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Altmaier bei Anne Will: Zoff um das Corona-Handytracking

„Anne Will: Der Corona-Ausnahmezustand – wie geht es weiter in Deutschland?“ ARD, Sonntag, 29.März 2020, 22 Uhr.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat in der ARD-Talkshow „Anne Will“ am Sonntag klargemacht, dass über die umstrittene Handydatensammlung im Kampf gegen Corona noch nicht das letzte Wort gesprochen sei.

Wörtlich sagte der Minister: „Wir preschen nicht vor, aber wir müssen auf alle Eventualitäten gefasst sein!“ Auch darauf, dass es doch noch zu eine solchen einschneidenden Maßnahme kommen könne. Damit ist das Handy-Thema ist noch lange nicht vom Tisch!

Klarste Absage

Zuvor hatte der Epidemiologe Prof. Gérard Krause dem entsprechenden Vorschlag Bundesgesundheitsminister Jens Spahns eine deutliche Abfuhr erteilt. „Die räumliche Nähe allein ist nicht ausschlaggebend für das Infektionsrisiko!“ stellt der Professor aus Hannover klar. „Und das Handytracking misst ja lediglich die Meter, die ich Abstand zu jemand anderes hatte.“

Außerdem: „Zum zweiten befürchte ich, dass durch dieses Handytracking Menschen unnötig verängstigt werden, weil sie dann meinen, in Gefahr gewesen zu sein, was sie vielleicht bar nicht waren“, erklärt der Experte.

Überzeugendste Begründung

„Drittens“, so der Professor, „halte ich es nicht für verhältnismäßig, weil hier doch ganz massiv in die Persönlichkeitsrechte eingegriffen wird!“

Altmaier guckte wenig erfreut, denn jetzt holte der Wissenschaftler den Knüppel raus: „Bürgerrechte, die wir über Jahrhunderte hart erkämpft haben, übrigens auch mit Todesfällen, werden hier praktisch zur Disposition gestellt!“ schimpfte Krause. „Ich halte das – gemessen an dem zu erwartenden Erfolg – nicht für angemessen!“ Punkt!

Dann ging der Zoff los

Der Minister war nur zu einem halben Rückzieher bereit: „Wir haben es aus dem Gesetz am Ende ja weggelassen, weil es kontrovers diskutiert wird“, murrte er.

Trotzdem wollte Altmaier den Gesundheitsminister nicht im Regen stehen lassen: „Ich sage auch: Wir wissen alle nicht, wie der Krankheitsverlauf sein wird, wo wir in vier oder fünf Wochen stehen, und deshalb hatte ich Verständnis für den Vorstoß von Jens Spahn!“

Streitlustigstes Schlusswort

„Ich bin sehr dafür, dass wir die Grundrechte und die Freiheiten ganz, ganz wirksam schützen“, beteuerte der Minister am Ende der Diskussion. „Aber in einer bestimmten Notsituation kann ich mir vorstellen, dass Erfahrungen, die in Korea gemacht worden sind, und anderswo, auch bei uns zum Einsatz kommen können!“

Klang nach Krawall. „Aber das“, fügte der Minister deshalb beruhigend hinzu, „beschließen wir gemeinsam. Wir haben in dieser ganzen Krise im Bundestag große parteiübergreifende Mehrheiten zustande gebracht. Regierung und Opposition ziehen an einem Strang!“

Deutschland spielt Einkaufs-Halma: Immer der Reihe nach, und schön mit Abstand! Auch sonst vieles anders: Schreibtisch zuhause, Bett im Büro. Oder: Hängematte statt Hamsterrad, aber dann statt Burnout Boreout. Die Gäste:

Der Wirtschaftsminister strahlte auch körpersprachlich Zuversicht aus: Ernst und Gelassenheit mit viel Substanz!

Peter Tschentscher (SPD). Hamburgs Erster Bürgermeister steuert seinen Stadtstaat hanseatisch nüchtern durch den Corona-Sturm.

Susanne Johna, Ärztin und Pandemie-Beauftragte der Bundesärztekammer, sagte vor 10 Tagen bei Maybrit Illner: „Junge Menschen denken, dass sie das nicht betrifft!“ Das ist inzwischen anders.

Der Wirtschaftsexperte Clemens Fuest (ifo) schlug Alarm: „Das Hilfspaket kann die Rezession nicht beseitigen!“

Epidemiologe Krause warnte: „Die Maßnahmen dürfen nicht schlimmer sein als die Krankheit!“

Exkurs mit Exekutive und Experten. Harmonie-Treff oder Stresstest?

Eindringlichste Warnung

Wir dürfen keine falschen Signale und falschen Erwartungen in die Welt setzen!“ mahnte Tschentscher, selbst Arzt, gleich zu Beginn. „Wir dürfen die Wirkung unserer Maßnahmen nicht riskieren, indem wir zu früh herausgehen!

