„Anne Will: Die Ampel im Aufbruch – ist Rot-Grün-Gelb finanzierbar?“ ARD, Sonntag, 24.Oktober 2021, 21.45 Uhr.
Spannendes Casting: Sind heute der alte und der neue Finanzminister am Start? Auch Anne Wills Frage hat es in sich! Die Gäste:
Olaf Scholz (63, SPD). Der Finanzminister setzt auf der Zielgeraden zum Kanzleramt locker über die letzten Hürden.
Robert Habeck (52, Grüne). Der Grüne-Co-Chef möchte gern der neue Kassenwart werden, hat aber starke Konkurrenz.
Prof. Ursula Münch (60). Die Politologin warnt die Ampel-Athleten: „Das Schwierigste steht noch bevor!“
Claudia Kemfert (52). Die Energieökonomin twittert trotzig: „Atomenergie ist Irrweg“ – auch wenn das immer mehr Europäer anders sehen.
Rainer Hank (68). Der Wirtschaftsjournalist (FAZ) warnt: „Moral hilft beim Klimawandel allenfalls bedingt. Womöglich schadet sie sogar!“
Zwei wissen was, drei kommentieren das. Das Zoff-o-Meter ist gespannt: Wie einig sind sich Rot und Grün, wenn es ums Geld geht?
Widersprüchlichste Stimmungsbilder
Scholz spürt eine „optimistische Stimmung nicht nur unter denen, die jetzt verhandeln“. Die Talkmasterin zählt trotzdem auf, was Rot-Grün vor der Wahl versprach und jetzt nicht hält. Ihre spitze Frage: „Ist Nichtregieren besser als unter der FDP falsch zu regieren?“
In einem ARD-Einspieler ätzt der grüne Scharfmacher Christian Ströbele gegen den FDP-Chef: „Lindners Porsche nicht zu bremsen. Reich bleibt reich, arm arm. Schade. Nicht gut.“
Verblüffendste Aussage
„Sandkastenspielchen!“ wettert Habeck, den die Kritik „ganz fürchterlich nervt“. Dazu eifriges Nicken von Scholz.
Für den Grüne-Chef „ist erst einmal festzuhalten, dass drei Parteien letztlich entschlossen sind, Deutschland eine neue Regierung zu geben. Die FDP muss ja einen weiten Weg zurückgehen.“ Wie bitte? Die werden doch jetzt überall als besonders durchsetzungsstark gepriesen!
Knalligster Vergleich
Über das Tempolimit sagt Habeck: „Das Rasen auf der Autobahn in Deutschland ist ein bisschen wie der Waffenbesitz in den USA. Mir leuchtet das auch nicht ein, dass das so hochgehalten wird!“
Prägnantestes Kurzwort
Energieökonomin Kemfert ist vom Sondierungspapier enttäuscht: „Gerade im Verkehrssektor passiert zu wenig!“ klagt sie.
Wirtschaftsjournalist Hank wird nach den Erfolgen der FDP gefragt. „Ich bin weder Mitglied noch sonstwie Sympi von dieser Partei“, stellt er klar. „Aber als liberal würde ich mich verstehen.“
„Ah! Das ist sympi, irgendwie“, gluckst Will.
Ungnädigster Protest
Der nächste Einspieler streut Scholz-Pfeffer aus dem Wahlkampf in Wills Talk-Suppe: Spitzensteuersatz hoch, dazu Vermögenssteuer plus Erbschaftsteuer. Nix davon überlebte. „Wie hat Christian Lindner es geschafft, Ihnen das abzuverlangen?“ fragt die Talkmasterin den Kanzler in spe.
„Es ist schon o.k., dass Sie Ihre Obsessionen jetzt hier verfolgen“, knarzt Scholz ungehalten, weil er lieber „über Wirtschaftspolitik und Umweltpolitik diskutieren“ möchte.
Immerhin lässt sich der Minister ein paar Takte zu Kindergrundsicherung, Mieten, Renten und Mindestlohn entlocken. Sein Fazit: „In diesen Punkten sind wir eben so weit gekommen, wie wir gekommen sind.“ Ah ja.
Dann geht das Zoff-o-Meter los
„Die Abschaffung des Soli für die Reichen habe ich verhindert“, brüstet sich Scholz.
„Kommt jetzt aber möglicherweise über den Umweg Bundesverfassungsgericht“, ahnt Will.
„Das wird nicht kommen“, antwortet der Noch-Finanzminister schlank, „das wissen auch die allermeisten, dass das ziemlich klar ist.“
Schlaueste Taktik
„Echt?“ wundert sich Will. „Die FDP weiß das, glaube ich, nicht.“
„So klar ist das nicht, Herr Scholz“, widerspricht auch Hank.
Egal! Scholz tut, was er in solchen Fällen gerne macht: Er wirft in einem minutenlangen Monolog alles so lange durcheinander, bis keiner mehr Lust hat, den Wust der Argumente zu entwirren.
Höchste Form der Zustimmung
„Wir haben ziemlich viel durchgesetzt“, lobt sich Scholz danach gleich noch mal. „Große Verbesserungen für dieses Land! Das sollte man mal alles nicht geringschätzen!“
„Tue ich nicht“, verteidigt sich die Talkmasterin.
„Wenn man auf Steuer verzichten will, muss man an anderer Stelle Steuern einnehmen“, doziert Habeck dazu. „Eine Entlastung kann es nur geben, wenn sich die Wirtschaft und damit die Steuereinnahmen wieder erholen. Das hat Olaf Scholz gesagt, und mehr kann man dazu eigentlich nicht sagen.“ Amen!
