„Maybrit Illner: Erdogan und die Flüchtlinge – Erpressung oder Notwehr?“ ZDF, Donnerstag, 5.März 2020, 22.15 Uhr.
Die Co-Parteivorsitzende der Grünen, Annalena Baerbock, hat in der ZDF-Talkshow „Maybrit Illner“ am Donnerstag angekündigt, dass die in Deutschland anerkannten Asylanten aus Syrien höchstwahrscheinlich für immer bleiben werden.
Talkmasterin Maybrit Illner hatte zunächst festgestellt: „Wir gehen davon aus, dass Bürgerkriegsflüchtlinge irgendwann in die Heimat zurückkehren.“
Doch da war Baerbock ganz anderer Meinung: „Die Menschen, die seit Jahren bei uns leben und sie sich gut integriert haben“, müssten wissen, „dass sie einen dauerhaften Aufenthaltstitel bekommen werden!“
Europa kämpft um seine Grenze: Wie lange halten die Griechen noch dicht? Maybrit Illner fragte Politiker und Experten:
Baerbock wollte der Union eine Mitschuld ans Hemd kleben: „Sie lehnt alles ab!“
CDU- Generalsekretär Paul Ziemiak konterte, Baerbocks Forderung nach Sofortaufnahme von 5000 Flüchtlingen sei „verantwortungslos“.
Die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor schimpfte: „Die EU erntet, was sie gesät hat!“
Der Wiener Migrationsforscher Gerald Knaus, der 2016 am Flüchtlingsdeal mitgeschraubt hatte, forderte jetzt eine „Übereinkunft 2.0 zwischen der EU und der Türkei“.
Die Aktivistin Marie von Manteuffel („Ärzte ohne Grenzen“) verlangte als ersten Schritt, chronisch kranke Kinder und ihre Familien aufzunehmen.
Die Journalistin Kristin Helberg will „per Kontingent die am meisten gefährdeten syrischen Flüchtlinge retten“.
Alle wollen Gutes, aber nicht alle das Gleiche.
Mutigste Ansage
„Wir brauchen Humanität, aber wir brauchen auch Ordnung“, machte Ziemiak als erstes klar. „Und dazu gehören sichere EU-Außengrenzen!“ Dafür gab’s Beifall.
Baerbock konzentrierte sich auf die katastrophalen Zustände in den Lagern in Griechenland: „Deutschland muss zu seinen Zusagen stehen, dass man immer wieder Kontingente abnimmt!“ rief sie. Dafür gibt es noch mehr Beifall.
Dann ging schon der Zoff los
Migrationsexperte Knaus erhob schwere Vorwürfe: „Wir wissen seit Jahren, dass aus Idlib irgendwann viele nach Europa kommen wollen“, sagte er. „Aber die EU wirkt ohnmächtig und ziemlich unwillig!“
Ziemiak widersprach sofort: „Die Flüchtlinge an der Grenze sind keine Syrer, sondern vor allem Afghanen!“ stellte er fest.
Interessanteste Argumente
„Wir haben in Syrien eine Verantwortung, weil wir in diesem Krieg nichts ausrichten“, meinte Journalistin Helberg.
Knaus schimpfte: „Noch nicht mal Trump an der mexikanischen Grenze hat das Asylrecht ausgesetzt, wie es jetzt die Griechen tun!“
Härtester Vorwurf
„Hier werden Dinge durcheinandergebracht, damit es ideologisch passt!“ kritisierte Ziemiak. Seine schlimme Prognose: Würden 5000 aufgenommen, kämen sofort 50.000 nach.
Dann aber, so seine Warnung, sei es damit vorbei, „dass wir im Schengenraum keine Grenzen mehr haben.“
Baerbock war empört: „Wenn man jetzt Tränengas auf Kinder schießt, dann kreiert man das Chaos!“ klagte sie an.
Energischste Aufforderung
Zwar, so die Grüne-Chefin, sei es „das Wesen einer Grenze, dass sie kontrolliert wird.“ Aber: Eine Grenze „muss auch legale Zugänge haben“.
„Wir sollten die Kinder sofort von den Inseln holen!“ forderte auch Knaus. „Und einen Weg finden, dass nicht noch mehr Menschen auf den Inseln ankommen.“ Hm – und wie? Leider verzichtete die Talkmasterin auf die fällige Nachfrage.