Sein Rat: „Man wird schrittweise vorgehen und immer wieder beobachten müssen, damit wir unser Gesundheitssystem nicht überlasten!“

Alarmierende Zahl

Ein totaler Shutdown würde im Monat 40 Milliarden kosten“, rechnet Fuest vor. „Das wären für eine vierköpfige Familie 2000 Euro!“

„Wir erleben schon heute, dass durch den Stillstand Millionen Existenzen bedroht sind, auch mit gesundheitlichen Konsequenzen!“ fügt der Experte hinzu und zählt Beispiele auf: Herzinfarkte durch Überlastung, Suizidversuche aus Verzweiflung, häusliche Gewalt wegen zu viel Stress.

Bedrückendste Sorge

„Können wir unser Personal in den Krankenhäusern weiter gesund halten?“ fragte Johna und gab gleich selbst eine ernüchternde Antwort: „Das können wir nur, wenn wir ausreichend Schutzausrüstung haben. Aber die haben wir nicht!“

Ihre alarmierende Schlussfolgerung: „Neue Beatmungsgeräte nützen uns nichts, wenn wir das Personal nicht mehr haben, sie zu bedienen!“

Tröstlichste Informationen

Wir haben uns vorgenommen, die Zahl der Intensivbetten zu verdoppeln!“ kündigte Altmaier an.

Tschentscher lobte einen heimischen Konsumgüterriesen: „Beiersdorf hat begonnen, Desinfektionsmittel herzustellen“, sagt er über die „Nivea“-Fabrik. „Das ist eine Riesenentlastung!“

Beruhigendstes Urteil

Auf dem Weltmarkt gibt es einen Überbietungswettbewerb!“ schilderte Altmaier. Für medizinisches Material, das früher nur ein paar Cents gekostet habe, seien jetzt hohe Dollarbeträge fällig.

Aber, so der Minister: „Die gute Nachricht ist, dass wir da noch mithalten können.“

Deutlichste Warnung

Zu den Forderungen nach einem baldigen Exit aus den Corona-Maßnahmen sagt Prof. Krause: „Ich halte es für schwierig, jetzt schon feste Kriterien für einen Wechsel in der Strategie festzulegen!“

Denn, so der Epidemiologe: „Wir bekommen bald belastbare Daten, die uns helfen werden, zu bestimmen: Wer sind die Personen mit erhöhtem Risiko?“ Außerdem erwarte er „Daten über die Häufigkeit von Antikörpern in der allgemeinen Bevölkerung“.

Aktuellste Hoffnung

Entscheidende Fragen seien, so der Professor: „Wer hat die Krankheit schon durchlaufen? Wie hoch ist die Sterblichkeit wirklich? Wie stark steigt die Immunität in der Bevölkerung?“

Und: „Wir werden hoffentlich beobachten, dass das bessere Wetter im Frühling vielleicht eine Verlangsamung der Epidemie nach sich zieht“, formulierte der Experte vorsichtig.

Düsterste Prognose

„Das wichtigste Kriterium ist: Wie stark ist das Gesundheitssystem jetzt schon belastet?“ stellte der Epidemiologe dazu fest. Und auch das sagte Prof.Krause klipp und klar: „Wir müssen uns darauf einstellen, dass es noch schlimmer wird!“

Optimistischste Erwartung

Altmaier ist erleichtert, dass bisher „noch nicht über Leben und Tod entschieden werden muss“. Er setzt darauf, dass die Erhöhung der Intensivbettenzahl und die Verringerung der sozialen Kontakte ähnliche Erfolge bewirken würden wie in Südkorea oder Japan.

Bitterste Wahrheit

Fuest fürchtet eine schlimme ökonomische Entwicklung: „Wir müssen arbeiten in einer Welt, die gefährlich ist!“ sagte er voraus. „Wir müssen die Wirtschaft wieder in Gang setzen und mit der Epidemie leben!“

Vernünftigster Vorschlag

Die Talkmasterin fragte nach der besten Strategie, die Wirtschaft wieder anzufahren: „Beschleunigen oder Bremsen?“

Sehr sachte die Maßnahmen lockern und bei lokalen Ausbrüchen sehr massiv intervenieren!“ riet der Epidemiologe.

Und Tschentscher fand die griffigste Beschreibung des Problems: „Das ist wie beim Luftanhalten: Die ersten zehn Sekunden sind leicht, die nächsten schon schwieriger!

Fazit: Politische Durchhalteparolen aus der Hüfte gegen schwerwiegende Bedenken aus wissenschaftlichem Fachverstand. Schwammiges Schwurbeln („Es ist meine feste Überzeugung“), aber immer wieder auch klare Ansagen mit deutlichem Info- und Nutzwert: Das war eine Talkshow der Kategorie „Systemrelevant“.

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