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Angela Merkel bei Anne Will: Die Kanzlerin droht den Ministerpräsidenten

„Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Gast bei Anne Will“. ARD, Sonntag, 28.März 2021, 21.45 Uhr.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in der ARD-Talkshow „Anne Will“ am Sonntag drei Mitglieder der Ministerpräsidentenkonferenz deutlich kritisiert.

Wörtlich sagte sie dabei: „Ich merke, dass in den Ländern zum Teil ein Umdenken stattfindet – aber noch nicht ausreichend!

Und, mit drohendem Unterton: „Ich werde jetzt nicht 14 Tage lang tatenlos zusehen, wenn nichts passiert, was wirklich eine Trendumkehr verspricht!“

Das Volk an Boden, die Regierung in den Seilen, die Partei im Sturzflug! Höchste Zeit für eine neue Durchsage der Chefpilotin: Ein simples Sorry reicht nicht mehr, jetzt schaltet Anne Will das Mikrofon in den Dauerbetrieb.

Aktuell besteht das politische Kapital der Kanzlerin vor allem aus ihrer populären Verzeihungs-Bitte. Als Büßerhemd dient in der Show ein Blazer in päpstlichem Weiß.

Geschickteste Rechtfertigung

Für einen Kniefall reichte es allerdings nicht. Wofür genau Verzeihung? forscht die Talkmasterin gleich mal nach. „Für die Verunsicherung“, antwortete Merkel gelassen. „Dafür, dass wir uns etwas überlegt hatten, und ich mir etwas überlegt hatte…“

„Ganz alleine?“ fragt Will.

„Nein, ganze alleine ist ja sowas nicht“, machte die Kanzlerin klar, „wir haben es ja zum Schluss alle beschlossen! Aber ich trage da schon die Verantwortung dafür…“

Politischste Strategie

Merkels Verteidigungslinie: Die nächtlichen Beschlüsse seien „aus gutem Grund erfolgt“, hätten sich aber „Stunden später als so nicht realisierbar dargestellt“.

Für eine Entschuldigung hätte es „auch andere Anlässe gegeben“, wandte Will ein und zählte auf: Impfen, Testen, fehlender Schutz für Alten- und Pflegeheime. Warum jetzt bei einem solchen „handwerklichen Fehler“?

Interessanteste Interpretation

„Es gibt Unzulänglichkeiten bei dieser Pandemiebekämpfung“, antwortete die Kanzlerin. „Es gibt Dinge, die gelingen, und Dinge, die längst nicht so gut gelungen sind.“

Eine Generalbeichte aber wird es auch diesmal nicht: „Nicht für alles trage ich ja auch die Verantwortung“, schwurbelte Merkel. „Ich trage immer die letzte Verantwortung, aber nicht in jedem Detail die Verantwortung.

Gretchenfrage des Abends

Ob die Kanzlerin am Ende ihrer Autorität und Durchsetzungskraft angelangt sei? setzte die Talkmasterin nach. „Nein, das glaube ich überhaupt nicht“, erwiderte Merkel sofort.

Allerdings sei der vergangene Montag eine „Zäsur“ gewesen, „und da kann es nicht einfach so weitergehen!“ Das gelte aber auch für die Ministerpräsidenten.

Über die „Wege“ – gemeint waren vor allem die strapaziösen Nachtsitzungen –  müsse man noch mal nachdenken, fügte die Kanzlerin hinzu, „und mit diesem Nachdenken bin ich noch nicht am Ende.“

Wichtigstes Druckmittel

Merkels sanfte Drohung: Um die dritte Welle zu brechen, „müssen die Länder nachlegen“, denn „sonst muss ich überlegen, ob wir Wege finden.“ Oha!

Ihr Zaunpfahl: „Wir haben ja das Infektionsschutzgesetz. Dort ist der gesetzliche Auftrag für jeden ganz klar geregelt: Bei Inzidenzen über 50 (Infizierte pro Woche und 100.000 Einwohner) müssen umfassende Maßnahmen ergriffen werden, die geeignet sind, das Infektionsgeschehen einzudämmen.“ Rumms!

