Geschichte

1945 Die große Schlacht an Rhein und Ruhr (1) Schicksalsbrücke Remagen

7.März 1945

Aus allen Rohren schießend rasseln schwere Panzer auf die Brücke zu. Immer dichter schlagen die Granaten ein, und dann stürmt US-Infanterie durch rauchende Ruinen. Hauptmann Friesenhahn kniet neben dem Zündkasten nieder, aus dem ein Kabel zu 60 Sprengladungen führt, und dreht den Schlüssel um – nichts: Eine Granate hat die Verbindung zerstört!

Der Pionierhauptmann ruft seine Unteroffiziere zusammen. Er braucht einen Freiwilligen, der von Hand die Notlandung zündet: 300 Kilo Donarit, direkt unter den Türmen am Ostufer, 80 Meter vor dem Tunnel unter der Erpener Ley, in dem sich die Deutschen verschanzt haben.

Es ist ein Himmelfahrtskommando. Die Männer schweigen. Schließlich meldet sich Feldwebel Faust. Um 15.35 Uhr robbt er aus dem Tunnel.

Die Amerikaner auf der anderen Rheinseite nehmen ihn sofort unter Feuer. Der Feldwebel springt auf und rennt los. Auch Friesenhahn rennt nach draußen, um zu sehen, was geschieht.

Eine Granate zwingt den Hauptmann in Deckung. Als er den Kopf wieder hebt, sieht er den Feldwebel schon wieder zurücklaufen. Sollte es wieder nicht geklappt haben? Dann eine Explosion: Bretter und Balken wirbeln durch die Luft.

Die Amerikaner starren in die Rauchwolken. „Sie ist gesprengt worden!“ ruft der US-Oberleutnant K.A.Timmermann, der den Angriff führt. Ein anderer schreit: „Nein! Sie steht immer noch! Da winkt Timmermann seinen Zugführern: „Gut, dann gehen wir jetzt los!“

So schildert der Historiker Willi Mues aus Erwitte in seinem Buch „Der große Kessel“ die entscheidenden Sekunden im Kampf um den wichtigsten Viadukt des Zweiten Weltkriegs: Die Brücke von Remagen. Ihre Eroberung am 7.März 1945, vor 75 Jahren, gegen härtesten Widerstand macht den alliierten Truppen den Vormarsch ins Ruhrgebiet frei, wird zur Ouvertüre der großen Schlacht um das industrielle Herz des Nazi-Reichs.

Die Kräfte sind höchst ungleich verteilt: Unter dem Kommando des alliierten Oberbefehlshabers Dwight D.Eisenhower rollen 87 bestausgerüstete amerikanische, britische und französische Divisionen auf den Rhein zu. Der deutsche Oberbefehlshaber West, Generalfeldmarschall Gerd von Rundstedt, führt 62 Divisionen oder was von ihnen nach verlustreichen Abwehrkämpfen noch übrig ist: zwischen Duisburg und Koblenz sind es ganze 65 Panzer.

Die Deutschen wollen den Feind am Rhein so lange wie möglich aufhalten und gleichzeitig möglichst viele eigene Truppen aus der Umklammerung retten: Hitler droht, jeden zu erschießen, der eine Brücke zu früh hochgehen läßt.

Am Morgen des 7.März 1945 rückt das Kampfkommando B der 9.US-Panzerdivision auf Remagen vor. Um 13 Uhr stoßen die ersten Angriffsspitzen ins Rheintal hinab. Über die zweigleisige Eisenbahnbrücke rollt ein ununterbrochener Fahrzeugstrom deutscher Wehrmachtseinheiten. Kampfkommandant ist Major Hans Scheller. Unter seinen tausend Mann sind 500 Volkssturmleute, 180 Hitlerjungen und 120 russische Freiwillige. Zusammen mit Hauptmann Willi Bratge beginnt er, die vorbereiteten Sprengladungen mit dem Hauptkabel zu verbinden. Der Zündapparat steht im Tunnel.

Am Westufer hält Hauptmann Friesenhahn mit vier Freiwilligen die Übermacht auf, bis eine letzte deutsche Artillerieeinheit über den Strom gegangen ist. Dann zündet er an der Auffahrt eine Sprengladung, die einen zehn Meter breiten Krater reißt, und die Männer rennen los. Nur drei schaffen es, zwei davon verwundet.

Als Friesenhahn keuchend in den Tunnel hetzt, ruft Hauptmann Bratge: „Jagen Sie die Brücke hoch!“ Doch Friesenhahn verlangt einen Befehl vom Kampfkommandanten selbst. Schellers Gefechtsstand liegt am anderen Ende des Tunnels. Der Major zögert. „Wenn Sie den Befehl nicht geben wollen, gebe ich ihn!“ brüllt Bratge ins Telefon, und endlich gibt Scheller nach.

Sind entscheidende Minuten ungenutzt verstrichen? Als die erste Sprengung misslingt, ist keine Zeit mehr, ein neues Kabel zu verlegen, und die Notsprengung des mutigen Feldwebels Faust reicht nicht aus, um die Brücke in den Rhein zu werfen. Mit ihrer überlegenen Feuerkraft erzwingen die Amerikaner den Übergang, als erster springt der G.I. Alexander Drabik aus Ohio auf das östliche Rheinufer.

Scheller und viele andere Deutsche laufen um ihr Leben. Bratge und Friesenhahn kämpfen, bis sie getroffen sind. Erst dann geben sie auf und gehen mit 200 Männern in die Gefangenschaft. Es ist ihr Glück, denn Hitlers Rache ist grausam: am 11.März wird Major Scheller in einem Bauernhaus 50 Kilometer östlich vor ein „Fliegendes Standgericht West“ gestellt und wegen „Feigheit vor dem Feind“ erschossen – zusammen mit drei anderen Offizieren, darunter dem Vorgesetzten Friesenhahns, der überhaupt nicht in der Gegend gewesen war. Ein Tagesbefehl warnt die Überlebenden: „Wer nicht in Ehren lebt, wird in Schande sterben.“

Am 17.März 1945 stürzt die eroberte, aber beschädigte Brücke doch noch ein, wegen Überlastung. 28 US-Pioniere sterben. Der Brückenkopf auf dem Ostufer aber wird zur Basis eines unaufhaltsamen Sturms ins Zentrum der deutschen Kriegsrüstung, in dem bald eine riesige Kesselschlacht beginnt.

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