Bombastischste Ankündigung
„Wir haben einen ganz großen industriellen Umbau vor uns“, prophezeit Scholz. Chemie, Stahl, der Stromverbrauch der Bürger, alles mit erneuerbarer Energie, das sei „nicht eine niedliche Veranstaltung!“
Sondern, so der Minister weiter: „Das ist eine solche Modernisierung Deutschlands, wie sie wahrscheinlich am Ende des 19.Jahrhunderts das letzte Mal in dieser Dimension stattgefunden hat, als der ganz große industrielle Aufschwung Deutschlands stattfand.“ Wow! Bismarck, Bebel, Scholz!
Die energische Forderung des Kandidaten: „Wir müssen wegkommen vom Malen bunter Bilder, wir müssen eine handfeste Politik machen!“
Elegantester Seitfallzieher
Will erinnert daran, dass Habeck eine Woche vor der Wahl die SPD-Werbung „Olaf Scholz Klimakanzler“ als „echtes Hohnplakat“ verspottete. Und nu?
Scholz schmunzelt, Habeck kichert. „Wir werden gemeinsam einen gute Klimaregierung“, gelobt der Grüne dann. „Wenn Olaf Scholz zum Kanzler gewählt wird, wird er Klimakanzler sein.“ Heureka!
Plumpstes Nachtreten
Scholz hat noch eine Rechnung offen: Die „politischen Widerständler aus CDU und CSU“ hätten schon lange „aufhören müssen, den Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland zu bekämpfen, was sie bis zur letzten Sekunde getan haben!“ wütet er.
„Aber ist das jetzt nicht ein bisschen billig, das nur der Union in die Schuhe zu schieben?“ grätscht ihn die Politologin ab. „Sie waren doch auch recht lange in dieser Bundesregierung und scheinen nicht besonders durchsetzungsfähig gewesen zu sein!“
Wütendste Attacke
Auch Hanke möchte Scholz die großen Sprüche nicht durchgehen lassen: „Sie tun so, als könnte Deutschland allein den Klimawandel stoppen“, tadelt er den Kanzlerkandidaten.
Scholz beugt sich angriffslustig vor: „Es ist gut, dass Sie das ansprechen, weil ich Ihnen sagen kann, warum Sie sich irren“, blafft er den Journalisten an.
Denn, so der Kandidat nach einer Kunstpause: „Wir sind das Land, das die Technologien entwickelt, die dazu führen, dass das weltweit gelingt!“ Nur so könne man etwa Afrika oder Asien davon abhalten, weiter auf die böse Kohle zu setzen.
Hm – in der Atomtechnologie waren wir auch mal ganz weit vorne, aber da machen die anderen inzwischen ohne uns weiter…
Und wieder Zoff
Auch die Wissenschaftlerinnen geraten sich in die Haare. Kemfert fordert, dass die Bundesregierung den Ausbau der Windkraft ankurbelt. Prof. Münch warnt vor den vielen Bürgerprotesten gegen neue Gigaspargel.
„Es gibt sehr viele Flächen, wo das möglich wäre“, behauptet Kempfert trotzdem einfach mal so.
„Aber das löst das Problem nicht“, weiß Münch aus Erfahrung. „In Bayern…“
„Bayern ist tatsächlich ein Problem, weil die sich wirklich verweigern“, gibt Kemfert umstandslos zu. Heidewitzka! Die Laptop-Lederhosen! Die Energieökonomin schiebt noch was über „Akzeptanzforschung“ und „Systemrelevanz“ nach. Davon, dass vor allem grüne Tier- und Naturschützer bremsen, sagt sie lieber nichts.
Magischste Formel
Habeck bringt seine Politik auf den Punkt: „Es gibt Möglichkeiten, den Grundgedanken der erneuerbaren Energien, nämlich die Demokratisierung des Energiesystems unter Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger, wieder aufleben zu lassen.“ Ui!
Und, so Habeck weiter: „Ein Sondierungspapier ist eine merkwürdige Textgattung, an die sich auch die publizistische Öffentlichkeit noch nicht so ganz gewöhnt hat. Es ist das Dokument, dass man sich zutraut, einen Koalitionsvertrag zu schreiben.“
Größter Lacherfolg
„Über das Finanzministerium ist nicht gesprochen worden“, behauptet Habeck zum Schluss. „Das ist alles Schattenboxen. Ich würde hier nie die Unwahrheit erzählen!“
Hank lacht schallend. „Das glaube ich Herrn Habeck natürlich!“ spottet Münch. Aber wenn das Ministerium an eine andere Partei gehe, müsse man doch umso mehr Inhalte hineinverhandeln?
Freundlichster Nasenstüber
„Das ist doch gerade der Zauber, dass niemand weiß, wer Verteidigungsministeriumsinhaber wird“, lenkt Habeck ab. Scholz grinst und schweigt fein stille: Bald sind die Staatsfinanzen nicht mehr seine Baustelle…
Hank will die beiden Politiker aber nicht so einfach davonkommen lassen: „Für die Bürger ist es nicht ganz egal, ob Sie Finanzminister werden“, kritisiert er den Grünen.
Denn, so der Journalist: „Wenn man zuhört, was Sie zur Schuldenbremse sagen, und was Lindner sagt – umso dringlicher wird, dass Sie irgendwann sagen, was Sie miteinander ausgeknobelt haben.“ Viel Glück!
Fazit
Erst Nachwahlkampf mit Nachkarten und Nachtreten, dann phrasengestützte Peilmeldungen durch die Glaskugel in rotgrüne Wolkenkuckucksnebel. Scholz und Habeck wie ein abgezockter Konzernboss mit motiviertem Juniorchef vor staunender Belegschaft: Das war ein Talk der Kategorie „Ich weiß etwas, was du nicht weißt“.