in meinen Sani-Raum eingedrungen war und sich einfach auf die unterste Pritsche gelegt hatte, konnte ich nur durch einen unserer Polizisten nach einer guten Stunde wieder hinausschmeißen lassen.“

Die Briten wollen nichts mehr riskieren. Sie rücken nur langsam vor und feuern im Zweifel erst einmal in die Gegend, um festzustellen, ob irgendwo noch jemand kämpfen will. Am Vormittag haben sie die Innenstadt unter Kontrolle. „Gegen 10 Uhr suchten Offiziere den Stellvertretenden Regierenden Bürgermeister Dr.Richard Duckwitz auf und bestellten ihn zum Polizeihaus am Wall“, schreibt Peter Groth in „Kriegsende in Bremen“. „Dort wurde Duckwitz am frühen Nachmittag seines Amtes enthoben und für nur vier Tage durch den Polizeipräsidenten Hans Schroers ersetzt.“

Die englischen Offiziere fordern die erschöpften Menschen in den Bunkern auf, nach Hause zu gehen und Ruhe zu bewahren, doch dort beginnen englische Soldaten nun ganze Straßenzüge zu plündern: Besonders begehrt sind Fahnen und Abzeichen mit dem Hakenkreuz, aber auch Uhren, Schmuck und Fotoapparate.

„Einmal, es war schon Sperrstunde und wir waren alle gerade schlafen gegangen, klopfte es laut an die Tür“, erzählt Regina Bruss in „Mit Zuckersack und Heißgetränk“. „Als jemand von uns öffnet, traten zwei bis an die Zähne bewaffnete Engländer uns forsch entgegen, durchsuchten alle Räume, nahmen sich, was sie für gut und wertvoll hielten, und verschwanden wieder.“

Besonders viel Spaß haben die Sieger an einem fiesen Trick: Sie fragen Passanten nach der Uhrzeit – und wenn die Angesprochenen höflich die Taschenuhr herausziehen, sind sie das gute Stück los.

Von den letzten deutschen Verteidigern haben die Briten nicht mehr viel zu befürchten. Als Kinderarzt Mertz einige Landser fragt, ob ihnen denn nicht klar sei, dass ihr sinnloser Kampf Bremen und den Bremern nur schade, antwortet ein Unteroffizier: „Ich habe im Rheinland auch alles verloren und weiß nicht, ob Frau und Kinder noch leben, so könnt ihr von mir aus hier auch alle zum Teufel gehen!“

Den letzten Totenschein dieses Krieges stellt Dr.Mertz kurz danach für ein 19jähriges Mädchen aus: „Sie war nicht durch die englische Ari umgekommen, sondern von der betrunkenen Meute unserer letzten ‚Verteidiger’ erschossen worden, als sie wieder in den Schutz des Bunkers flüchten wollte“, berichtet er. „Sie konnten in der hellen Vollmondnacht in ihrem Rausch Freund und Feind nicht mehr unterscheiden und schossen unterschiedslos auf ‚alles, was sich bewegte’, so habe ihr letzter Befehl gelautet. Und das ist das Letzte, was ich von der deutschen Wehrmacht berichten kann. Es liegt ein grausiger Sinn darin, wenn man alles so kommen sah und ansah wie ich in diesem Jahren.“

Und doch ist der Kampf noch nicht zu Ende: Als drei britische Bataillone zum Bürgerpark vordringen, werden sie von heftigem MG-Feuer überrascht und verlieren in wenigen Minuten zwölf Männer. Denn dort, um die Bunker des Kampfkommandanten und des Standortkommandanten von Bremen, liegen noch immer tausend deutsche Soldaten, bereit zum Kampf bis zur letzten Patrone.

Morgen: „Ein schöneres Finale hätten wir uns nicht wünschen können!“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert