„maischberger: die woche.“ ARD, Mittwoch, 24.November 2021, 21 Uhr.
König Olaf steigt auf den Thron, und ein Kronprinz ist auch schon da: Ist Generalsekretär Lars Klingbeil erst mal Parteichef, kommt keiner mehr an ihm vorbei. Die Schlagzeilen aber gehören denen, die heute als Ampel auf der Bühne standen. Happy Timing für Sandra Maischbergers „Woche“-Talk! Die Gäste:
Lars Klingbeil (43, SPD). Der kommandierende General des Wahlsiegers steht kurz vor der Beförderung.
Volker Wissing (51, FDP). Der liberale General wird jetzt Verkehrsminister.
Prof. Ulrike Protzer (58). Die Virologin fordert schon seit Wochen eine Impf-Pflicht „in bestimmten Bereichen“.
Dr. Manfred Wagner (51). Für den Klinikdirektor ist die Corona-Impfung schon lange „keine Privatsache mehr“.
Cerstin Gammelin (56). Die Wirtschaftsjournalistin (SZ) twittert über die Ampel: „Viele schöne Ideen und Projekte, aber erst mal müssen sie Corona besiegen!“
Ulrich Deppendorf (71). Der Ex-ARD-Moderator wünscht sich eine gemeinsame Corona-Ruckrede von Angela Merkel und Olaf Scholz.
Sascha Lobo (46). Der Kolumnist („Spiegel“) schimpft über Impfgegner: „Willkommen im weinerlichen Wellness-Widerstand!“
„Klingbeil“ ist ein alter Spitzname für fahrende Zimmermannsgesellen. Wie hart haut heute die Axt drauf? Das Zoff-o-Meter zählt die Kerben!
Ungewöhnlichste Statements
Frühstart! Der Talkmasterin, heute ganz in Hoffnungsgrün, stellt diesmal schon um 21 Uhr die erste Frage.
Lobo hat zu seinem roten Irokesen einen Gag mitgebracht: „Ich habe dieses bundesweite Aufatmen gespürt“, tremoliert er, „und ich denke, ich spreche für Deutschland, wenn klargeworden ist: Andreas Scheuer wird nicht Teil der neuen Bundesregierung sein!“
Danach jubelt der „Spiegel“-Mann die neuen Abtreibungspläne hoch: „Das ist ein Sprung ins 21. Jahrhundert!“ Gammelin relativiert die Begeisterung des Kollegen mit etwas Zungen-Pech: „Ich muss Ihnen ein bisschen Wein ins Wasser gießen“.
Professionellste Expertisen
„Man sieht an dem Vertrag, wie schwer der Weg sein wird“, stellt ARD-Deppendorf fest. „Das wird ein verdammt schwieriger Weg!“
Lobo zitiert den „sehr geschätzten Kollegen Robin Alexander“ von der WELT, der „von einem Kartoffelkabinett“ geschrieben habe, einem „so rein-weiß deutschen Kabinett, so hat er das bezeichnet“.
Wütender Kommentar des „Spiegel“-Kolumnisten: „Das fände ich eine derartige Zumutung, wenn man in einer ‚Fortschrittskoalition‘ gerade von grüner Seite so komplett deutsch unterwegs ist, so deutsch deutsch deutsch. Das fände ich eine Katastrophe!“
Emotionalstes Bekenntnis
Aus den Kulissen tritt mit einem breiten Grinsen der junge Sieger. „Wir haben einmal angestoßen“, schildert Klingbeil den Jubel über den Koalitionsvertrag. „Ich bin total froh, dass es geklappt hat!“
Für die Geschichtsbücher meldet der designierte SPD-Chef: „Es waren harte Diskussionen. Alle haben leidenschaftlich gekämpft, aber es war menschlich immer topp.“
Behutsamste Erklärung
Dass die SPD ihr Minister erst nach den anderen Parteien vorstellen wird, begründet Klingbeil als gleichstellungspolitische Entscheidung des neuen Kanzlers: „Olaf Scholz hat gesagt, er legt Wert darauf, dass sein Kabinett paritätisch besetzt ist.“
Und, so der Noch-Generalsekretär: „Jetzt wissen wir seit ein paar Minuten, wie die FDP das Kabinett besetzt. Wir werden morgen erfahren, wen die Grünen vorschlagen…“ Die SPD lasse sich bis Dezember Zeit.
Spitzeste Frage
„Müssen Sie die Frauenquote der FDP auffüllen?“ gluckst die Talkmasterin.
Klingbeils Antwort ist eher ein Fahrplan: „Wir werden erst mal als Partei den Koalitionsvertrag beschließen, dann benennen wir unsere Minister. Die Frage ‚wieviel Männer‘ klärt sich, wenn wir wissen, wer von den Grünen antritt. Dann wird der Kanzler vereidigt, denn die Minister.“ Amen!
Spannendste Personalie
Die Talkmasterin hat einen ihrer Lieblingsgäste im Sinn: „Karl Lauterbach als Gesundheitsminister, geht an dem ein Weg vorbei? Ist er nicht Frau genug?“
„Ich bin sehr froh, dass wir Karl Lauterbach in unserer Reihen haben“, beschwichtigt Klingbeil. „Es ist unbestritten, dass er eine wahnsinnige Expertise hat. Hätte man auf Karl Lauterbach häufiger gehört, hätten wir vielleicht manches Problem in den letzten Monaten nicht gehabt.“ Mehr sagt er aber nicht dazu.
Gretchenfrage des Abends
„Wer wird Generalsekretär?“ schießt Maischberger aus der Hüfte. „Oder -sekretärin?“ schiebt sie eher pro forma nach.
