„Maybrit Illner: „Triumph der Taliban – Woran ist der Westen gescheitert?“ ZDF, Donnerstag, 19.August 2021, 22.15 Uhr.
Die Kanzlerkandidatin der Grünen Annalena Baerbock hat in der ZDF-Talkshow „Maybrit Illner“ die CDU-Politikerin Annegret Kramp-Karrenbauer aufgefordert, die Evakuierung afghanischer Ortskräfte von Usbekistan aus mitzuorganisieren.
Wörtlich sagte die Grüne-Chefin: „Ich erwarte auch von einer Verteidigungsministerin, dass sie nach Usbekistan fährt und die Soldatinnen und Soldaten, die vor Ort diesen Kriseneinsatz unter absoluter Lebensgefahr leisten, unterstützt!“
Die islamistischen Mordkrieger haben am Hindukusch im Handumdrehen alles überrannt. Maybrit Illner schickt eilends eine Sondertruppe in die Schulddebatte. Die Gäste:
Baerbock drückte aufs Tempo: „Es geht um jede Stunde!“
Der Unionsfraktionsvize Johann Wadephul (CDU) twitterte: „Es muss dringend politisch aufgearbeitet werden, warum es zu einer späten Evakuierung kam!“
Oberstleutnant André Wüstner, Chef des Bundeswehrverbandes, wetterte, die Lage sei „beschämend“, bei Veteranen gebe es „enorme Wut“.
Patoni Izaaqzai-Teichmann, Chefin der „Afghan German Association“, meldete kürzlich vom Flughafen Kabul: „Es ist ein Dschungel hier!“
Die Journalistin Souad Mekhennet („Washington Post“) warnte, durch den Sieg der Taliban seien viele Al-Kaida-Terroristen freigekommen.
Die ZDF-Korrespondentin Katrin Eigendorf berichtete: „Die Familien mit denen ich Kontakt halte, wollen nicht aufgeben.“
Angst, Not, Verzweiflung: Viele hoffen jetzt auf möglichst viel Konsens und Solidarität, doch die Talkmasterin heizte lieber die Stimmung an, mit einer bösen Unterstellung des grünen Attacke-Altmeisters Jürgen Trittin, der den Außenminister aufs Korn nahm: „Die Flüchtlingsabwehrpolitik wurde höher gewichtet als das Leben von Menschen. Und Heiko Maas, der hat dafür die Berichte geliefert!“
Erschütterndste Info
Oberstleutnant Wüstner berichtet von „wütenden Afghanistan-Veteranen, die natürlich die Frage aufwerfen: War es da alles wert?“
„Der Generalinspekteur hat bereits im April die Pläne entwickeln lassen, Die lagen in der Schublade“, erklärte der Offizier zur Sorge um die gefährdeten Helfer. „Aber es ist nicht eine Frage der Streitkräfte, wann man evakuiert. Das ist eine politische Frage. Und da war man zu spät. Das macht wütend!“
Wichtigste Klarstellung
„Es ist Wahlkampf, und da versuchen vor allem die Politiker zu fliehen – aus ihrer Verantwortung für das Desaster am Hindukusch“, spottete Illner. „Wir haben für diese Sendung vier Bundesminister angefragt und einen Kanzleramtsminister“. Gekommen ist keiner. Ihre Frage: „Wer sollte jetzt die Verantwortung übernehmen und gegebenenfalls von seinem Amt zurücktreten?“
„Dahingehend werde ich mich jetzt nicht äußern“, antwortete Wüstner, tat es dann aber indirekt doch: „Der Punkt ist der, dass federführend für den Bereich der Einsätze natürlich der Außenminister zuständig ist.“ Rumms!
Deutlichste Ermahnung
Und der Offizier legte noch mal nach: „Verstörend ist, dass Verantwortung und Konsequenz nur bedingt thematisiert wird“, kritisierte er.