Ärgerlichstes Beispiel

Ihre vorwurfsvolle Bilanz: „Davon sehen wir im Augenblick noch nichts, und daran muss gearbeitet werden! Wir haben uns Stein und Bein geschworen, die Notbremse einzuhalten, aber sie wird nicht eingehalten!

Weitreichendste Ankündigung

„Wir müssen mehr tun“, forderte die Kanzlerin dann und zählt auf: Ausgangsbeschränkungen, weitere Kontakteinschränkungen plus Tests zweimal pro Woche in den Schulen.

Zum Thema Homeoffice ermahnt sie die Wirtschaft, dass sie „mit dem Enthusiasmus, mit dem man die Selbstverpflichtung umsetzt, auch noch nicht zufrieden“ sei“. Falls das nicht besser werde, „müssen wir das gesetzlich regeln, und zwar relativ bald!“

Klarste Ansage

Länder mit Lockerungsplänen warnte sie: „Öffnen ist im Augenblick nicht das Gebot der Stunde!“ Gewöhnungsbedürftigste Geschlechterbestimmung

Die Lage kann so ernst gar nicht sein, dass Will nicht trotzdem immer ihr Gendersteckenpferd peitscht, diesmal am schmerzhaftesten in einer Frage nach den mathematischen Pandemiemodellen.

„Sie haben“, fragte sie die Kanzlerin, „durch die Modelliererinnen und Modellierer gewusst, wie sich die britische Variante durchsetzen wird.“ Uff! Modelliererinnen und Modellierer! Wenn sowas man nicht unser neues Sprachmodell wird!

Kniffligste Konfrontation

Zu einem ARD-Einspieler über die Lockerungsübungen des saarländischen CDU-Ministerpräsidenten Tobias Hans, der ab 6.April einen Modellversuch auf sein gesamtes Bundesland ausdehnen möchte, sagte die Kanzlerin pikiert: „Die Infektionszahlen sind nicht stabil, und deshalb ist es nicht der richtige Zeitpunkt!“

Denn, so ihre Kritik an dem Parteifreund: „Eine sehr gewagte Ankündigung in eine psychologische Situation hinein, wo eigentlich das Gegenteil gemacht werden muss. Deshalb war ich nicht so glücklich darüber!“

Deutlichste Missfallenskundgebung

„Eigentlich soll das Testen der Sendung der Fallzahlen dienen“, fügt Merkel hinzu. „Aber es wird immer mehr zu einem Anreizinstrument, sich mehr Öffnungen zu erlauben!“

Und: „Ich wäre wirklich glücklich, meine trüben  Prognosen würden sich nicht erfüllen. Ich bin ein sehr optimistischer Mensch, und deshalb liegt mir nicht daran, recht zu behalten!“

Ihre Klage über manche Ministerpräsidenten: „Ich habe manchmal das Gefühl, dass sich so eine Rollenverteilung herausgebildet hat: Wir wissen, dass das Kanzleramt streng ist, und deshalb können wir ein kleines bisschen lockerer sein. Diese Rollenverteilung ist nicht gut!“

Das zielte auch auf Armin Laschet in NRW und den SPD-Bürgermeister Michael Müller in Berlin.

Tapferste Erklärung

Zum Impfdebakel der EU hob Merkel Positives hervor: Gemeinsame Bestellung gut, Bestellmenge gut!

Dafür kritisiert die Kanzlerin Länder, in denen es viel besser funktioniert als bei uns: USA und Großbritannien exportieren nichts, dagegen „haben wir in der EU nicht jedes Exportverbot gemacht!“

Ihre tröstliche Erwartung: „Wenn wir Ende des Sommers, also bis 20./21.September, jedem ein Impfangebot machen können, dann haben wir auch etwas hinbekommen.“ Puh!