Klingbeil hält die Karten dicht an der Brust: „Kann ich heute noch nicht sagen…“
Die Talkmasterin hat längst eine Idee: „Kevin Kühnert und Sie sind enger geworden, haben wir mitbekommen.“
Sibyllinischste Antwort
„Dass ich mit dem befreundet bin, dass wir sehr eng sind, dass wir seit Jahren einen Podcast zusammen betreiben, das ist in der Tat so“ – dass lässt sich Klingbeil immerhin entlocken.
Sein noch etwas verklausuliertes Plädoyer für den Ex-Juso-Chef: „Wir können stolz sein, dass wir so jemanden in unserer Reihen haben. Und es wird einen klugen Vorschlag geben, wer bei uns Generalsekretär oder Generalsekretärin wird.“
„Frau Kühnert“, vermutet Maischberger.
„Es wird einen Vorschlag geben“, grient Klingbeil.
Bunteste Erinnerungen
Die Talkmasterin hat ein altes Foto ausgegraben: Klingbeil mit Gitarre. Seine Schülerband hieß „Pflaumenmus“ und spielte, so der Politiker, nicht etwa Heavy Metal, sondern „so ein bisschen versöhnlichere Musik“.
Sein Augenbrauenpiercing habe dem damaligen Generalsekretär Olaf Scholz nicht gefallen, berichtet der Generalsekretär weiter. Er habe es abgenommen, um in Interviews nicht darauf reduziert zu werden.
Mit seinem Förderer Gerhard Schröder verstehe er sich bis heute, obwohl er damals mit einem frechen Slogan gegen ihn demonstrierte „Schüler immer blöder dank Gerhard Schröder!“
Ehrlichstes Bekenntnis
Der nächste Einspieler erinnert daran, dass Klingbeil noch am 20.August versprach: „Klar ist: Mit der SPD wird es keine Impfpflicht geben.“ Und jetzt?
„Das ist eine Debatte, die sich weiter entwickelt hat“, antwortet er frisch voran. „Und da halte ich nicht aus irgendeinem falschem Stolz fest.“ Punkt!
Klarste Ansage
„Eine Impfpflicht in ausgewählten sozialen Berufen ist richtig!“, fügt Klingbeil hinzu. „Ich kann ehrlicher Weise nicht verstehen, wie man als Pflegekraft sich nicht impfen lässt. Das ist ein Teil der Solidarität, die ich auch in der Gesellschaft erwarte, und die Debatte darüber ist richtig.“
Sein stärkster Satz: „Ich persönlich finde, dass man auch als Politiker seine Meinung ändern kann zu solchen Themen.“ Dafür gibt es Beifall.
Dramatischste Warnung
„Die Lage ist maximal angespannt“, warnt Klinikdirektor Wagner aus Erlangen. „Es gibt Landesteile in Bayern, da ist die Lage wirklich nahe an der Katastrophe!“
Die verheerende Lage auf seinen Intensivstationen: „Wir haben 30 Betten, können aber nur 22 davon pflegerisch betreiben.“ Die Hälfte mit Covid-Patienten belegt, nur drei davon geimpft. Drei OP-Säle und drei Normalstationen sind dicht, Triagen nicht mehr ausgeschlossen.
Härteste Attacke
Wagners schlimmer Vorwurf: „Die Verzweiflung bei uns Klinikmitarbeitern ist groß, weil die Politik sich immer wieder Auszeiten von der Pandemie nimmt: Das erste Mal im Wahlkampf, das zweite Mal im Rahmen der Koalitionsverhandlungen.“ Rumms!
„Es freut mich, dass endlich einen Krisenstab für die Pandemie haben“, erklärt der Mediziner dazu. „Aber es ist ein Desaster, dass wir das zwei Jahre nicht hatten!“
Enttäuschendste Reaktion
Mit dem nächsten ARD-Einspieler will Maischberger Bayerns Ministerpräsident Markus Söder kitzeln: Vor einer Woche er Prof. Protzner als Zeugin dafür benannt, dass „die Wissenschaft“ die Pandemie falsch eingeschätzt habe.
Doch das Söder-Bashing misslingt: „Wir haben gewarnt“, verteidigt sich die Virologin, „aber man muss vielleicht selbstkritisch sagen: Vielleicht waren wir nicht laut genug.“
Dann springt das Zoff-o-Meter an
„Die Ratschläge waren vielstimmig und sehr unterschiedlich“, assistiert der FDP-Generalsekretär. „Wir brauchen neben dem Krisenstab ein Expertengremium, das kontinuierlich die Situation berät und der Regierung täglich Vorschläge macht.“
Auf einen Seitenhieb will der künftige Verkehrsminister trotzdem nicht verzichten: „Wir haben gesehen, dass viele Maßnahmen, die Herr Söder laut in die Welt gerufen hat, von den Gerichten kassiert worden sind.“
Verräterischster Versprecher
„Das Beherbergungsverbot, was sich Herr Söder so gewünscht hat, ist ja ein schönes Beispiel für verfassungswidrige Politik“, wettert der FDP-Mann.
„Das Du ist eine freundliche Form des Sie“, sagt Wissing über den Umgangston der AmpelIn der Aufregung leistet er sich dann allerdings eine auffällige Freudsche Fehleistung: „Deswegen auch der vom künftigen Bundeskanzler Olaf Schmidt angekündigte Expertenrat“. Flashte da eine prägende Kindheitserinnerung? Am Ende der sozialliberalen Koalition unter Helmut Schmidt 1982 war Wissing zwölf Jahre alt…
Fazit
Die Todeszahlen machen Schluss mit dem sprachwolkigen Berufspharisäertum mancher politischen Eierläufer. Statt narkotischer Realitätsverachtung gab’s einen Schnellsiedekurs in hochtemperierter Koalitionsarithmetik. Das war ein Talk der Kategorie „Wechselfieber“.