„Maybrit Illner: Politik wieder im Alarmzustand – kommt der Lockdown für Ungeimpfte?“ ZDF, Donnerstag, 18.November 2021, 22.15 Uhr.
Marktplätze leer, Intensivstationen voll? Wichtiger als die Inzidenz wird jetzt die Hospitalisierungsrate. Maybrit Illner fragt ins Eingemachte. Die Gäste:
Helge Braun (49). Der Kanzleramtsminister will jetzt CDU-Chef werden. Heute großes Schaulaufen!
Katrin Göring-Eckardt (56, Grüne). Die Fraktionschefin kündigt Ampel-Beratungen über eine Impfpflicht „in besonderen Einrichtungen“ an. Frank Ulrich Montgomery (69). Der Weltärztechef schmetterte den vielzitierten Kampfbegriff „Tyrannei der Ungeimpften“ in die Diskussion. Jetzt wettert er: „Die Politik hat an zu vielen Stellen versagt!“
Prof. Hendrik Streeck (44). Der Virologe erwartet wesentlich härtere Corona-Maßnahmen selbst für Geimpfte: „Es wird wieder zu Kontaktbeschränkungen kommen.“
Prof. Christian Karagiannidis (49). Der Lungenfacharzt meldet aus der Intensivstation: Viele Ungeimpfte bereuen jetzt!
Giovanni di Lorenzo (62). Der „Zeit“-Chef wundert sich: „Erstaunlich, dass Deutschland so schlecht durch die Pandemie kommt!“
Eigentlich hatten sich alle schon auf fröhliche Weihnachten gefreut, aber – Boosterkuchen! Wie groß ist die Enttäuschung, und was kommt heute auf das Zoff-o-Meter zu?
Aufwärm-Film mit Kanzlerin-Kritik
Ein ZDF-Einspieler ballert gleich aus allen Rohren: „Booster-Chaos! Volle Intensivstationen!“ Auch bei Angela Merkel kommen die Einschläge näher: „Selbst die designierte Kanzlerin a.D.“, höhnt der Film mit Hinweis auf die vielen Reisen, habe „bei einem ihrer Stopover in Germany“ die Notlage bemerkt.
Der frischgebackene NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst geißelt die Ampel-Entscheidung, die „Epidemische Notlage“ auslaufen zu lassen, mit einem überzeugenden Vergleich: „Das Haus brennt, und die Feuerwehr wirft die Schläuche ins Feuer!“
Energischste Attacke
Brauns charakteristisch brüchige Stimme passt perfekt ins Jammertal sowohl des Landes als auch seiner Partei: „Die Situation ist ja so, dass wir im Moment die schwierigste Lage in der Pandemie überhaupt haben…“, klagt er.
Doch noch im selben Satz prügelt der Kanzleramtschef schon auf die erste Entscheidung der Ampel ein: „…und gleichzeitig sagen wir: Die pandemische Lage von nationaler Tragweite ist zu Ende. Das passt einfach nicht. Das ist eine schwierige Symbolik!“
Prompt fährt das Zoff-o-Meter hoch
Brauns Vorwurf an die neue Koalition: „Die Symbolik der letzten drei Wochen – wir brauchen keine ‚pandemische Lage‘ mehr, wir regeln das über den Bundestag, wir brauchen keine Zusammentreffen der Exekutive mehr, um sowas Organisatorisches wie Impfen zu besprechen -, das war eine schwere Hypothek!“
Aber auch Göring-Eckardt macht die Schuld am politischen Gegner fest, vor allem an ihrem Lieblingsfeind: „Es hat immer die Ministerpräsidentenkonferenz getagt, irgendwie Stunden, Stunden, Stunden, und dann haben alle gewartet, was kommt jetzt, und dann gab’s irgendwie ein Ergebnis, an das sich Herr Söder am nächsten Tag nicht mehr gehalten hat…“ Uff!
Berechtigtster Tadel
Der „Zeit“-Chef bedauert „einen großen Mangel an Entschlossenheit“: Die Pandemie habe widerlegt, dass Deutschland ein „besonders effizientes“ Land sei.
Seine Analyse: „Im November vergangenen Jahres ist irgendetwas gekippt. Wahrscheinlich das Vertrauen der Bürger in die Maßnahmen, die getroffen wurden.“ Vor allem die Ministerpräsidenten hätten beim Versuch, sich auf einheitliche Maßnahmen festzulegen, „keinen besonders guten Eindruck hinterlassen“. Um das Mindeste zu sagen.
