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Atom-Zoff bei Illner: Lindner will Kernkraft-Chancen prüfen

„Maybrit Illner: Alarmstufe beim Gas – wird Energie unbezahlbar?“ ZDF, Donnerstag, 23.Juni 2022, 22.15 Uhr.

Putins Pipeline-Pressionen plündern das deutsche Portemonnaie, und die Politik setzt lieber auf klimaschädliche Schmuddel-Kohle als auf atomaren Sauber-Strom. Hilfe! Maybrit Illners Gäste:

Christian Lindner (43, FDP). Der Finanzminister warnt vor „drei bis vier, vielleicht fünf Jahren der Knappheit“ und will „ohne Tabus“ über die drei letzten Kernkraftwerke reden. Atomkraft ja bitte?

Lars Klingbeil (44, SPD). Der Parteichef besetzt die alten ideologische Barrikaden: „Keine Atomkraft, kein Fracking!“

Prof. Monika Schnitzer (60). Die Wirtschaftsforscherin meldet: „Wir haben als Sachverständigenrat unsere Wachstumsprognose von vier Prozent auf unter zwei Prozent reduziert.“

Klaus Müller (51, Grüne). Der Chef der Bundesnetzagentur fürchtet: „Es kann zu einer Verdreifachung der Gasrechnung kommen!“ Er wird aus Bonn zugeschaltet.

Henrike Roßbach (42). Die Journalistin („SZ“) sieht „kaum eine Alternative, denn wir können ja nicht so tun, als wäre Putin nicht in der Ukraine einmarschiert.“

Politik, Wissenschaft, Medien – das Zoff-o-Meter guckt genau hin: Wer tritt auf die Bremse, wer gibt Gas?

Alarmierendste Zahlen

Die Wirtschaftsforscherin liefert die bedenkliche Eröffnungsbilanz: Die Gasspeicher seien zwar inzwischen zu 60 Prozent gefüllt, aber „wenn Putin immer mehr Ernst machen sollte, müssen wir uns warm anziehen!“

Prof. Schnitzers betrüblichste Feststellung: „Sollten wir eine Versorgungsknappheit bekommen, müssen wir tatsächlich damit rechnen, dass wir in eine Rezession rutschen!“

Eindringlichste Warnung

Auch der Finanzminister haut voll auf die Alarmglocke: „Wir haben bereits 15 Milliarden Euro an Garantien eingeplant, die jetzt genutzt werden, damit der deutsche Staat die Gasspeicher befüllt“, berichtet er.

Lindners bittere Erkenntnis: „Die fiskalischen Möglichkeiten Deutschlands sind begrenzt. Im letzten Jahr hat der Staat vier Milliarden Euro für seine Zinsen gezahlt, im nächsten Jahr plane ich bereits 30 Milliarden ein. Wir können die Politik auf Pump nicht fortsetzen!“

Energischste Kommentare

SZ-Journalistin Roßbach schimpft: „Was Putin tut, freiheitliche Demokratien bekämpfen, die Friedensordnung erschüttern und Grenzen neu ziehen, da kann man ja nicht mit Blick auf die Gasrechnung sagen: Na gut, das müssen wir jetzt hinnehmen!“

Auch SPD-Chef Klingbeil kennt kein Vertun: „Wir müssen uns auf harte Monate einstellen!“ Aber: „Ich finde es richtig, dass wir an der Seite der Ukraine stehen.“

Unwillkommenste Erinnerung

„Wir wissen, dass es eine jährliche Wartung vom ‚Nord Stream 1‘ gibt“, kündigt Netzagentur-Chef Müller an. „Ab dem 11.Juli rechnen wir erst einmal damit, dass die Gasflüsse über diese Leitung auf Null runtergehen.“ Schluck!