Denn, so Wüstner: „Wir sind in den Streitkräften so sozialisiert, dass Verantwortung unteilbar ist. Verantwortung und Konsequenzen gehören zusammen. Das ist eine Frage der Ehre, wie man damit umgeht. Man muss ja in den Spiegel schauen können!“
Interessanteste Bewertung
„Hat die Bundesrepublik ihren ersten Krieg verloren, Her Wadephul?“ fragte Illner dann den CDU-Abgeordneten.
„Nein“, antwortet der Fraktionsvize überzeugt. „Sie hat einen schwierigen Einsatz absolviert. Wir haben den Terrorismus bekämpft. Da ist viel erreicht worden.“
Deutlichster Vorwurf
Dann hob Wadephul erst mal das Positive hervor: „Wir haben es geschafft, dass Bildung stattgefunden hat, und dass auch Frauen nicht so unterdrückt worden sind wie unter den Taliban“, zählte er auf. „Das waren erst mal 20 gute Jahre für viele Menschen in Afghanistan.“
Doch: „Dieses Ende ist unwürdig“, gab der Unionspolitiker danach umstandslos zu. „Das ist kein Ende, wie der Westen es zulassen soll!“
Denn, so Wadephul weiter: „Die USA wollten rausgehen, recht schnell. Das hat uns alle unter Druck gesetzt, und da waren wir nicht beteiligt. Das ist ein Punkt, den wir auch im Bündnis besprechen müssen. Deutsche Stellen sind von den Amerikanern nicht immer richtig informiert worden.“
Wichtigste Forderung
Baerbock hatte geduldig zugehört. Jetzt nannte sie klare Prioritäten: „Oberstes Gebot ist für mich, dass der Bundesaußenminister, die Verteidigungsministerin, der Innenminister, aber auch die Bundeskanzlerin jetzt alles dafür tun, Menschen rauszuholen!“
Das heiße für sie: „Flugzeugkapazitäten erhöhen, und bei den Amerikanern jetzt darauf dringen, dass die Menschen am Flughafen auch durchkommen. Das, was jetzt gesagt wird: alles wird getan – das entspricht nicht den Berichten, die wir derzeit hören!“
Schwerwiegendste Anklage
„Deutschland steht jetzt in Gänze in der Verantwortung“, stellte die Kanzlerkandidatin fest, „und da geht es für mich nicht um Wahlkampf.“
Dann aber teilte sie volle Kanne gegen die politische Konkurrenz aus: Es wurmt sie noch immer, dass die Regierungsmehrheit im Mai einen Vorschlag der Grünen, die gefährdeten Ortskräfte – Köche, Dolmetscher, Fahrer etc. – schnellstmöglich aus Afghanistan zu holen, aus wahltaktischen Gründen abgeschmettert habe.
Baerbocks massive Anschuldigung: „Es geht um ein Desaster, in das wir hineingeraten sind, weil ein Auswärtiges Amt, ein Verteidigungsministerium, aber auch eine Kanzlerin und ein Vizekanzler in den letzten Wochen entschieden haben: Uns ist es wichtiger, dieses Thema Afghanistan aus dem Wahlkampf rauszuhalten, als Menschenleben zu retten.“ Oha!
Wadephul versucht ees mit einer Umarmungsstrategie: „Wir waren uns doch einig, dass die Ortskräfte so schnell wie möglich hergebracht werden sollen“, sagte er zu der Grünen. „Dazu brachte es keine Ermahnung…“
Doch damit kam der CDU-Mann nicht durch. „Ich möchte an der Stelle widersprechen“, funkte Barbock dazwischen. „Es gab die Abstimmung im Bundestag, wo Union und SPD dagegen gestimmt haben, die Visa-Vergabe zu beschleunigen. Es war ja das große Problem, dass Menschen selber beweisen mussten, dass sie bedroht worden sind.“
Energischster Gegenangriff
Ihr Zorn: „Ganz viele Anträge wurden abgelehnt. Das muss man doch jetzt einräumen, dass da ein schwerer politischer Fehler getan worden ist, anstatt das jetzt schönzureden!“
Doch Wadephul hatte Munition für einen Gegenschlag: „Frau Kollegin Baerbock, das kann ich Ihnen jetzt auch nicht ersparen: Sie haben dem letzten Einsatz der Bundeswehr schon gar nicht mehr zugestimmt!“
Seine Schlussoffensive: „Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, wäre die Bundeswehr jetzt gar nicht mehr da. Sie hätten Afghanistan im Stich gelassen. Das muss man ganz klar sagen!“
Bedrückendeste Prognose
Journalistin Mekhennet, aus Frankfurt zugeschaltet, war „entsetzt“, denn „man hat den Taliban ein sehr großes Pfund überlassen, nämlich Menschenleben, man wird jetzt verhandeln müssen, man hat sich erpressbar gemacht.“
Schlimmer noch: „Durch den Sieg der Taliban – so wird das Ganze verkauft, auch in der dschihadistischen Welt, – werden Gruppierungen wie Al Kaida wieder Aufwind bekommen“, warnt sie.