Wackerstes Versprechen

Über die Bemühungen der Kommissionspräsidentin sagt die Kanzlerin: „Ich unterstützt Ursula von der Leyen, die sagt: Wer seine Verpflichtung aus den Verträgen nicht erfüllt, da müssen wir auch über Exportbeschränkungen nachdenken.“ Dann mal zu! Die Briten sind bald durchgeimpft, und die Amis juckt sowas eh nicht.

Merkels mehr als milder Tadel: „Ich wehre mich dagegen, dass hier blauäugig gehandelt wurde“, meint sie, aber „vielleicht kann man noch aktiver die Dinge betreiben…“

Nützlichstes Ventil

Eine Info sollte Druck aus dem Kessel nehmen: „Wir haben jetzt einen Stab ‚Zukunft des Impfens‘ eingerichtet“, meldete Merkel, „um noch mehr unsere industriellen Möglichkeiten für die Zukunft, wenn wir nachimpfen müssen, zu erweitern.“

„Aber“, so fügte die Kanzlerin gleich hinzu, „insgesamt, was den Bestellumfang anlangt und das, was uns zur Verfügung steht, anbelangt, haben wir gut gehandelt.“ Heidewitzka, Frau Kapitän!

Vorsichtigstes Versprechen

„Wir werden Ende des zweiten Quartals für über 50 Millionen Menschen ein Impfangebot haben“, kündigt die Kanzlerin dazu an – „wenn die Voraussagen so eintreffen…“

Mütterlichste Tröstung

„In so einer Pandemie macht jeder seinen Job nach bestem Wissen und Gewissen“, verteidigte die Kanzlerin ungenannte Kabinettsmitglieder, die „nach jedem Fehler öffentlich Senge kriegen“.

„Die Menschen sind natürlich auch irgendwo ermüdet von dem langen Lockdown und den Zumutungen, die sie erfahren“, erläuterte sie. „Das kann ich sehr, sehr gut verstehen!“

Ihr Rat an sich selbst: „Wir müssen uns auch wieder ein bisschen Mut und Kraft zusprechen. Hier arbeiten 10.000 Bundeswehrsoldaten, Menschen in Testzentren,  Ärzte, Krankenpfleger, Intensivmediziner, Lehrer – die alle brauchen auch mal ein Stück Ermutigung!“

Interessanteste Bilanz

„Ich habe an allem Anteil, was in den letzten 16 Jahren passiert ist“, räumte die Kanzlerin ein. „Aber wenn ich mir anschaue, wo wir 2005 standen, dann haben wir auch einiges erreicht!“

Ihr aktueller Vorsatz: „Fortschritt ist immer Entwicklung und nie Stillstand. Wir werden jetzt hart arbeiten müssen. Ich möchte dazu beitragen, dass die Union wieder erfolgreich sein kann.“

Und: „ Es wird dazu kommen, dass wir das Richtige tun.“

Emotionalstes Schlusswort

„Ich habe jetzt noch sechs Monate, mindestens, und dann die Regierungsbildung vor mir“, sagte die Kanzlerin am Ende sichtlich bewegt. „Jeder Tag ist extrem anspruchsvoll!“

Und: „Wie mein Gefühl ist, wenn ich abtrete, das weiß ich nicht. Im Augenblick habe ich ein entschlossenes Gefühl, um die große Aufgabe, die jetzt gerade wieder mit der dritten Welle vor uns liegt, zu bewältigen.“ Bonne chance!

Fazit: Die Kanzlerin rührte Beton für ihre Mauertaktik an, dazu gab’s Kostproben der bewährten Salami-Taktik: Zugeständnisse nur scheibchenweise. Außerdem viel eigenwillige Vergangenheitsdeutung vorzugsweise im Konjunktiv. Das war eine Talkshow der Kategorie „Wäre, hätte, Fehlerkette“.

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