Über die Preissteigerungen weiß der Experte indes auch Tröstliches: „Stand heute geht es nicht darum, dass Stadtwerke oder jemand anderes Pleite geht. Stand heute haben wir noch eine stabile Versorgung mit Gas.“

Nervöseste Fehlleistungen

Der Gedanke an die zehntägige Wartung der Ostsee-Pipeline macht die Talkmasterin sichtlich beklommen: „Sie vermuten, dass das Gas dann wiederkommt?“, fragt sie verunsichert. „Oder Sie vermuten, dass es nicht kommt? Das ist ein Blick in die Schneekugel. Sehe ich das richtig?“

„Das ist vollkommen richtig: die berühmte Glaskugel“, verbessert Müller höflich.

„Die Verbraucherzentralen rechnen jetzt schon für eine vierköpfige Familie mit Preissteigerungen von bis zu 20.000 Euro“, verkündet Illner als nächstes.

Ui! „20.000 Euro?“ wiederholt Lindner fragend, und die hibbelige Talkmasterin berichtigt dankend: „Pardon! 2000 Euro.“ Alles klar…

Kniffligster Punkt

„Ich habe große Sorgen“, gesteht Lindner dann, „und das hält mich mitunter nachts wach. Aber diese große Sorge muss gleichzeitig zu großer Konzentration führen, damit wir jetzt das Richtige tun.“ Und das wäre? Klingbeil weiß, was jetzt kommt, und setzt schon mal sein Sphinx-Gesicht auf.

Und tatsächlich: „Wir dürfen uns keine Tabus erlauben“, fordert der Finanzminister beschwörend. „Wir wollen alle grünen Wasserstoff nach Deutschland importieren. Ich bin auch bereit, roten Wasserstoff aus Frankreich einzukaufen, also den Wasserstoff, der mit Kernenergie gemacht worden ist.“ Uff! Atomstrom!

Kühnster Vorstoß

Dann lässt der Finanzminister die Katze aus dem Sack: „Ich wäre auch bereit für eine Diskussion, in Deutschland die verbliebenen Kernkraftwerke eine Zeit weiter zu verwenden“, gibt er wacker zu Protokoll, „um alles zu nutzen, um Preise zu reduzieren.“

Die Talkmasterin möchte aber erst mal wissen, wie der Staat Energie sparen könne. Das schmeckt den Minister nicht, und wenig enthusiastisch nennt er als Beispiel die energetische Gebäudesanierung: „Das braucht aber Zeit“, murrt er. „Die Aufgabe des Staates ist jetzt eher eine andere!“

Spannendstes Versprechen

Klingbeil möchte bei den Mietern punkten: „Die Bürger brauchen eine Gewissheit, dass niemand seine Wohnung verliert, weil er die nächsten Monate die Energiekosten nicht tragen kann“, erklärt der SPD-Chef. „Deshalb werden wir einen Schutzschirm vorschlagen, den wir in der Koalition noch diskutieren werden.“

Prof. Schnitzer glänzt mit Beispielen bürgerlicher Selbsthilfe aus Japan: Dort hätten Mieter in Eigenregie die Heizungsrohre im Keller isoliert und lebten zudem nach dem Prinzip „One up, two down“: eine Treppe rauf, zwei runter ohne Lift, erst bei mehreren Stockwerken wird gefahren.

Unernsteste Nachfrage

Lindner hat sich vorgenommen, jeden Sonntagabend an den im Gulag inhaftierten Oppositionellen Alexei Nawalny zu erinnern: „Russland ist nicht gleich Putin!“

„Und warum Sonntagabend?“, fragt Illner kichernd. „Kann man doch auch alle Tage die Woche machen.“ Hm! Weiß die Talkmasterin nicht, dass allzu häufige Wiederholung Wirkung kostet und auf Dauer abstumpft?