Beklemmendste Beispiele
ZDF-Korrespondentin Eigendorf setzt sich besonders für einen Dolmetscher ein, den sie aus Mazar-i-Sharif kennt: Er irre mit seiner Familie seit drei Tagen durch Kabul und versuche, „irgendwie in den Flughafen zu gelangen“, doch sie würden „von einem Gate zum nächsten geschickt.“
Ein ZDF-Mitarbeiter mit drei kleinen Kindern habe, so Eigendorf weiter, in der Menge über eine halbe Stunde lang mit der roten Jacke seiner Tochter gewinkt. Dann sei die Familie mit Tränengas und Gummigeschossen vertrieben worden. Jetzt wolle man die Leute von Sammelstellen mit Hubschraubern in den Flughafen transportieren.
Eigendorfs besorgte Frage: „Wenn selbst wir als ZDF es nicht schaffen, einen Mitarbeiter herauszuholen, was macht dann eine Familie, die niemanden hat?“
Eindrücklichste Statements
„Die Afghanistan-Veteranen hängen jetzt an allen Nachrichtensendern“, berichtet Wüstner. „Und man muss ja nur zuhören: Alleine als Paul Ronzheimer von der BILD mit einem Taliban gesprochen hatte, wurde klar: Achtung, das ist kein Alarmismus, da bewegt sich jetzt etwas, und die Schlinge zieht sich zu!“
Patoni Izaaqzai-Teichmann von der „Afghan German Association“ hatte es am Montag von jetzt auf gleich gerade noch in den ersten Flieger geschafft, als eine von nur sieben Passagieren. Jetzt wurde sie aus Hamburg zugeschaltet. „Ohne die Bundeswehr wäre ich jetzt nicht mehr am Leben“, sagte sie sichtlich bewegt.
Vernünftigster Vorschlag
Baerbock gendert unerschütterlich auch in der Not: „Es muss jetzt wirklich aus dem Kanzlerinamt heraus ein Krisenstab gebildet werden, der alle Ressorts zusammenbindet“, forderte sie. „Es muss aus dem Kanzlerinamt heraus organisiert werden, dass mehr Flugzeuge in die Region fliegen.“
Und: „Es kann nicht sein, dass nur amerikanische Staatsbürger zum Flughafen durchgelassen werden. Andere Länder haben stellvertretende Botschafter nach Kabul geschickt. Auch das halte ich für absolut notwendig.“
Gretchenfrage des Abends
„Sind Sie auf der Seite von Robert Habeck und sagen, wir müssen auch weiter über militärische Einsätze nachdenken?“ erkundigt sich die Talkmasterin zum Schluss bei der Kanzlerkandidatin. „Oder sind Sie auf der Seite Ihrer Basis, die Ihnen regelmäßig sagt, Pazifismus ist das Schlagwort der Stunde?“
„Es gibt Situationen, wo man sich zwischen Pest und Cholera entscheiden muss“, antwortet Baerbock. „Gehen wir militärisch rein, ja oder nein? Und da muss man sich fragen: Schaffen wir mehr Sicherheit oder mehr Leid? Das gilt auch für zukünftige Situationen.“
Fazit: Unverblümte Ansagen, feuerfeste Meinungen, schmiedeeiserne Grundsätze: Das war ein Talk der Kategorie „Klarsichtpackung“.