Griffigster Vergleich
Die Talkmasterin zieht eine Ausgabe vom Juli aus dem Archiv, als Prof. Streeck warnte: „Wir sind jetzt im Sommerreifen-Modus, und müssen uns aber über den Winterreifen-Modus Gedanken machen.“
„Wer hat in den Herbstferien den Reifenwechsel vergessen?“ fragt Illner den „Zeit“-Chef.
Schmerzvollste Erkenntnis
Di Lorenzos verblüffende Erklärung: „In einem Land, das als notorisch chaotisch gilt, deren Bewohnern manchmal etwas Undiszipliniertes anhaftet, Italien, sind die Leute im Moment sehr viel disziplinierter als hier.“ Aua!
Überzeugendster Fakt: „Wir haben einen Beauftragten für die Impfungen, der aus dem Militär kommt“, lobt der „Zeit“-Chef. „Einen Gebirgsjäger, der auch mit vollem Geklingel der Orden im Fernsehen auftritt, und einer weißen Feder von den Alpini.“
Außerdem habe sein Vater-Land mit Mario Draghi einen Ministerpräsidenten, der, so di Lorenzo, „mit voller Überzeugung sagt: Das ziehe ich durch.“ Forza Italia! Armes Deutschland?
Persönlichste Attacke
Montgomery, aus Rostock zugeschaltet, prangert „das Hickhack der Politik“ an: „Absolut schlecht! Die Hütte brennt! Wir müssen endlich was tun!“
Mit Illners Gästen von CDU und Grünen rechnet der Weltärzechef sogar Auge in Auge ab: „Frau Göring-Eckardt, Herr Braun, ihr habt von beiden Seiten aus komplett versagt!“ schnauzt er sie an.
Entschlossenste Vorwärtsverteidigung
Braun wehrt sich mit einer Presseschelte: Im Sommer, als die Infektionszahlen niedrig waren, habe man auf Warnungen vor dem Winter „von allen deutschen Leitmedien gehört: Horrorprognosen, Paniktruppe!“
„Wir haben am 6.September beschlossen, dass alle über 60 sich auffrischimpfen lassen sollen!“ erinnert der Minister. „Wenn man dann sieht, dass das nicht funktioniert, muss man sich so schnell wie möglich mit Bund und Ländern zusammensetzen!“
Und wieder Zoff
„Dass das jetzt in dieser schwierigen Phase vier Wochen gedauert hat, bis wir alle an einen Tisch bekommen, das ist das, was mich massiv ärgert!“ grollt Braun. „Weil uns das in so eine elende Situation gebracht hat!“
„Das ist das, was kein Mensch versteht“, assistiert der „Zeit“-Chef.
Interessanteste Idee
„Eine der Gruppen, die die größten Sorgen hat, sind die jungen Frauen“, weiß Göring-Eckardt. „Warum haben wir nicht ganz früh gesagt: Lass uns bei den Gynäkologen impfen! Dort ist das Vertrauen da, und da gehen die Frauen auch alle hin.“
Realistischste Vorhersage
„Das Boostern hat eine enorme Bedeutung, aber die ersten Effekte werden wir in vier bis sechs Wochen sehen“, kündigt, aus Köln zugeschaltet, Prof. Karagiannidis an. Ui! Also nix mit „O du fröhliche“!
Letzte Chance; „Das, was einen echten Effekt hat, damit wir die Infektionszahlen runterkriegen“, sagt der Intensivmediziner klipp und klar, „ist, dass sich die Bevölkerung ganz diszipliniert an die Maßnahmen hält, und dazu gehört insbesondere das Maskentragen in den Innenräumen.“
Schlimmstes Angstwort
Die Talkmasterin sorgt sich, dass in überfüllten Krankenhäusern Schwerstkranke gar nicht mehr behandelt werden könnten: „Dieses Schreckgespenst von der Triage steht wieder vor der Tür!“
Doch der Mediziner kann sie beruhigen: „Triage bedeutet, dass ich aktiv das Leben eines Menschen zugunsten eines anderen beende“, erläutert er. „Mit den Ressourcen, die wir haben, wäre das wirklich die Bankrotterklärung dieses Staates!“
Düsterste Prognose
„Was wir breitflächig sehen werden, ist Priorisierung“, etwa bei künstlichen Lungen, glaubt Karagiannidis. „Wir müssen alle Patienten versorgen, und ich bin mir auch sicher, dass wir das schaffen.“
Aber: „Wenn Sie in Bayern fast 900 Patienten haben, und es kommen am Tag noch mal mindestens 40 dazu, dann wird es nicht reichen, die Patienten über die Republik zu verteilen, dass Bayern völlig entlastet ist“, meint der Mediziner.