Deutlichste Selbstkritik

„Deutschland hat in den vergangenen Jahrzehnten den großen Fehler gemacht, nicht global, sondern bilateral zu handeln“, gibt Lindner dann zu. „Unsere Sicherheit haben wir an die Amerikaner outgesourct, unsere Energieversorgung an Russland, und im Übrigen haben wir eine sehr hohe Abhängigkeit vom chinesischen Binnenmarkt.“

„Übrigens: Ich wäre auch offen für die Suche nach Öl- und Gasquellen in der Nordsee“, fügt der Minister hinzu. „Da sind noch welche, und die sind heute auch wirtschaftlicher als früher!“

Schlagfertigster Konter

Über die staatlichen Mehreinnahmen durch die kalte Progression sagt der Minister mit Blick auf die jüngsten Tarifabschlüsse: „Im Südwesten 6,5 Prozent, das gleicht den Kaufkraftverlust aus, aber wer profitiert davon? Ich!“

„Ich glaube, das wissen die Zuschauer“, ätzt die Talkmasterin.

Doch Lindner lässt sich nicht gern die Butter vom Brot nehmen: „Vielleicht zeige ich den Zuschauern: Ich weiß es auch!“, grient er in den graumelierten Bart.

Gretchenfrage des Abends

Kurz vor Schluss packt Illner doch noch das heiße Eisen an: „Wieviel Sinn macht es, auch über Atom nachzudenken?“

„Ich bin da völlig pragmatisch und unideologisch“, behauptet die Professorin. „Könnten wir sie wirklich ohne irgendwelche Schwierigkeiten laufen lassen, würde uns das sicherlich helfen. Die Experten geben unterschiedliche Einschätzungen dazu.“  

Energischste Aufforderung

Netzagentur-Müller fällt prompt ein vernichtendes Urteil: „Keine Nebenkriegsschauplätze führen!“, mahnt er etwas holprig. „Die Atomdebatte hilft uns nicht weiter, denn Atomkraftwerke produzieren keine Wärme, sondern Strom.“

Illner ist damit keineswegs zufrieden: „Sie könnten ja auch etwas vehementer sagen, das uns das nicht rettet“, mosert sie.

Dann dreht doch noch das Zoff-o-Meter hoch

Prompt hält Müller ein flammendes Plädoyer mit aller Routine des in zahllosen Redeschlachten gestählten Kernkraftgegners: Die Brennelemente kämen häufig aus Russland, orgelt er los, führende Energieerzeuger hätten gar kein Interesse am Laufenlassen, wir hätten keine Stromlücke und sollten sie auch nichtherbeireden.“ Puh!

Der gegenwärtige Chef der Bundesnetzagentur hat mit größter Eleganz und Objektivität verborgen, dass er früher ein grüner Minister war“, spottet Lindner.

Dann patzt der Minister die Talkmasterin an: „Den jetzt nach dem Thema Kernenergie zu fragen war eine besondere Pointe von Ihnen!“ Und Müller kriegt sich auf seinem Monitor vor Lachen gar nicht mehr ein.

Letztes Atomgefecht

Zur Sache sagt Lindner: „Wir haben keine Stromlücke, aber wir haben Klimaziele. Brennelemente bekäme man zum Beispiel aus Australien. In der ARD wird morgen eine Umfrage präsentiert, dass die Mehrheit der Deutschen sagt: Wenn es das Klima schützt, sind wir dafür offen. Das muss man ernst nehmen!“

In dieser Talkshow gilt das aber nicht, und Klingbeil lässt das Fallbeil niedersausen: „Ich finde, wir sollten das tun, was im Koalitionsvertrag festgehalten ist“, knurrt er. Auf Deutsch: Schnauze!

Zitat des Abends

Ich beklage mich nicht, zu wenig zu tun zu haben.“ Christian Lindner

Fazit

Schwer verdauliches Gebräu aus Steuerfachbegriffen, technischen Details, Juristerei und Statisterei mit einem kräftigen Schuss Ideologie: Das war eine Talkshow der Kategorie „Ausschusssitzung“.

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