Dramatischster Appell
Stattdessen interviewte Illner außerhalb der Runde die Aktivistin von „Ärzte ohne Grenzen“. Sichtlich erschüttert prangerte von Manteuffel „politikgemachte Entmenschlichung“, Folter und „sexualisierte Gewalt“ an.
„Wir betreuen Kinder, die chronisch krank sind und nicht behandelt werden“, klagte sie. „Kinder, die psychosozial zugrunde gehen!“
Bewegendste Fälle: „Wir haben Kinder, die aufhören zu essen, aufhören zu sprechen, aufhören zu spielen“, sagte von Manteuffel. „Kinder, die sich verletzen, die sogar versuchen, sich das Leben zu nehmen. Die sind teilweise noch nicht mal zehn Jahre alt!“
Schärfste Kanzlerin-Kritik
Experte Knaus erinnerte an die vielen Projekte für syrische Flüchtlinge in der Türkei, besonders für Kinder und Jugendliche: Alles von der EU finanziert, alles jetzt vor dem Aus.
Journalistin Helberg kritisierte das Abkommen der Kanzlerin: „Wir haben ein Problem ausgelagert und uns damit durch Herrn Erdogan erpressbar gemacht!“
Doch Deal-Vorbereiter Knaus nahm den Präsidenten in Schutz: „Herr Erdogan hat Recht!“ behauptete er. „Die EU reagiert erst, wenn Tausende an der Grenze stehen!“
Klarste Kante
„Wir müssen Herrn Erdogan zeigen, dass wir nicht erpressbar sind!“ forderte Ziemiak. „Herr Erdogan bestimmt nicht, wer in die EU kommt! Sondern die EU bestimmt das selbst!“
Optimistischste Hoffnung
Zur angedachten Verlängerung des abgelaufenen Abkommens der EU mit der Türkei sagte der Generalsekretär: „Die Chancen stehen hoch. Alle haben ein großes Interesse daran!“
„Wir sind zum Spielball geworden, weil Erdogan weiß, wie er sofort Chaos stiften kann“, gestand Baerbock.
Umstrittenster Lösungsvorschlag
„Wir müssen zeigen, dass die Türkei in der Flüchtlingsfrage nicht allein steht!“ meinte die Grüne-Chefin und verlangte noch einmal, „dass wir Kontingente aufnehmen“.
Emotionalste Erzählung
Islamexpertin Lamya Kaddor schilderte das traurige Schicksal ihres Vaters. Er hatte vor fünf Jahren in Syrien ein Bein verloren. Seine Kinder retteten ihn nach Deutschland, doch er ging immer wieder nach Idlib zurück, um in der Heimat nach Verwandten zu sehen.
„Vor drei Monaten kam eine Beileids-SMS“, berichtet sie. „Papa wurde ausgeraubt und ermordet.“
„Drei Millionen Menschen sind dort eingekesselt“, sagte die Islamwissenschaftlerin bedrückt. „Es gibt keinen Ausweg mehr.“
Vernünftigste Vorschläge
Die brauchbarsten Lösungsideen kamen zum Schluss. Baerbock forderte einen „humanitären Korridor“ für Idlib und „Druck auf Erdogan, die Islamisten dort nicht weiter zu unterstützen“.
Ziemiak will, dass Europa „nicht Zuschauer, sondern Akteur“ wird. Und nebenbei, dass das Flüchtlingsthema nicht genutzt werde, „sich parteipolitisch gegeneinander aufzustellen“. Sein Credo: „Wir müssen den Menschen dort helfen, wo sie herkommen – wenn das möglich ist.“
Knaus regte eine internationale Konferenz an, wie sie 1979 in Genf die Verteilung der zwei Millionen vietnamesischer Boatpeople organisiert habe: „Deutschland hat ein Prestige, hier was zu tun!“
Und ARD-Helberg sagte: „Wenn wir wollen, dass Russland diese Form von Kriegsführung beendet, dann muss sie schmerzhaft werden für Russland, mindestens mit gezielten Sanktionen gegen die militärisch Verantwortlichen!“
Fazit: Viel guter Wille, aber wenig Hoffnung bei der Suche nach dem Ausweg aus Erdogans Zwickmühle und immer wieder die gleichen Antworten: Das war ein Talk der Abteilung „Kreisverkehr“.