Seine Sorge: „Es bringt Zeit, aber es ist nicht die Lösung, dass ein Bundesland wie Bayern nicht völlig absäuft.“
Ungewöhnlichstes Beispiel
„Wenn wir vom Impfen reden, haben wir doch nur die Möglichkeit: Zuckerbrot oder Peitsche“, bilanziert der Weltärztechef. „Wir haben es jetzt ein halbes Jahr mit Zuckerbrot probiert, und das hat nicht funktioniert…“
„Auch ich habe erst spät verstanden, dass dieser Impfstoff sich praktisch nach zwei Tagen auflöst“, gibt der „Zeit“-Chef zu, „wie bei James Bond die Befehle aus der Zentrale sich in zwei Tagen in Luft auflösen, zerbröseln.“ Heiterkeit in der Runde!
Unglücklichstes Eigentor
„Das muss man wirklich erklären!“ fordert der Chefredakteur für die Impfungen. „Es sind ja nur zwei Stoffe, einer erlaubt den Zugang zu den Zellen, der andere ist der Stoff, der dann wirkt. Deswegen ist es auch nicht logisch, dass das die DNA irgendwie beeinflusst.“
„Wir haben Fransen am Bart vom Erklären!“ protestiert Montgomery sofort. „Mit wie vielen Journalisten, mit wie vielen Ihrer Kollegen haben ich, Herr Streeck und andere geredet, um das klar zu machen!“
Schwierigstes Thema
Über die Frage einer Impfpflicht sagt der Kanzleramtsminister: „Ich glaube, die Lage ist so ernst, das man jetzt wirklich darüber nachdenken muss.“
Aber: „Ich habe immer noch Bauchschmerzen dabei, weil ich, was Impfgegnerschaft angeht, auch sehr viel Wut in unserer Gesellschaft gesehen habe“, gesteht Braun. „Ich glaube, dass Impfpflichten ein Thema sind, was sehr zur Spaltung der Gesellschaft beitragen kann.“
Musikalischstes Bashing
Im letzten Einspieler zieht Illner die Liberalen wegen ihrer Corona-Politik durch den Kakao: Die FDP-Politiker Christian Linder, Wolfgang Kubicki, Volker Wissing und Marco Buschmann begrinsen als Erdbeeren den psychedelischen „Beatles“-Hit „Strawberry Fields Forever“.
O-Ton ZDF: „Die Liberalen im Rausch. Die FDP ist high. Realitätsverlust, sagen Kritiker. Geradezu ein Trip in eine Parallelwelt.“ Das kann ja heiter werden…
Göring-Eckardt möchte da nicht mitbashen: „Ich glaube, dass wir gemeinsam auf die Wirklichkeit hören“, verteidigt sie die neuen nichtrotgrünen Ampelfreunde.
Kräftigster Paukenschlag
„Mir wäre es am liebsten, wenn es einen kompetenten Staat gibt, der jeden Tag berät, was er machen kann“ hofft di Lorenzo. „Ich wünsche mir ein Maximum an Entschiedenheit und Entschlossenheit, um zu retten, was zu retten ist.“
Doch: „Ich habe nicht das Gefühl, dass im Land eine Entschlossenheit da ist, vielleicht ein Politiker wie Helmut Schmidt, diese Scheiß-Pandemie zu besiegen. Diesen Willen spüre ich nicht!“
Montgomery haut lieber noch mal mit der großen Keule zu: „Ich bin der großen Hoffnung, dass das Freiheitsgesäusel der FDP, die uns ja eine Freiheit zum Leben verspricht, in Wirklichkeit eine Freiheit zu Krankheit und Tod, dass sich das nicht durchsetzt.“ Rumms!
Fazit
Info-Impfung vom Typ „volle Ampulle“ mit teils eigenwilligen Schwüngen am politischen Hochreck in angespannter Schlussverkaufsatmosphäre, Motto „Letzte Chance“: Das war ein Talk der Kategorie „Alles muss raus“.